Weshalb drei Themen und drei Bundesräte die entscheidenden Faktoren sind
Publiziert am 28. September 2007wahlkampf2007_prognose_28september2007_printversion.pdf
Das Publikum zu erreichen ist die grösste Herausforderung für die Parteien. Das zeigt der Wahlkampf 2007 exemplarisch. Unter dem Strich gibt es drei dominante Themen und drei Bundesräte, die die Wahlen am 21. Oktober entscheiden werden. Eine These.
Die Kurzformel der erfolgreichen Kampagnenführung lautet: Profil, Themenführerschaft, Köpfe, Medienpräsenz. „Wer über Jahre hinweg klare Positionen vertritt und diese auch verkaufen kann, wer seine besten Köpfe konsequent ins Schaufenster stellt und die Mechanismen der Medien verinnerlicht hat, schläft bis zum Wahltag am 21. Oktober 2007 ruhiger.“ Diese Aussage machte ich vor einem Jahr. Betrachten wir den Wahlkampf 2007 nach diesen Kriterien. Er wurde bislang von drei Themen dominiert:
– Klimawandel
– Ausländer
– Christoph Blocher
Der Klimawandel ist seit dem Jahrhundertsommer 2003 omnipräsent. Wir alle sehen und spüren ihn. Deswegen spielt er eine überragende Rolle und wird sich am deutlichsten im Wahlergebnis vom 21. Oktober niederschlagen. Der UNO-Klimabericht, Al Gores Film und die „Life Earth“-Konzerte im Sommer leisteten das ihre, um dieses Thema im Sorgenbarometer vorübergehend auf den ersten Platz zu hieven. Das beflügelt die Grünen. Sie haben bereits in den letzten vier Jahren bei allen kantonalen Wahlen zugelegt. Sie ernten die Früchte ihres konsequenten Kampfes für die Umwelt. In der Wahrnehmung der Bevölkerung haben sie in der Klimapolitik die alleinige Themenführerschaft.
Den Problemkreis Ausländer und Integration bewirtschaftet die SVP seit langem konsequent und höchst erfolgreich. Die tragischen Ereignisse in Zürich-Seebach, schlecht integrierte Ausländer, die herumlungern oder straffällig werden, aber auch die Polemik um Minarette befeuern die Propaganda der Partei. Die unterschwellig xenophobe Stimmung, die seit den beiden Überfremdungsinitiativen von James Schwarzenbach vor 40 Jahren Einzug gehalten hat, gibt ihr den Nährboden. Die Schweizer Bevölkerung schreibt beim Thema Ausländer nur der SVP die Themenführerschaft zu.
Die Identifikation bei der SVP geschieht weiterhin über ihre Überfigur, und das hilft ihr enorm. Zudem: Keine andere Partei verfügt über eine ähnlich gut gefüllte Kriegskasse, die flächendeckenden Inserate- und Plakatwellen der letzten zwei Monate haben alle Rekorde gebrochen. Die SVP hat als einzige Partei begriffen, wie man schweizweit Kampagnen fährt. Gewählt wird zwar weiterhin in 26 verschiedenen Wahlkreisen, die Kantonsgrenzen sind aber im modernen Wahlkampf kaum mehr relevant.
Christoph Blocher ist – paradoxerweise – ebenfalls ein Thema zur Sache. Von seinem „Kniefall in Ankara“ im letzten Herbst bis zum angeblichen „Komplott“ und seinem „Blocher-TV“ – der Justizminister diktiert regelmässig die Schlagzeilen. Er surft geschickt auf den hohen Wellen, die er und die SVP schlagen. Die anderen Parteien und die meisten Medien reagieren gleich wie eh und je: Sie heulen reflexartig auf. Blocher bleibt ein thematischer Dauerbrenner – am Stammtisch wie im Feuilleton.
Gibt es andere Themen, die bis in weite Teile der Bevölkerung vorgedrungen sind? Etwa die „Easy Swiss Tax“? Parallelimporte? Die Finanzierung von Kinderkrippen? Diese Liste liesse sich beliebig erweitern, der Befund bleibt gleich: Diese Themen sind zu wenig brisant, emotional kaum aufladbar. Und deshalb taugen sie wenig für einen effektvollen Wahlkampf. CVP, FDP und SP schafften es bislang nicht, die Agenda zu prägen.
Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass die Schweizerinnen und Schweizer sich stärker über Personen als über Sachthemen identifizieren. Die Personalisierung der Politik ist weit fortgeschritten. Ein paar Leaderfiguren dominieren die politische Arena. Das mediale Interesse fokussiert sich inzwischen auf die Bundesräte. Dort sitzen die interessantesten Persönlichkeiten. Die Veränderung ist offensichtlich: Noch in den neunziger Jahren standen die Parteipräsidenten im Zentrum, erinnert sei an Franz Steinegger (fdp), Peter Bodenmann (sp) oder Carlo Schmid (cvp).
Der moderne Wahlkampf ist stark personalisiert. In der Schweiz wird er von drei Bundesratsmitgliedern dominiert:
– Micheline Calmy-Rey
– Doris Leuthard
– Christoph Blocher
Das monatelange Theater um die Rütlifeier wird in die Lehrbücher politischer PR eingehen. Bundespräsidentin Calmy-Rey eroberte in wenigen Wochen das ureigene Terrain der SVP. Sie holte sich diesen Triumph mit einer Mischung aus sicherem Instinkt, Raffinesse, der ihr eigenen Hartnäckigkeit sowie der Unterstützung einiger Massenmedien.
Doris Leuthard wiederum ist die Ausnahmeerscheinung der Schweizer Politik. Sie hat der CVP ein Gesicht und neues Selbstvertrauen gegeben, sie ist in der Bevölkerung ungemein populär. Auch wenn sie nicht so öffentlichkeitswirksam wie andere kämpft, ist sie der beste Trumpf für ihre Partei. In der Wahrnehmung des Publikums gilt die Gleichung: Doris Leuthard = CVP. Folgerichtig hat ihre Partei den passende Slogan geboren: „CVP wählen heisst Doris Leuthard stärken.“ Praktisch gleich lautet die Propaganda für Christoph Blocher. Er ist der beste Wahlkämpfer der SVP, eine Rolle, die er bereits seit 1991 innehat. Sein Wechsel in den Bundesrat im Dezember 2003 ändert nichts an diesem Befund.
Die entscheidenden Faktoren des Wahlkampfs 2007 münden in folgende Prognosen:
SP: 2003: 23,2% 2007: minus 1,5 bis 2%
Grüne: 2003: 7,4% 2007: plus 2 bis 2,5%
CVP: 2003: 14,4% 2007: leichtes Plus von max. 0,8%
FDP: 2003: 17,3% 2007: minus 1,5 bis 2,5%
SVP: 2003: 26,7% 2007: plus 0,5 bis 1,5%
(Wähleranteile lassen nicht eins zu eins auf Sitzgewinne oder -verluste schliessen. Mitunter hat das Wahlsystem Überraschendes zur Folge: 1999 verlor die CVP beispielsweise Wähleranteile, holte aber einen zusätzlichen Sitz.)
Mark Balsiger
P.S. Tony Blair sagte einmal: „Du kannst im Wahlkampf hundert kleine Dinge richtig tun. Wenn du aber bei den entscheidenden Faktoren versagst, wirst du verlieren.“ Der ehemalige britische Premierminister muss es wissen: Kaum ein anderer europäischer Spitzenpolitiker hat Triumph und Niedergang derart extrem erlebt.
Da bin ich gespannt. Möglich ist ja vieles. Kein grossartiger Prognostiker muss man sein, vorsauszusagen, dass sich die Veränderungen im Millimeterbereich bewegen wird. Das liegt am Wahlsystem. Noch eine These dazu: Der Ausgang der Wahlen werden dieses Jahr in einzelnen Kantonen (z.B. BS) – was die Sitzverteilung anbelangt – stark von der Verteilung der Restmandate geprägt. Die FDP nimmt übrigens die Umfrageergebnisse insofern etwas locker – gegenüber der CVP – weil sie immer noch im Stillen das eine Prozent Liberale hinzuzählt.