Kein Vertrauen, kein Team – ein Debakel

Nein, das Verteidigungsdepartement «implodierte nicht praktisch über Nacht», wie das die NZZ heute schreibt. Es wird durchgeschüttelt, weil vier Schüsselfiguren in den nächsten 12 Monaten den Hut nehmen und die Ruag von einem neuen Skandal eingeholt wurde.

Was ins Auge sticht: Armeechef Thomas Süssli reichte seine Kündigung am 30. Januar ein, Christian Dussey, der Chef des Nachrichtendiensts, bereits am 20. Januar.

VBS-Chefin Viola Amherd liess die vertraulichen Dokumente zu diesen brisanten Personalien aber erst gestern Dienstagmorgen hochladen und für die heutige Sitzung des Bundesrates traktandieren. Auf diese Weise haben einzelne Mitarbeitende aus den anderen sechs Departementen Zugriff.

⚡️ Zwischen den Kündigungen von Dussey bzw. Süssli und Amherds Information an den Gesamtbundesrat liegen 25 bzw. 35 Tage. Der Armeechef ist seit dem Beginn des Ukrainekriegs vor drei Jahren die wichtigste Figur in der Bundesverwaltung. Weshalb wurde der Gesamtbundesrat nicht viel früher über Süsslis Rücktritt informiert?

⚡️ Es dauerte gerade einmal eine Stunde, bis die brisanten Personalien den Medien gesteckt wurden.

Einmal mehr zeigt sich: Die sieben Mitglieder der Landesregierung vertrauen einander nicht, sie schauen nur für sich. Der Verteilkampf ums Geld und persönliche Animositäten verhindern, dass sich so etwas wie Teamgeist entwickeln könnte.

Wie die Sache abgelaufen ist, schildert CH Media hier.

Foto: Getty Images 

So wird das nichts mit dem Angriff auf den zweiten FDP-Sitz

 

Ein Gedankenspiel: Nehmen wir an, Bundesrat Ignazio Cassis kündigt in ein paar Monaten seinen Rücktritt an, weil er gesundheitlich angeschlagen ist. Cassis nahm im Herbst 2017 Einsitz in der Landesregierung und deshalb ist allen klar, dass er nicht mehr fünf oder sechs Jahre bleiben wird. Wer bei der FDP seinen Sitz erben möchte, hat sich längst in Stellung gebracht.

Kaum hat sich also Cassis erklärt, so unser Gedankenspiel, prescht die Spitze der Mitte-Partei vor und meldet: «Wir greifen den FDP-Sitz an!» Nach all dem, was die letzten Wochen passiert ist, könnten sich Journalistinnen und Parteistrategen ein süffisantes Lächeln nicht verkneifen. Die Glaubwürdigkeit hat arg gelitten, die Partei wirkt wie eine Schildkröte, die auf dem Rücken liegt, man nimmt sie seit ihrer verzweifelten Suche nach Kandidierenden nicht mehr ernst.

Martin Pfister, Regierungsrat aus dem Kanton Zug, ist also der zweite Kandidat neben Bauernpräsident Markus Ritter. Am Montagmittag, als die Anmeldefrist ablief, fand man auf seiner Website gerade einmal vier Sätze zu seiner Bundesratskandidatur. Im Verlaufe des Nachmittags war diese dann längere Zeit offline. Eine Medienkonferenz gibt es laut Pfisters Website noch nicht, für Fragen der Journalisten steht er nicht zur Verfügung. Auf der Website der Mitte-Kantonalpartei wiederum findet man sechs Sätze und – inzwischen – einen Medientermin. Am Donnerstag um 10 Uhr lädt sie nach Baar ein.

Mit Verlaub, aber diese Ankündigung ist ein Fehlstart, Martin Pfister muss damit rechnen, als  «last minute Martin» etikettiert zu werden. Er wollte seine Partei vor einer Schmach bewahren, das ehrt ihn. Jetzt wird er verheizt.

Vor 20 Jahren habe ich Martin Pfister, als er noch nicht einmal im Kantonsparlament sass, kennengelernt. Er ist integer, ein guter Kopf. Zweimal wurde er mit dem besten Resultat als Regierungsrat wiedergewählt. Er mache einen «sehr soliden Job», sagen meine Vertrauenspersonen – keine Mitte-Parteigänger – im Kanton Zug.

Mit leeren Händen stehen die Frauen da. Niemand aus ihrem Kreis wollte kandidieren. Dies nachdem die Präsidentin der Mitte-Frauen unmittelbar nach Viola Amherds Rücktrittsankündigung Anspruch auf einen Platz auf dem Ticket angemeldet hatte.

Dass Amherds Rücktritt kommen wird, war seit zwei Jahren klar. Man hätte sich darauf vorbereiten können. Hätte, hätte, Fahrradkette.

Die Mitte konnte bei den eidgenössischen Wahlen 2023 leicht zulegen. Sie kommt bis auf 0,2 Prozentpunkte an die FDP heran und hat diese in Sitzen sogar überholt. Die Lust, dem früheren Feind aus Kulturkampf-Zeiten den zweiten Sitz im Bundesrat abzujagen, war lange spürbar.

Mit dem neuen Parteinamen, obschon weiterhin CVP drin ist, will die Mitte das Mittelland von St. Gallen bis Genf erobern, dort, wo heute die Mehrheit der Menschen lebt. Und jetzt spottet das halbe Land über die sie. So wird das nichts mit dem zweiten Bundesratssitz.

Die nächsten Wochen bis zur Bundesrats-Ersatzwahl werden nicht einfacher. Ob sich die peinliche Phase sogar elektoral niederschlägt, werden die kantonalen Wahlen im Wallis vom 2. März und eine Woche später in Solothurn zeigen.

Der «Chrampf» der Mitte um die Amherd-Nachfolge

Wenn eine Partei einen Sitz im Bundesrat ersetzen darf, hat sie die Chance, kleine Festspiele zu inszenieren. Voraussetzung dafür ist, dass die Schlüsselfiguren mitmachen und sich ans gleiche Drehbuch halten. Kaum etwas interessiert die Medien mehr als die Kapitel vor dem Wahltermin. Endlich einmal etwas Spannung und Glamour in einem Land, das nie einen König hatte! Parteien können ihr Personal ins beste Licht rücken und, wenn sie es geschickt machen, sogar Inhalte und Positionen vermitteln.

Der Mitte ist das nicht geglückt. Kaum hatte Viola Amherd ihren Rücktritt am 15. Januar bekanntgegeben, taten sich Gräben auf zwischen den katholisch geprägten Stammlanden (die am «C» im Parteinamen lieber festgehalten hätten, C für christlich) und den bevölkerungsstarken Kantonen, dort, wo die Parteimitglieder sozial-liberaler, progressiver und jünger sind. Keck preschten die Mitte-Frauen vor. Gerhard Pfister, der in der Partei mehr als acht Jahre lang einen Führungsanspruch hatte und sie schliesslich 2023 stabilisierte, war plötzlich nicht mehr «Master of Ceremony».

Inzwischen steht zwar «Mitte» drauf, es ist aber weiterhin CVP drin. Und diese CVP war immer ein Chor, in dem man gleichzeitig Arien vor Gershwin, Volkslieder aus dem 18. Jahrhundert und Popsongs singt. Das klingt meistens: kakophonisch.

Statt die Aufmerksamkeit zu nutzen und auf das Karussell zu steigen, sagten mehr als ein halbes Dutzend mögliche Papabili ab. Die Partei macht dieser Tage einen pitoyablen Eindruck. Satiriker Bänz Friedli, gerade mit seinem neuen Programm auf Tournee, träufelt Zitronensaft in die offene Wunde. Wie immer befähigt, Tagesaktuelles einzubauen, fragt er, ob jetzt «Verzweiflungskandidaturen» kämen.

Heute wird der St. Galler Nationalrat Markus Ritter von seiner Kantonalsektion ins Rennen geschickt, und das ist kein Verzweiflungskandidat. Aus der Zentralschweiz ist spürbar, dass Ständerätin Andrea Gmür sich sehr für die Amherd-Nachfolge interessiert. Klar ist: Wer immer die Walliserin im Bundesrat ersetzt, muss das VBS übernehmen – ein grosses Departement mit einigen Fürsten, ein paar kalten Kriegern und vielen Baustellen.

Darüber habe ich im «TalkTäglich» von TeleZüri und seinen Schwestersendern TVO (Ostschweiz), TeleM1 (AG/SO) und TeleBärn gesprochen – zusammen mit Gastgeber Oliver Steffen und Doris Kleck, der Co-Bundeshausleiterin von CH Media. Hier gibt’s den Talk zum Nachschauen.

Viola Amherd und Gerhard Pfister gehen: Zwei Rücktritt, zwei Hypothesen

Im August 1995 trat Otto Stich (SP) vor die sommerlich-schläfrigen Medien und gab seinen Rücktritt bekannt. Niemand hatte damit gerechnet, der Solothurner Bundesrat freute sich spitzbübisch. Gestern schaffte Viola Amherd (Die Mitte, Foto links) dasselbe Kunststück.

Am 6. Januar hatte Gerhard Pfister (rechts) seinen Rücktritt als Mitte-Präsident auf Juni angekündigt, neun Tage später folgt Amherd. Sie beendet ihre politische Karriere bereits Ende März. Gibt es einen Zusammenhang?

Die Gilde der Kaffeesatzleser hat jetzt Konjunktur. Zwei Hypothesen.

A) Der Plan
Es gibt Journalistinnen und Politbeobachter, die davon ausgehen, dass Pfister mit einigem Vorlauf von Amherds Entscheidung wusste. So konnte er sich mit seiner Ankündigung die Pole Position für die Nachfolge sichern. Der ausgebuffte Stratege weiss, wie man das Spiel liest.

B) Die List
Amherd wollte eigentlich nach der Frauen-Fussball-EM im Sommer ihren Rücktritt ankündigen. Doch weil diese Absicht derart logisch war und herumgeboten wurde, zudem die Mühsal mit den harzigen Geschäften immer mehr nervt, verschob sie den Termin auf März. Auf diese Weise überlistete sie alle und kann – mutmasslich – einen alleinigen Abgang aus der Landesregierung geniessen. Sie überlistet insbesondere Pfister, der die Partei weiterhin präsidiert und damit unter Zugzwang kommt.

Eine Doppelrolle – Präsident und Bundesratskandidat – ist generell nicht ideal, gerade bei der Mitte, weil Pfister sie stark geprägt hat. Will der Zuger Bundesrat werden, muss er die Führung der Partei schleunigst an das Vizepräsidium abgeben. Pfister hat nicht nur Freunde unter der Bundeshauskuppel, andere heiss gehandelte Kandidaten seiner Partei sind populärer. Eine Imagekorrektur braucht Zeit, acht Wochen sind eine kurze Phase.

Hypothese B klingt abenteuerlich, ich weiss. Aber hey, man sollte Walliserinnen nie unterschätzen.

Zwei Interviews, die ich zu diesem Thema gegeben haben, sind hier verlinkt:

🗞️ Über den Einfluss der SVP und die Lust, für den Bundesrat zu kandidieren – «Watson»

📺 Über mögliche Nachfolger und die Chancen eines Doppelrücktritts mit Ignazio Cassis  – Live-TV-Interview von gestern Nachmittag
«20 Minuten» (Dauer: 20 Minuten)

Foto: Die Mitte (Website)

Es geht nichts über geschicktes Timing

Viele Medien zeigten sich überrascht, als Gerhard Pfister (im Bild rechts) seinen Rücktritt als Parteipräsident auf Mitte Jahr bekanntgab. Das überrascht mich, weil der Zeitpunkt ideal ist für beide: die Partei und Pfister.

➡️ Die Vorbereitungen für eidgenössische Wahlen beginnen inzwischen zwei Jahre vor dem Wahltermin. Es macht also Sinn, wenn schon im Sommer dieses Jahres eine neue Kraft die Führung der Partei übernimmt.

➡️ Gerhard Pfister werden schon seit Jahren Bundesrats-Ambitionen nachgesagt. Die letzten neun Jahre haben gezeigt, dass er Parteipräsident kann. Der logische – und letzte – Karriereschritt wäre: Bundesrat. Der ausgebuffte Stratege hat sich für die Nachfolge von Viola Amherd (links) in eine ausgezeichnete Position gebracht. Es geht nichts über geschicktes Timing.

🟧 Amherd wurde im Dezember 2018 gewählt, ist also seit sechs Jahren im Amt. Sie erkämpfte ein Volks-Ja zu neuen Kampfjets (2020), schuf das neue Staatssekretariat für Sicherheitspolitik (2023), holte sich bei der Ausrichtung der Bürgenstock-Konferenz gute Noten (2024) und kann sich während der Fussball-EM der Frauen im Juli den Medien und Massen volksnah zeigen. Kaum jemand im Bundeshausperimeter glaubt, dass sie die Legislatur beenden wird, also bis Ende 2027 bleibt. Naheliegend ist vielmehr, dass Sie auf Ende dieses oder nächsten Jahres aufhört.

Bei Bundesratswahlen ist Standard, dass Fraktionen Zweiertickets präsentieren. Ob dieses oder nächstes Jahr: Die Mitte-Fraktion wird nicht darum herumkommen, Pfister zu nominieren. Seine Verdienste für die Partei sind gross, und sie sind breit anerkannt. Ihm gelang es zusammen mit Generalsekretärin Gianna Luzio, seiner wichtigsten Vertrauten, die Partei zu stabilisieren, mit der BDP zu fusionieren und ihr einen neuen Namen zu verpassen.

Das «C» ist weg, nachdem sich das katholische Milieu schon zuvor aufgelöst hatte, und damit wird Die Mitte auch im urbanen Mittelland wählbar. Die CVP hätte übrigens bereits 1970 die Chance gehabt, einen Namen ohne «C» zu wählen: Zur Auswahl stand damals u.a. Schweizerische Volkspartei (SVP). Die heutige SVP hiess damals noch Bauern-Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) und notierte bei 10 Prozentpunkten. Die Parteienlandschaft sähe heute anders aus, wenn die Katholisch-Konservativen am entscheidenden Parteitag in Solothurn den Mut gehabt hätten, über ihren Schatten zu springen.

Doch zurück zu Pfister. Wenn er will, steht sein Name dereinst auf dem Zweierticket. Als Parteipräsident wäre das deutlich schwieriger. Die Wetten laufen.

Foto: Die Mitte (Website)

Vertrauen ist ein zentraler Faktor für den politischen Erfolg

Am Freitag wird der Bundesrat das Vertragspaket mit der EU der Öffentlichkeit vorstellen. Bis die letzten Details der Bilateralen III bereinigt sind, dürfte es Frühling werden. Danach beginnt der politische Prozess. Sollte das Parlament das Vertragswerk nicht zurückweisen, wird schliesslich das Stimmvolk darüber entscheiden können.

Seit dem Jahr 2000 haben wir – direkt oder indirekt – bereits zwölf Mal über die Bilateralen abgestimmt. Jede dieser Abstimmungen war von langen und intensiven Debatten begleitet.

Vertrauen ist bei Volksabstimmungen ein zentraler Faktor. Es geht dabei um das Vertrauen in Bundesrat und Parlament, aber auch in die Akteure der Wirtschaft. Über Jahrzehnte hinweg galt die Formel: «Was gut ist für die Wirtschaft, ist auch gut für das Land.» Doch seit der Finanzkrise 2008/2009, als die UBS mit Staatsmitteln (66 Milliarden Franken) vor dem Untergang gerettet werden musste, hat diese Überzeugung deutlich an Kraft verloren.

Der Lack war ab, das Vertrauen erschüttert.

In den Führungsetagen börsennotierter Unternehmen mit Sitz in der Schweiz stammt heute jeder zweite Manager aus dem Ausland. Viele von ihnen sind «Global Nomads»: Sie sprechen keine der Landessprachen, haben nie an einer Gemeindeversammlung teilgenommen, engagieren sich weder in der Feuerwehr noch im örtlichen Turnverein, und ihre Kinder besuchen meist eine englischsprachige Schule. Nach vier, fünf Jahren ziehen sie weiter, nach Singapur, Greater London oder in die Niederlande.

Wenn die Wirtschaft die Bilateralen III erfolgreich durchbringen will, braucht sie bekannte Persönlichkeiten, denen die Bevölkerung vertraut. Es braucht Geschäftsführerinnen, die überzeugend darlegen, dass der Wohlstand der Schweiz nicht durch den Anbau von Kartoffeln und Weizen entstanden ist, sondern durch den Export von Maschinen, Uhren und Medikamenten. Es braucht Patrons, die mit Leidenschaft erklären, welchen Beitrag ihre Familienunternehmungen leisten und wie wichtig ein liberaler Arbeitsmarkt ist.

Diese Woche wurde bekannt, dass der CEO des Energiekonzerns Axpo neben einem Jahresgehalt von 1,1 Millionen Franken auch einen Bonus von 649’000 Franken erhält. Besonders brisant ist dies, da die Axpo erst vor zwei Jahren nach einem Rettungsschirm in Höhe von vier Milliarden Franken rief und mehrheitlich den Kantonen gehört.

Solche Fälle schüren Missgunst und untergraben das Vertrauen in die Wirtschaft. Verwaltungsräte hätten die Möglichkeit, Boni mit gesundem Menschenverstand zu regeln.

Only in Switzerland

Die politisch interessierte Welt blickt in die USA. Trump oder Harris – too close to call. Viele US-Amerikanerinnen und -Amerikaner werden heute stundenlang in einer Schlange stehen müssen, um ihr Wahlrecht wahrzunehmen.

Vor wenigen Tagen sagte Bundesrat Albert Rösti an einer Veranstaltung in einer Basler Schule, dass er «eher zu Trump tendiere». Prompt sorgt diese Aussage für Wirbel. Auf der Bundesgasse stellt mir Urs Leuthard für die Sendung 10vor10 ein paar Fragen.

Nach dem Interview will ich so schnell als möglich zurück ins warme Büro. Vor dem Bundeshaus kommt mir ein Gestalt entgegen, in etwa gleich gross wie ich, aber besser gekleidet. Ich erkenne ihn. Mein Atem stockt.

«Grüessech, Herr Bundesrat!», sage ich.

Albert Rösti stoppt und schüttelt mir die Hand. Ein Wort gibt das andere. Ich warne ihn vor, dass er im «Staatssender» flach herauskommen werde und zwinkere mit den Augen. Er lächelt. Wir verabschieden uns, ich verzichte auf das Beweis-Selfie,  und er marschiert davon. Es ist weit und breit kein Bodyguard in Sicht.

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PS:
Die aktuelle Sendung von 10vor10 ist hier abrufbar, der Beitrag über Bundesrat Rösti kommt an zweiter Stelle.

PPS:
Ich tendiere übrigens zu Harris. Die Welt kann sich vier weitere Chaos-Jahre wie von 2017 bis 2020 schlicht nicht erlauben.

Die Gier nach Geld machte ihr den Garaus

Das letzte Wochenende habe ich mit ein paar feinen Leuten in Engelberg verbracht. Irgendwo im Schnee entdeckten wir tatsächlich jemanden, der die legendäre SKA-Mütze aus den Siebzigerjahren trug. Sie ist Kult, die Credit Suisse hingegen ist: Geschichte. Alfred Escher, der die Schweizerische Kreditanstalt (SKA) 1856 gegründet hatte, um das Eisenbahnnetz zu finanzieren, würde sich im Grab umdrehen.

Die Schweiz gilt als Hort der Stabilität. Doch im Moment wankt sie: Eben hat die UBS, die grösste Bank des Landes, die zweitgrösste «gerettet». Sonst wären die Credit Suisse und mit ihr viele kleine Banken, zahllose KMU usw. in den Abgrund gerissen worden, was unter Umständen weltweit eine Finanzkrise ausgelöst hätte. Der Bundesrat hat die Übernahme mit einer Notverordnung orchestriert und vielleicht stimmt es, dass dies die beste aller schlechten Optionen ist.

Mächtige Player aus den USA, Grossbritannien und Saudi-Arabien wollten mit der Credit Suisse einen Konkurrenten aus dem Weg räumen. Sie bot sich an, weil sie schwächlich geworden war. Im Jahr 2007 notierte die CS-Aktie bei 80 Franken, am Freitagabend bei Börsenschluss noch bei 1 Franken 86. Diese Talfahrt ist beispiellos, und sie hat einen Grund: Die Boni-Kultur höhlte das Unternehmen von innen immer mehr aus. Selbst wenn die Credit Suisse tiefrote Abschlüsse machte, durften sich ihre Manager bedienen. Nach vielen Fehlern und Skandalen war das Vertrauen schliesslich im Eimer. Der gigantische Kapitalabfluss der letzten Phase (bis zu 10 Milliarden Franken pro Woche) zeigt dies eindrücklich.

In den letzten 20 Jahren hat die Credit Suisse 42 Milliarden Franken Boni ausbezahlt – 42’000’000’000 Franken! Wie kaputt ist diese Bank? Das krasseste Beispiel: Brady Dougan kriegte 2009 nebst seinem fixen Gehalt von 18 Millionen einen Bonus von 71 Millionen Franken. Die Gier der Manager nach dem schnellen Geld hat ihr schliesslich den Garaus gemacht.

Gestern Abend traten einzelne Figuren von Bundesrat, Nationalbank, Finma, UBS und CS vor die Medien. Schuld am Aus der Credit Suisse seien «Gerüchte auf Social Media», wurde erläutert. Und die «Too-big-to-fail»-Regulierung funktioniere in der Schweiz gut.

Fakt ist: Die Finanzmarktaufsicht (Finma) hat die «To-big-to-fail»-Regulierung, die nach der Finanzkrise 2008 eingeführt wurde, noch gar nie angewendet. Die Trennung der Banken nach Sparten – hier klassische Dienstleistungen wie die Kreditvergabe, dort das hochriskante Investmentbanking – war vor ein paar Jahren im Parlament nicht mehrheitsfähig.

Für gerade einmal 3 Milliarden Franken reisst sich die UBS die Credit Suisse unter den Nagel. Das ist ein Spottpreis. Seitens des Staats gibt es eine Defizitgarantie von 9 Milliarden Franken, die Nationalbank hilft bei Bedarf mit einem Darlehen von bis zu 200 Milliarden Franken. Mir wird schwindlig. Doch zurück zur Medienkonferenz:

 Hörten wir gestern Abend einen kritischen Nebensatz von Finanzministerin Karin Keller-Sutter oder Bundespräsident Alain Berset an die Adresse der CS-Spitze? Nada.
 Hörten wir eine leise Selbstkritik seitens der CS-Spitze? Nada. Man müsse sich jetzt auf die Zukunft konzentrieren, sagte Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann.

 «Ach, ihr geldgetriebenen Säcke!», stöhnt Bürokollege Suppino leise!

Wenn alles gut läuft beim Entstehen der neuen Riesen-Bank, braucht es unsere Steuergelder nicht. Die wichtigste Währung in diesem Game: Vertrauen. Das wird eine anspruchsvolle Übung. Nicht zu vergessen: Das eidgenössische Wahljahr hat seit gestern ein Mega-Thema. Die Parteien werden sich von heute an überbieten mit Forderungen und Anschuldigungen.

PS:
Buchtipp zum Thema: «Frühling der Barbaren» von Jonas Lüscher. Die Novelle kam zwar schon vor zehn Jahren heraus, ist aber wieder brandaktuell und ein famoses Stück Literatur.

Foto: Der Spiegel

Berset versucht, auch diese Affäre auszusitzen

Während der Pandemie soll es eine Standleitung zwischen Alain Bersets Kommunikationschef und dem CEO des Ringier-Konzerns gegeben haben. Regelmässig informierte Peter Lauener Marc Walder per E-Mail, welche Anträge Berset an der nächsten Bundesratssitzung stellen wird. Er leakte also vertrauliche Informationen, der «Blick» konnte so immer wieder mit Primeurs aufwarten.

Das ist die Essenz dessen, was die «Schweiz am Wochenende» publik machte.

Die Corona-Leaks bringen nun die Drähte zum Glühen, zumal es den Überflieger in der Landesregierung betrifft und im eidgenössischen Wahljahr viele Akteure ihre Süppchen kochen.

Ich versuche, fünf wichtige Punkte dieses Falles aufzudröseln.


1. Wer steht in der Kritik?

Es handelt sich zunächst um einen Fall Lauener und einen Fall Walder. Im Fokus stehen der frühere Kommunikationschef von Alain Berset, Peter Lauener, und der CEO des Ringier-Konzerns, Marc Walder.

Medien müssen kritisch beobachten und berichten, dürfen sich aber nicht mit einer Sache gemein machen. Das vergassen Walder und der «Blick» offensichtlich.

Ob daraus ein Fall Berset wird, ist zurzeit offen. Er sagt, er wisse nichts von den Kontakten zwischen Lauener und Walder. Kraft seines Amtes konzentriert sich das Interesse natürlich auf Berset.

Er überlebte in den letzten Jahren mehrere Affären, die er jeweils als privat deklarierte und schnell entschärfen konnte. Die Corona-Leaks haben allerdings eine andere Dimension.

Wegen der Summe aller Affären hat Berset viel an Glaubwürdigkeit verloren. Das zeigte sich bereits bei seiner Wahl zum Bundespräsidenten am 7. Dezember, als er nur 140 Stimmen erzielte.

Jeder Fall oder Fehltritt von öffentlichen Personen hat eine moralische Beurteilung zur Folge. Sie kommt schnell, die juristische Aufarbeitung hingegen braucht meistens einige Monate.


2. Berset sagt zum regen Austausch zwischen Lauener und Walder: «Ich weiss es nicht. Ich kann es nicht wissen.» Ist das glaubwürdig?

Peter Lauener war seit dem Amtsantritt Bersets im Januar 2012 bis zu seinem leisen Abgang im Frühsommer 2022 eine zentrale Figur im Innendepartement (EDI). Er gilt als brillanter Stratege und Redenschreiber und hat grossen Anteil an der Figur Berset, wie sie die Öffentlichkeit wahrnimmt. Das Duo harmonierte gut, Lauener war Bersets Schatten.

Vor diesem Hintergrund ist es schwer vorstellbar, dass Berset nicht um Laueners Austausch mit dem Ringier-Manager wusste. Falls dem so war, muss Berset sich den Vorwurf gefallen lassen, seinem wichtigsten Sparringpartner eine sehr lange Leine gelassen zu haben.


3. Berset schweigt. Ist das eine gute Strategie?

Bundesrat Berset äusserte sich am Samstagabend gegenüber Radio RTS und sprach dabei von «illegalen Indiskretionen». Dass jemand in seinem Departement über eine längere Zeitspanne vertrauliche Informationen weitergab, blendete er natürlich aus.

Es gibt aktuell keine Strafuntersuchung gegen Berset. Er markierte beim RTS-«Forum» Präsenz und drehte den Spiess um. Jetzt wird er schweigen und versuchen, auch diese Affäre auszusitzen.

Die beiden Geschäftsprüfungskommissionen sind wegen anderen Indiskretionen aus dem Bundeshaus längst an der Arbeit. Sie werden nun auch diesen Fall anschauen. Allerdings sind ihre Möglichkeiten beschränkt.


4. Wie grosse ist der Schaden für Bersets Partei, die SP?

In Wahljahren sind alle Parteien nervös, jede möchte, dass ihre Mitglieder im Bundesrat beim breiten Publikum gut ankommen. Dass es in Bersets Departement wieder rumpelt, setzt die SP und den Gesundheitsminister unter Druck. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass verschiedene Akteure diese Affäre parteipolitisch ausschlachten wollen. Die SP bleibt auch bei einem allfälligen Rücktritt in einer vertrackten Lage.


5. Lauener informierte Walder einmal darüber, dass ein 100-Millionen-Franken-Deal mit Biontech/Pfizer vor der Unterzeichnung stehe.

Das ist so, und der Kurs dieser Aktie stieg in den darauf folgenden Wochen massiv. Wer in jener Phase einstieg, verdiente viel Geld. Die Informationen waren börsenrelevant. Ob das Weitergeben dieser Insider-Informationen strafrechtlich verfolgt werden kann, weiss ich nicht.

 

Foto Alain Berset & Marc Walder: Watson

Weshalb Natalie Rickli nicht für den Bundesrat kandidieren wird

Die letzten 24 Stunden sind ein paar Medienanfragen zur Nachfolge von Bundesrat Ueli Maurer eingegangen. Alle Journalisten nennen den Namen der Zürcher Regierungsrätin Natalie Rickli, laut Tamedia hat sie «auf dem Papier das beste Anforderungsprofil». In der Tat war Rickli von 2007 bis 2019 Nationalrätin, ehe sie im Frühling 2019 in den Regierungsrat gewählt wurde. Als einzige der bislang genannten Personen hat sie also Erfahrung auf nationaler Ebene und in einer kantonalen Exekutive.

Dennoch glaube ich nicht daran, dass sie für den Bundesrat kandidieren wird. In diesem Blogposting führe ich aus, wieso.

Rickli und Ernst Stocker wurden am 13. April 2022 von ihrer Partei wieder für den Regierungsrat nominiert. Stocker ist mit 67 Jahren bereits im Pensionsalter. Er wurde bekniet, nochmals anzutreten, weil sonst weit und breit kein geeigneter Kandidat zur Verfügung stand, der den zweiten SVP-Sitz in der siebenköpfigen Regierung souverän hätte verteidigen können. Also muss Stocker nochmals ran.

Die Gesamterneuerungswahlen im Kanton Zürich finden am 12. Februar 2023 statt. Sie haben eine übergeordnete Bedeutung, weil ihre Resultate als Vorboten für den Ausgang der eidgenössischen Wahlen im Oktober 2023 gedeutet werden. Deshalb gilt für jede Partei: verlieren verboten!

Rickli ist wohlgelitten im Entscheidungszirkel rund um Übervater Christoph Blocher, bei der SVP weiss man, was man an ihr hat. Eine Bundesrätin Natalie Rickli, im November wird sie 46-jährig, würde der Partei ein junges und frisches Aushängeschild bescheren. Selbstverständlich wird sie nun hinter den Kulissen bearbeitet.

Allerdings stimmt das Timing nicht für sie. Die Maurer-Nachfolge wird am 7. Dezember unter der Bundeshauskuppel entschieden. Von der SVP wird ein Zweiervorschlag erwartet. Alles andere wäre ein Affront gegenüber den anderen Fraktionen, die deswegen eine wilde Kandidatur vorziehen könnten. Die Dynamik sollte man nicht unterschätzen, zumal Bundesratswahlen geheim sind.

Nehmen wir an, dass Rickli für den Bundesrat kandidiert. In einem solchen Fall steht die SVP-Kantonalsektion vor der Herausforderung, einen Ersatz für Rickli aus dem Hut zu zaubern, der realistische Wahlchancen für die Zürcher Regierung hat. Doch wer ist dieser Mister oder Miss X? Wenn vor Jahresfrist kein Nachfolger für Stocker gefunden werden konnte, wäre die Suche in den nächsten Wochen kaum einfacher. Wer will im Ernst zu einem derart späten Zeitpunkt ins Rennen steigen und sich verheizen lassen?

Im mit Abstand bevölkerungsreichsten Kanton will die stärkste Partei ihren zweiten Regierungssitz gewiss nicht verlieren. Das wäre Sand im Getriebe während des eidgenössischen Wahljahres.

Das Risiko ist auch für Rickli gross. Zweifellos würde sie es auf das Zweierticket der Fraktion schaffen, beispielsweise zusammen mit Albert Rösti (BE), Esther Friedli (SG) oder Alt-Parteipräsident  Toni Brunner (SG). Was aber am Wahltag  geschieht, ist komplett offen. Wenn sie den Sprung in den Bundesrat nicht schafft, kann sie nur schwerlich zurück zu Plan A schwenken, der Wiederwahl für den Zürcher Regierungsrat. Das Volk würde ein solches Hüscht und hott kaum goutieren.

Natalie Rickli ist mediengewandt wie nur wenige Spitzenfiguren in der Schweizer Politik. Sie wird es schaffen, vorläufig als Bundesratskandidatin im Gespräch zu bleiben. Rechtzeitig entscheidet sie sich dann aber für ihre angestammte Position. Das wird dann etwa so klingen: «Es ist eine Ehre, für eine Bundesratskandidatur angefragt zu werden. Nach reiflichen Überlegungen bin ich zum Schluss gekommen, dass in Zürich noch ein paar wichtige Aufgaben auf mich warten.»

So geht Wahlkampf – für den Termin im Februar 2023. Zugleich empfiehlt sich Rickli für die Nachfolge von Bundesrat Guy Parmelin (63), der seit 2015 im Amt ist, also vermutlich noch drei Jahre macht. Oder sie kandidiert 2027 für den Ständerat. Dann wird Daniel Jositsch (SP) nach 12 Jahren im Stöckli und insgesamt 16 Jahren in Bundesbern vermutlich abtreten. Die Chancen stehen für Rickli gut, wenn sie in ihrer zweiten Legislaturperiode als Regierungsrätin keine grossen Fehler macht. Ist sie erst einmal im Ständerat, kann auch der Sprung in die Landesregierung klappen, siehe Karin Keller-Sutter, die eine vergleichbare Karriere hinter sich hat.

Foto: Tages-Anzeiger