Am 28. Februar finden im Kanton Bern Ersatzwahlen für den Regierungsrat statt, nachdem die beiden SP’ler Andreas Rickenbacher und Philippe Perrenoud ihren Rücktritt bekannt gegeben haben. Sechs Kandidaten bewerben sich um diese beiden Sitze, vier haben Chancen. Plakate, auf der Strasse Mützen und Äpfeln verteilen, ein Medienparcour – das ist der Wahlkampf. Inhalte nimmt man kaum wahr. Das linke Online-Portal “Journal B” befragte mich zu diesen Wahlen, das Interview darf hier zweitverwertet werden.
Was sagen Sie zum Verhalten der beiden amtierenden SP-Regierungsräten? War das nicht ein völlig unnötiger und rein persönlich motivierter Doppelrücktritt? Und das erst noch zur Unzeit?
Mark Balsiger: Bei dieser Frage schwingt subtil etwas Negatives mit, das ich nicht teile. Nach zehn Jahren ist es legitim, sich neu zu orientieren. Wenn Berufspolitiker die letzte Phase bis zur Pension nur noch lustlos und dünnhäutig ihre Pflicht erfüllen, ist das jedenfalls schlechter. Andreas Rickenbacher und Philippe Perrenoud wurden zweimal im Amt bestätigt; das ist in einem durch und durch bürgerlichen Kanton wie Bern beachtlich. Es liegt auf der Hand, dass die beiden SP-Mitglieder den Hut nehmen wollten, bevor 2018 der grosse Wechsel kommt. Perrenouds Rücktrittsankündigung, nur wenige Wochen nachdem Rickenbacher seinen Abgang bekanntgegeben hatte, halte ich für einen raffinierten Schachzug. Dank der Zweiervakanz kann die SP womöglich einen Sitz retten.
Was hat die rot-grüne Mehrheit überhaupt für eine Bedeutung angesichts der bürgerlichen Mehrheit im Grossen Rat? Macht es Sinn, sie aufrecht erhalten zu wollen?
Ich muss ausholen: Der rot-grüne Sieg von 2006 basierte nicht auf einer gerissenen Strategie oder einem überzeugenden Wahlkampf. Er kam nur zustande, weil die damalige SVP-Spitze mit sechs bürgerlichen Kandidaten – vier SVP-Vertreter, zwei Freisinnige – den Bogen komplett überspannte. Das Volk hat auf deren übermässigen Machtanspruch sensibel reagiert – und korrigiert. Für Rot-Grün war dieser Sieg psychologisch wichtig. In der realen Tagespolitik hat die parteipolitische Zusammensetzung einer Regierung wenig Bedeutung, ihr Handlungsspielraum ist sehr bescheiden.
Der Kanton Bern hat tiefgreifende strukturelle Probleme, die seit Jahrzehnten bestehen. In den Zwanziger- und Dreissigerjahren begann eine ungesunde Entwicklung: Die damals übermächtige BGB – die heutige SVP – betrieb von da an Subventionsjägerei. Dank ihrem garantierten Berner Sitz im Bundesrat und der räumlichen Nähe zur Bundesverwaltung war das einfach. Wer wollte schon gegen den Bauernstand sein, als ringsum Krisen und Kriege ausbrachen. Dieses Denken und Handeln wurde quasi zur DNA des Kantons, er verpasste die weiteren Industrialisierungswellen mit den bekannten Folgen.
Will die rot-grüne Regierung einem bürgerlichen Parlament gegenübersteht, war vieles während Jahren blockiert. In welchen Bereichen zeigte sich dies am schmerzhaftesten?
Das Schlagwort Blockade ist bloss rhetorisch. Insgesamt kann man nicht von einer Blockadepolitik sprechen. Der klar bürgerlich geprägte Grosse Rat hatte mit Gesundheitsdirektor Perrenoud einen dankbaren Sündenbock. Zehn Jahre lange wurde er immer wieder geprügelt – manchmal berechtigt, manchmal nicht. Als Bernjurassier schien er mir isoliert und kommunikativ überfordert zu sein. Allerdings führt er auch die schwierigste Direktion. Es wird spannend sein zu beobachten, wie ein SVP-Gesundheitsdirektor Guggisberg oder Schnegg mit den äusserst komplexen Dossiers zurecht kommt – und wie Perrenouds Nachfolger sich mit dem Grossen Rat arrangiert. Für die SP dürfte es eine grosse Erleichterung sein, wenn sie keine Schlüsselperson mehr dauerhaft im Schussfeld hat.
Was hat im Rückblick die Kohabitation gebracht? Ist die Bilanz so schlecht, dass man sie grad freiwillig aufgibt?
Der Vergleich mit der Kohabitaton in Frankreich ist überzeichnet, weil dort der Präsident eine allmächtige Position hat. Davon wagen Berner Regierungsratsmitglieder nicht einmal zu träumen. Die Bilanz der rot-grünen Kantonsregierung ist bescheiden, aber Würfe sind ohnehin nicht möglich. Bis in ein paar Jahren muss eine kompakte Exekutive wissen, wie sie den Kurs des Kantons kräftig korrigieren will. Das Sparprogramm ASP im Jahr 2013 war dagegen ein Nasenwasser.
Es gab ein Prestigeprojekt der rot-grün dominierten Regierung und von Baudirektorin Barbara Egger (SP), welches das Scheitern idealtypisch zeigt: die Energiepolitik. Das fortschrittliche Energiegesetz wurde zuerst im Grossen Rat zerpflückt und dann vom Volk bachab geschickt.
Der Gegenvorschlag bringt zu wenig. Hier zeigt sich, dass bei den meisten Bernerinnen und Berner noch kein Umdenken eingesetzt hat. Bis in ein paar Jahrzehnten gibt es keine fossilen Energien mehr, entsprechend sollte man jetzt den Umbau der Energieversorgung konsequent vorantreiben.
Was wären die konkreten Folgen, wenn es jetzt zur bürgerlichen Wende kommt?
Bei den nächsten Sparpaketen wird der Protest im Grossen Rat etwas lauter ausfallen. Sonst? Nichts. Die bürgerliche Wende ist ja bislang bloss eine plakative Forderung, die SVP hat sie bislang nicht mit Inhalten, mit einem Programm, gefüllt. Bedenklich, dass weder die politische Konkurrenz noch die Medien diesen Schwachpunkt thematisieren. Gerade im Kontext mit der Durchsetzungsinitiative, die wirtschaftsfeindlich ist, könnte man die beiden SVP-Kandidaten herausfordern. Aber eben, Bern ist Bern und es läuft gäng wie gäng.
Wie schwer ist es, die Mehrheit in der Regierung bei den ordentlichen Wahlen im Jahre 2018 zum Beispiel mit Evi Allemann zurückzuholen?
Der Kanton tickt bürgerlich, und das wird auch so bleiben. Coups der Linken wie bei den Gesamterneuerungswahlen 1986 und 2006 sind nur möglich, wenn SVP und FDP gravierendste Fehler machen.
Und wie sehen die Chancen von Evi Allemann aus?
Sie ist auf die Nachfolge von Barbara Egger eingespurt, wurde – wie Ursula Wyss – in ihrem Auftritt milder und hat sich als Verkehrs- und Sicherheitspolitikerin im Nationalrat einen Namen gemacht. Mit den vielen rot-grünen Stimmen aus den beiden grossen Städten hat sie gute Chancen gewählt zu werden. 2018 dürften auch FDP-Regierungsrat Hansjürg Käser und Bernhard Pulver (Grüne) zurücktreten. In einer solchen Konstellation hätte die Linke grosse Mühe, ihre Sitze zu verteidigen.
Die SP-Personalpolitik ist derzeit auch auf Stadtebene problematisch: Ursula Wyss wurde viel zu früh als Kandidatin fürs Stadtpräsidium aufs Tapet gebracht und bei den Männern ist die Auswahl mit Aebersold und Marbet nicht gerade berauschend.
Chabis! Wenn die SP mit einem Wählerinnenanteil von nahezu 30 Prozent frühzeitig die Frage der Stapi-Nachfolge geklärt haben will, ist das geschickt. Michael Aebersold ist ein Chrampfer, der sich seit vielen Jahren für die Partei einsetzt. Ihm traue ich das Gemeinderatsamt zu, Peter Marbet kann ich nicht einschätzen, weil er noch nicht lange im Stadtrat ist.
Eine so grosse Partei müsste eigentlich bei so vielen Parlamentariern mehr KandidatInnen hervorbringen. Bei den Männern ist die bekannteste Figur, Matthias Aebischer, ein Quereinsteiger…
Grundsätzlich hat der hohe Bekanntheitsgrad eines Politikers noch nichts mit seinen fachlichen Qualitäten zu tun. Wir sollten nicht vergessen: Die Schweizer Politik ist nach dem Milizprinzip aufgebaut. Ich bin dankbar um jede fähige Person, die sich zur Verfügung stellt.
Interview: Urs Frieden/Journal B