Ein Sieg für die Satire

Gestern hat die Unabhängige Beschwerdeinstanz (UBI) einen wichtigen Fall entschieden: Sie wies eine Beschwerde gegen die SRF-«Late-Night-Show» von Dominic Deville vom 22. November letzten Jahres ab.

Damals setzte sich die Sendung praktisch über die ganze Länge mit den Gegnern der Konzernverantwortungsinitiative auseinander. Deville sparte nicht mit irren Übertreibungen und beissendem Spott – Satire eben.

Eine Woche vor der Abstimmung war deren Ausgang offen, die Nerven lagen blank, beide Lager hatten sich schon seit Monaten eine wüste Abnützungsschlacht geliefert. Devilles Satire-Sendung lieferte neue Munition.

Die Gegner schossen aus allen Rohren, SRF erhielt eingeschriebene Briefe, man wollte die Chefs im «Leutschenbach» an die Kandare nehmen und Satire reglementieren, jawohl, reglementieren! Der Fernsehfabrik am Stadtrand Zürichs drohte noch mehr Bürokratie.

Die «Late-Night-Show» sei Propaganda und werde das Abstimmungsergebnis beeinflussen, wurde wütend proklamiert. Das ist absurd: Zum einen ist das Publikum am Sonntagabend mündig, um dieses Satire-Format richtig einschätzen zu können. Zum anderen ist der Meinungsbildungsprozess bei Abstimmungsvorlagen ausgesprochen komplex – ein paar derbe Nummern bringen die Leute nicht dazu, statt einem Nein ein Ja auf ihren Stimmzettel zu schreiben. Zudem ist Dominic Deville eine Kunstfigur, wie jetzt auch die UBI feststellte, und kein Journalist, der ein News- oder Hintergrundformat moderiert.

Satire darf nicht alles, klar. Sie muss aber weder sachgerecht, noch ausgewogen sein. Vielmehr muss sie wehtun – richtig wehtun. Ihr kennt den Schmerz, wenn man mit Merfen eine offene Wunde desinfiziert. Genau so.

Es geht bei der Beurteilung nicht darum, ob man Dominic Deville und seine Sendungen gut oder schlecht findet. Es geht auch nicht darum, ob man für oder gegen die Konzernverantwortungsinitiative war. Es geht lediglich um diese eine Sendung. Punkt.

Die einstimmige Entscheidung der achtköpfigen UBI ist ein Sieg für die Satire. Sie stärkt Deville und andere Satiriker in diesem Land. Dass Realsatire die Satire längst überholt hat, ist eine andere Geschichte.

Zum Nachschauen: Die Sendung vom 22. November 2020.

Wir “backen” uns einen Kandidaten

In meinem privaten Umfeld diskutieren Kolleginnen zuweilen über den 100-Punkte-Mann, mal schwärmerisch, mal ironisch. Es gibt ihn selbstverständlich nicht, den perfekten Mann mit dem Punktemaximum. Genauso wenig gibt es den perfekten Kandidaten in der Politik. Es gibt aber Politikerinnen und Quereinsteiger, die viele Fähigkeiten und Assets für einen guten Wahlkampf mitbringen.

Genau darum geht es bei Beat Zoss. Vorhang auf für ihn:

beat_zoss_arme_weit_600_by_beat_mathysBeat Zoss ist ein fiktiver Regierungsratskandidat, gespielt wird er von einem bekannten und vielseitigen Berner Künstler. Die Figur entwickelten zwei Redaktoren der “Berner Zeitung”, Stefan von Bergen und Christoph Aebischer. Mit Beat Zoss wollen sie die Mechanik des Wahlkampfs auf eine weitgehend unbekannte Art darstellen.

Vor etwa zwei Monaten weihten mich die beiden Journalisten in ihren Plan ein, und wir streckten die Köpfe für einen langen Austausch zusammen. Gestern schliesslich lancierte Beat Zoss seine Kampagne via Twitter (“Der Kanton Bern braucht eine unverbrauchte Kraft. Deshalb kandidiere ich für den Regierungsrat.”), heute legte die BZ mit einem grossen Artikel nach. Wer ihn nicht sorgfältig las, glaubt nun, dass dieser Münsiger KMU-Mann tatsächlich den Berner Regierungsratswahlkampf aufmischen will.

Ich mache bei diesem Projekt mit – als Stichwortgeber und ohne Honorar -, weil ich zurzeit an einem neuen Wahlkampfbuch arbeite und mir auf diese Weise neue Inputs erhoffe. Zugleich gefällt mir der journalistische Ansatz; er ist frech. Widerstand und Kritik sind vorprogrammiert. Ich höre die Stimmen der Defätisten und Nörgerlinnen bereits: Das sei eine Entwürdigung der Politik und trivial, die Medien würden sich besser den echten Kandidierenden zuwenden, kritisieren sie. Gut so. Die beiden Väter der Figur wird das antreiben, ihre Serie über Beat Zoss umso überzeugender umzusetzen.

An den Wochenenden backe ich oft einen Zopf. Er wird jedesmal ein wenig anders, weil ich mit den Zutaten immer variere. Genauso ist es bei den Politikerinnen und Politikern, die ich als Berufsmann teilweise über Jahre hinweg begleite und berate, damit sie ihre Chancen für einen Karriereschritt optimieren können. Salopp gesagt: Ich backe Kandidaten. Ob Beat Zoss aus dem richtigen Material ist, um ein guter Kandidat zu werden, weiss ich noch nicht. Auf seinem Weg bis zum 30. März nächsten Jahres kann er in jedem Fall viel lernen. Dasselbe gilt für alle Kandidatinnen und Kandidaten, die am selben Tag in den Grossen Rat gewählt werden möchten. Sie erhalten Gratistipps à gogo.

Mark Balsiger


Die Profile von Beat Zoss im Netz:

Website
Facebook-Page
Twitter

P.S.  Zur Klärung: Meine Agentur ist bei den Berner Regierungsratswahlen 2014 nicht beteiligt. Zum einen fehlt uns die Zeit dafür, zum anderen ist die Ausgangslage langweilig und deshalb keine Herausforderung. Details erläuterte ich vor geraumer Zeit hier.

 

Foto Beat Zoss: Beat Mathys

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Aussehen beschleunigt die Karriere

Eine schöne Bescherung: Wir wissen nun von einem Arzt für plastische Chirugie, wie gut die eidgenössischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier aussehen. Er hat alle 246 Gesichter vermessen und selbst die Haare kategorisiert. Das Ganze sei “wissenschaftlich untersucht”, hält “20 Minuten” bereits im Obertitel fest. Die Lust auf eine Glosse konnte ich nur mit Mühe unterdrücken.

NATIONALRAT, NR, SP, SOZIALDEMOKRATISCHE PARTEI,

Die Studie bringt zu Tage, dass die Aargauer Ständerätin Pascale Bruderer (SP, Foto) bei den Politikerinnen obenaus schwingt. Sie ist also, um im Duktus der geneigten Medien zu bleiben, Miss Bundeshaus. Bei den Männern gewinnt Fathi Derder (FDP) aus der Waadt. Der Online-Artikel scheitert daran, dass er keine Unterscheidung zwischen “schön”, “attraktiv” und “gut aussehend” macht, die drei Wörter werden synonym verwendet. Eine vergleichbare Verwischung hat bei den Miss- und Mister-Schweiz-Wahlen Tradition.

Die Erhebung des Chirurgen ist im Netz leider nicht greifbar. Fassen wir deshalb kurz zusammen, was die Sozialwissenschaften im deutschsprachigen Raum zum selben Thema erforscht haben:

Das Aussehen kann eine politische Karriere beschleunigen. Zu diesem Schluss kommen Markus Klein und Ulrich Rosar von der Universität Köln, die mehrere Jahre lang Studien zum Thema machten. Probanden mussten jeweils Kandidierende, die sie nicht kannten, beurteilen. Es überrascht nicht, dass bei diesen Tests Kandidierende, die aus subjektiver Warte als gut aussehend taxierte wurden, besser abschnitten. Bei bekannten Spitzenpolitikern hat das Aussehen hingegen kaum mehr eine Bedeutung.

In der Schweiz wagte sich erst ein Politologe auf dasselbe Terrain: Georg Lutz von der Universität Lausanne. Er zeigte Versuchspersonen die Fotos von insgesamt 744 Politisierenden, die 2007 für den Nationalrat kandidierten. In seiner Untersuchung kommt Lutz zum Schluss, dass gut aussehende Kandidierende mehr Stimmen erhalten, was einen Teil ihres Wahlerfolgs erkläre. Diese Studie wurde verschiedentlich kritisiert, so etwa von Lutz’ Berufskollege Claude Longchamp in einem Blog-Posting. (bal.)


Die Studien (Arbeitspapiere) als PDF zur Vertiefung:

Politische Wahlen als Schönheitskonkurrenz (2006, Klein & Rosar)

The electoral success of beauties and beast (2009, Lutz)

 

Foto Pascale Bruderer: keystone

Der SVP-Bulle und die CVP-Kuh

Die Währung der Politik heisst Aufmerksamkeit, die Währung der Onlinemedien Klicks und Kommentare. Et voilà:

Und auch ich übernehme dieses Sujet der Walliser SVP. Weil es andere auch schon getan haben, weil es viele Klicks generiert, weil mir die Zeit fehlt für ein eigenständiges Thema, weil ich nicht viel nachdenken mag – wie andere vielleicht auch nicht.

Wie der Bulle – für seinen Jahrgang ziemlich rüstig – auf die Kuh kam, präziser: wer dieses Oevre kreierte, ist noch nicht bekannt. Bekannt ist hingegen, dass die schwarze Kuh zur CVP gehört, Lara heisst und die Wahlen gewinnen will. Nicht die Kuh, die ist eigentlich apolitisch, nein, die CVP. Die macht eigentlich Politik.

Der SVP-Bulle ist übrigens noch namenlos. Womöglich wäre es ein erfolgversprechender Coitus secundus für diesen famosen Aufmerksamkeitserreger, wenn Nationalrat Oskar Freysinger am nächsten Samstag in seinem Garten einen Benamsungsworkshop durchführte. Zum krönenden Schlussbouquet würde er Prosa drechseln für die Nachwelt. Der serbische Schriftstellerverband geriete zweifellos in Verzückung. Zottel vielleicht auch.

P.S.   Freysinger reichte im Februar eine Klage ein gegen das welsche Satiremagazin Vigousse. Wegen einer Karikatur.

Karikatur: via newsnetz

Ein Erlebnis namens Buch

Die letzten Monate war ich monothematisch unterwegs. Das färbt ab.

Dieser Videoclip ist grandios, auch ohne Spanischkenntnisse. Wer ihn noch nicht gesehen haben sollte, et voilà:

Orgasmus erhitzt katalanische Wähler

Im Wahljahr 2007 produzierten viele Kandidierende Kurzfilme, die sie auf ihren Websites einbanden und auf dem Videoportal Youtube hochluden. Die allermeisten dieser Videobotschaften waren „home made“: Der älteste Sohn richtete eine Handycam auf den Kandidaten, der im Garten vor dem Lindenbaum stand. Oder die Menschenmenge eines Parteianlasses oder Quartierfestes wurde als Staffage benützt.

Die Jungsozialisten des Partido Socialista in Katalonien gingen einen anderen Weg. Mit einem Werbespot wollen sie die jungen Wähler aufrütteln und an die Urne bringen. Am kommenden Sonntag finden Wahlen statt. Der Spot heisst “Votar es un placer”, übersetzt: Wählen ist ein Vergnügen.” Das Video verbreitete sich in den letzten Tagen rasend schnell – kein Wunder:

Die Provokation sitzt, im katholischen Spanien ist das kein Wunder. Der Spot wird in Onlineforen hitizig diskutiert, zum Beispiel hier oder hier.

Womöglich inspiriert diese Produktion die Juso-KollegInnen in der Schweiz.  Bürokollege Suppino schnalzt mit der Zunge: “Genau, wir wollen Cédric Wermuth im Wahllokal sehen.”

Wirklich?

Hans-Rudolf Merz und das Bündnerfleisch

Die mediale Beachtung der Bundesratswahlen überdeckte und -tönte fast alle anderen politischen Themen in den letzten Wochen. Umso erheiternder ist deshalb der Lachanfall, den Bundesrat Hans-Rudolf Merz hatte. Kurz vor seinem Abgang heimst er so viele Sympathiepunkte ein. Die Sequenz ist auf Youtube ein Renner – schon jetzt wurde dieses Filmchen mehr als 200’000 Mal angeklickt. Falls Sie es noch nicht gesehen haben sollten – beste Unterhaltung ist garantiert:

Vermutlich war das für Merz die letzte grosse Bühne im Parlament. Sein Lachen stimmt versöhnlich – und es inspirierte: Kreative und solche, die sich dafür halten, produzierten flugs eine Adaption des Merzschen Lachanfalls. Dem Berner Rapper Knaeckboul ist das ganz gut gelungen:

Clever, dass auch die Produzenten von Bü-bü-bündnerfleisch subito reagierten. Am Mittwoch verteilten sie auf dem Bundesplatz kleine Päckchen davon – mit Merz’ Konterfei auf der Verpackung.

Verbot von Facebook & Co ist weltfremd

Das Berner Kantonsparlament verbietet den Staatsangestellten, soziale Netzwerke während der Arbeitszeit zu benützen. Dieser Entscheid wurde gestern mit 95 Ja- zu 47 Nein-Stimmen gefällt.

Diese deutliche Ergebnis verblüfft, weil es weltfremd und wirkungslos ist: Technisch lässt sich die Sperrung von Facebook und Co mit fünf Mausklicks und drei Minuten Aufwand umgehen – dauerhaft. Unter Mitarbeitenden einiger Banken, den SBB, der Post etc., die bereits eine Sperrung verfügten, werden die Tipps für das Umgehen des Verbots schon seit geraumer Zeit weiterverbreitet.

Das Verbot kann gemäss Medienberichten offenbar erst im Jahr 2014 umgesetzt werden. Bis dann dürfte die virtuelle Welt bereits wieder einen Entwicklungsschritt weiter sein, eine Mehrheit der Staatsangestellten wird dann ein Handy besitzen, auf dem man bequem, jederzeit und ohne Einschränkungen surfen kann. Wer will, loggt sich also am Arbeitsplatz auf diese Weise bei Facebook ein.

Der Initiant des erfolgreichen Vorstosses nutzt übrigens nach eigenen Angaben die sozialen Netzwerke gar nicht. Worauf basiert sein Wissen, sein Intervenieren? Ein Volksvertreter, der das grosse Wort zu einem Thema führt, das er nicht einmal im Ansatz selber kennt – das ist heikel. Er muss damit rechnen, als Populist bezeichnet zu werden.

Ein anderer Aspekt gibt mir mehr zu denken: Leben wir nicht in einer liberalen Gesellschaft, die mit möglichst wenigen Verboten auskommen möchte und auf Selbstverantwortung setzt? Wenn wir das Facebook-Verbot konsequent weiterdenken, was folgt?

Private Mails, SMS und Telefongespräche während der Arbeitszeit – verboten. Rauchpausen im Freien – pro Halbtag nur noch einmal, aber von einem Aufseher überwacht. Toilettenstopps reglementiert – für das kleine Geschäft zwei Minuten, das grosse fünf. “Wer das nicht schafft, soll mit einem dicken Hals weiterarbeiten. Bei Zeitüberschreitung gibt es Lohnabzug”, frotzelt Bürokollege Suppino.

Und wenn solche Auflagen immer noch nicht reichen, muss in jedem Raum eine Videokamera her, besser noch: jedem Kantonsangestellten wird ein Chip implantiert. Bevormundung komplett, Überwachung total, Strafen bei Missachtung drakonisch – die Arbeitsmoral wäre zweifellos hervorragend.

Suppino gründet jetzt dann gleich eine Facebook-Gruppe mit dem Namen “Weniger Populismus, mehr gesunder Menschenverstand – auch in der Politik”. Während der Arbeitszeit.

Foto: derbund.ch

Tschäppäts Vollmondgesänge oder Wieviel Privatleben darf ein Politiker haben

Alexander Tschäppät ist ein Causeur, aber auch der beste Verkäufer der Bundesstadt – und seiner selbst. Bei unverzerrtem Licht und nüchtern betrachtet, hat Berns Stadtpräsident einen beachtlichen Leistungsausweis als Politiker vorzuweisen.

Der Politiker Alexander Tschäppät kommt allerdings regelmässig ins Gehege mit dem Menschen Alexander Tschäppät. Etwa wenn man Testosteron und Pheromone Polka tanzen lässt oder die gut geölte Zunge sich verselbstständigt.

Am letzten Wochenende feierte Tschäppät den Sieg von YB über den FC Zürich im “Luna llena”. Bald einmal stand er auf der Bühne und besang zusammen mit einer Partyband nicht nur den Vollmond, sondern auch zwei ehemalige Bundesräte, die in den Songzeilen allerdings ganz anders benamst wurden.

Seither muss Tschäppät sich nicht um mediale Unaufmerksamkeit sorgen, er gibt von den Kameras und Mikrofonen den Reuigen und gelobt, dass “so etwas” nicht mehr vorkomme.

Mit der nötigen Distanz und Schärfe fällt die Analyse von Jean-Martin Büttner im heutigen “Tages-Anzeiger” auf:

Wo eine Bühne ist, steht auch ein Tschäppät (PDF)

Nach jedem Tritt in das Fettnäppchen thematisiert Tschäppät das Recht auf ein Privatleben. Damit hat er im Prinzip Recht, bloss: bei Berufspolitikern, National- und Ständeräten hat es keinen Platz für Eskapaden in der Öffentlichkeit. Für sie existiert nur noch in den eigenen vier Wänden eine Privatsphäre. Das ist der Preis eines hochdekorierten Amtes.

Foto Alexander Tschäppät: flickr.com