Die Berner Spesenaffäre wäre nie zu einer solchen geworden, wenn der Regierungsrat den «Kassensturz»-Auftritt genutzt und erklärt hätte, worum es wirklich geht. Stattdessen schwieg er. Als die Medienwelle rollte, war das Eindämmen über die Plattform X (früher Twitter) chancenlos. Eine Dekonstruktion.
Dank der Berner Kantonsregierung weiss inzwischen die halbe Nation, dass eine Banane unter Umständen bloss 20 Rappen kostet. Die Spesenaffäre sorgt für Kopfschütteln oder Erheiterung, und sie liefert ein dankbares Sujet für die Schnitzelbänkler. Ausserdem zeigt sie exemplarisch, was passiert, wenn ein Akteur einen simplen Fall aussitzen will.
Rückblende: Der «Kassensturz» des Schweizer Fernsehens SRF recherchierte 2023 über die Spesenkultur der sieben Berner Regierungsrätinnen und Regierungsräte. Die Redaktion hatte Einsicht in die Spesenabrechnungen verlangt, was die Staatskanzlei des Kantons Bern zunächst ablehnte, später aber doch Hand bot und alle Dokumente von 2018 bis 2021 herausgab.
Spätestens zu jenem Zeitpunkt hätten der Regierung und ihren Kommunikationsfachleuten klar sein müssen, dass irgendeinmal über dieses Thema berichtet wird. Sie hätten mehrere Monate Zeit gehabt, die Medienlogik zu antizipieren und die Reaktion in Ruhe vorzubereiten.
Die Einladung des «Kassensturz», an der Theke Auskunft zu geben, wollte kein Regierungsmitglied wahrnehmen. Das war ein folgenschwerer Fehler. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Sache zu erklären: Zunächst – natürlich! – eine Entschuldigung für die wenigen Fehlbuchungen aus den Jahren 2018 und 2019 mit geringen Beträgen (wie der Banane für 20 Rappen). Dann der Hinweis, dass die Spesenverordnung 2021 überarbeitet worden war. Anhand dieses Dokuments kann man aufzeigen, welche Spesen zur Pauschale gehören und welche einzeln abgerechnet werden. Mit anderen Worten: Die Abrechnungspraxis ist transparent und rechtens, moralinsaures Nachhaken wäre abgeprallt. Schliesslich hätte ein rhetorisch fitter Regierungsrat während des Live-Interviews erwähnen können, dass man in der Spesenverordnung neu einen Minimalbetrag festlegen will. (Just das hat der Regierungsrat am Mittwoch nun entschieden.)
Stattdessen schwieg die Gesamtregierung, während Regierungspräsident Philippe Müller die Plattform X und eine Parteiversammlung nutzte, um sich zu erklären, was prompt in die Medien schwappte. Als die Medienwelle schon am Rollen war, versuchte der Kommunikationsdienst des Kantons, sie mit Tweets zu dämmen. Nur ein Beispiel: «Es gibt kein Regierungsmitglied, das Kleinstbeträge als Spesen abrechnet – erst recht nicht systematisch.»
Passiert ist das vor Jahren in ein paar Einzelfällen eben doch – dumm gelaufen, ungeschickt und kakophonisch kommuniziert.
Die Story war viel zu süffig, um nicht sofort einzuschlagen. Im Zeitalter des Clickbait-Journalismus ist sie ein Geschenk. Praktisch alle anderen Medien sprangen auf, viele Beiträge haben einen spöttischen Unterton.
Machen wir zwei Schritte zurück: Dieser Fall ist Pipifax und die Story ist bei Lichte betrachtet dünn. Ein «Mea Culpa» im «Kassensturz», gefolgt von einer Einbettung an der Theke (das hat nicht mit einer Rechtfertigung zu tun) – so hätte sich kein Krisenherd entzündet. Nur das defensive Vorgehen der Regierung und die lamentable Kommunikation haben diesen Fall zur Spesenaffäre gemacht. Der Imageschaden ist angerichtet, und weil die Story so simpel ist, bleibt sie uns weit über die Fasnacht hinaus in Erinnerung.
Dieser Beitrag ist zuerst beim Online-Magazin «Persönlich» erschienen.
NACHTRAG: In der Kommentarspalte wird ergänzend ein Gast-Kommentar von Adrian Ritz, Professor für Public Management, sowie der FDP des Kantons Bern aufgeschaltet.