Plötzlich wird zum Angriff geblasen: Die CVP will im Dezember wieder zwei Sitze im Bundesrat. Dreieinhalb Jahre lang hiess es unisono und gebetsmühlenartig, dieses Ziel werde erst im Jahr 2011 wieder angepeilt. Die Verletzungen der Abwahl Ruth Metzlers gingen tief, ein Wähleranteil von nur noch 14,4 Prozent bei den Nationalratswahlen 2003 liess die Christlichdemokraten einen Reformprozess anstossen.
Offiziell wird die Offensive so begründet: Der Bundesrat verschleppe u.a. das von Wirtschaftsministerin Doris Leuthard (CVP) angeschlagene Tempo zur Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips. Folglich brauche es mehr Mitte in der Landesregierung. „Jetzt reichts“, sagten sie Generalsekretär Reto Nause und die Parteileitung der CVP. Eine knappe Medienmitteilung am Freitagabend, ergänzt von einer E-Card, die prominent auf der Website platziert wurde, bereitete den Boden. Der Text:
„Mit mehr CVP Bundesräten könnten die Handelshemmnisse aus dem Weg geräumt werden, an denen die heutige Mehrheit im Bundesrat festhält. Weitersagen!“
Die Sonntagsausgabe der „Südostschweiz“ machte den Angriff publik, die Agenturen zogen nach. Heute thematisieren Schweizer Radio DRS und viele Tageszeitungen die Wende – vom “Blick” bis zur NZZ. So wird dieser dünnen Geschichte ein beachtlicher Resonanzkörper verliehen. So generiert man die entscheidende Öffentlichkeit. So rasselt man mit dem Säbel.
Das Timing stimmt: Zufälligerweise hat das Sommerloch begonnen, zufälligerweise sind die Redaktionen ferienhalber schwächer dotiert und deshalb noch empfänglicher für ein solches Thema. Zufällig berichten Journalisten lieber über den echten oder vermeintlichen Sesseltanz im Bundesrat als über komplexe Dossiers.
Besonders herausgefordert ist die FDP, weil: Der CVP-Angriff richtet sich klar gegen sie. In der medialen Wahrnehmung wackelt der zweite FDP-Bundesratssitz am stärksten, dort ist die Nervosität grösser als anderswo. Die SP spielt ein wenig Schiedsrichter, die Grünen kokettieren weiterhin ein wenig mit einem eigenen Sitz, die Liberalen werden ein wenig mehr umschwärmt.
In den nächsten Tagen wird die Geschichte weitergeschrieben. Die Sommerpause ist noch lang. Ironie beiseite: Wenn durch diesen Schachzug eine echte Debatte angestossen wird und der Wahlkampf endlich auf Touren kommt, wäre das eine gute Entwicklung.
Mark Balsiger