Die FDP braucht ein Comeback als Volkspartei
Publiziert am 21. August 2025
Mit Susanne Vincenz-Stauffacher und Benjamin Mühlemann erhält die FDP Schweiz also ein Co-Präsidium; die Wahl der beiden am 18. Oktober ist eine reine Formsache. In den Medien gibt es heute dafür Anerkennung, aber auch Kritik.
Drei Faktoren, die diesem Führungsduo und der FDP den Erfolg bringen können, halte ich für zentral.
❗️ In einem Co-Präsidium reicht es nicht, sich gut abzustimmen, Aufgaben klug zu teilen und sich gegenseitig zu respektieren. Entscheidend ist das Zwischenmenschliche: Wenn die Chemie zwischen der Sankt Galler Nationalrätin und dem Glarner Ständerat stimmt, und zwar dauerhaft, bringen sie gemeinsam viele PS auf den Boden.
❗️ Wer eine Partei führt, braucht eine dicke Haut, eine starke innere Mitte und die Befähigung, mit grossen Egos umsichtig umzugehen. Es sind weder die Schläge der politischen Konkurrenz noch die Kritik der Medien, die einem massiv zusetzen. Zermürbend ist das Intrigieren von Parteifreunden. Petra Gössi, von 2016 bis 2021 FDP-Präsidentin, wurde von den eigenen Leuten mürbe gemacht, bis sie den Bettel schliesslich hinschmiss. Die anspruchsvollste Arbeit für das Duo Vincenz-Stauffacher/Mühlemann ist es, zu führen und die eigenen Leute souverän zu moderieren.
❗️ Unter dem Dach des Freisinns hatten ursprünglich viele Ansichten Platz. Die FDP war eine Volkspartei, die unterschiedliche Milieus ansprechen und an sich binden konnte. Wenn ich meine Studierenden frage, wofür die FDP heute stehe, kommt als Antwort immer: die Wirtschaft. «Und sonst?» bohre ich jeweils nach. – Schweigen.
Hier liegt des Pudels Kern.
Die verschiedenen Strömungen, die weiterhin zum Freisinn gehören, müssen endlich wieder spürbar werden. Das Co-Präsidium bietet diese Chance: Vincenz-Stauffacher ist urban, progressiv und offen bei Umweltthemen. Zudem prägte sie die Volksinitiative zur Individualbesteuerung, die im nächsten Jahr (vermutlich mit einem Gegenvorschlag) zur Abstimmung kommt. Mühlemann lebt in einem Bergkanton, ist konservativ, finanzpolitisch rigid und gegenüber der EU kritisch. Das sorgt für Reibung. Gut so – solange daraus produktive Energie entsteht.
Wenn es dem Duo gelingt, Geschlossenheit nach innen und Vielfalt nach aussen zu verbinden, könnte der FDP das Comeback als Volkspartei gelingen. Eine Repositionierung braucht viel Zeit. Bis sie beim breiten Publikum angekommen ist, dürften sechs Jahre vergehen. Bis dann ist Ignazio Cassis längst im Ruhestand.
Foto: Karin Hofer, NZZ
