«Es ist richtig, wenn eine Partei auf Themen setzt, die sie schon lange bewirtschaftet»

Gestern stellte die SP Schweiz ihre Dachkampagne für die nationalen Wahlen im Oktober vor. Unterstützt wurde die Partei vom mehrfach preisgekrönten Werber Dennis Lück, der auch schon bei der Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz mitwirkte. Auf Anfrage des Online-Magazins «Persönlich» habe ich die aktuelle Kampagne beurteilt. Das Fazit ist mehrheitlich positiv, nachdem ich vor Jahren die damaligen Arbeiten hart kritisiert hatte. 


Mark Balsiger, was ist Ihr erster Eindruck der SP-Kampagne für die Parlamentswahlen im Herbst?

Politische Werbung erzielt Wirkung, wenn sie die Kernanliegen einer Partei auf ein Visual und eine Botschaft eindampfen kann. Es geht um die maximale Reduktion. Das gelingt der SP mit dem Slogan «Wir ergreifen Partei» und den drei Themen Gleichstellung, Klimaschutz und Kaufkraft sehr gut.

Wie wirken die visuellen Elemente der Kampagne auf Sie?

Mir gefallen die Schwarz-Weiss-Bilder. Die Visuals sind klassisch und kommen aufgeräumt und ohne Schnickschnack daher. Ich finde es schade, dass man weiterhin Grossbuchstaben verwendet. Damit leidet die Lesbarkeit. Das zeigen auch Erhebungen. Wenn der Text über drei oder vier Zeilen läuft, dann wirken Grossbuchstaben klobig.

Inhaltlich setzt die SP im Wahlkampf auf Gleichstellung, Klimaschutz und Kaufkraft. Sind das die richtigen Themen?

Die Themenkonjunktur spielt für die SP. Die soziale Sicherheit ist bei der Bevölkerung wieder wichtiger als früher. Zudem setzt die SP auf Themen, die sie schon lange bewirtschaftet. Damit hat sie sich schon Resonanzräume erarbeitet und muss jetzt nur noch hineinrufen. Das Echo kommt sofort, weil die SP mit Recht sagen kann, dass sie die Gleichstellungspartei sei und die schwindende Kaufkraft vielen Menschen Sorgen bereitet.

«Das Thema Klimaschutz kann die SP im Wahlkampf nicht den Grünen überlassen»

Mit dem Thema Klimaschutz tritt die SP aber ins Gärtchen der Grünen. Ist das für den Wahlkampf eine Chance oder ein Risiko?

Dass die Grünen vor vier Jahren satte 6,1 Prozentpunkte zulegen konnten, machte viele SP-Mitglieder muff, weil sie ja Klimaschutz genauso engagiert propagiert hatten. Die Nachwahlbefragung zeigte dann, dass ein Teil der SP-Wählerinnen zu den Grünen übergelaufen waren und dass die Grünen überdurchschnittlich viele Junge und Erstwähler abholen konnten. Klimaschutz zählt laut Umfragen weiterhin zu den drei wichtigsten Themen, also kann es sich die SP schlicht nicht erlauben, ihn im Wahlkampf links liegen zu lassen.

Andere Themen, die andere Parteien stark besetzen, etwa die Migrationspolitik, lässt sie im Wahlkampf links, respektive rechts, liegen. Ist das klug, hier das Feld der SVP zu überlassen?

Mit diesem Thema wäre kein Blumentopf zu gewinnen, was übrigens für alle Parteien ausser der SVP gilt. Also wird es dethematisiert, eine übliche Strategie. Migration ist eine ausgesprochen komplexe Herausforderung, und langfristig werden die Parteien nicht darum herumkommen, eigene Ansätze zu entwickeln. Slogans wie «Es kommen die falschen Ausländer!» bringen uns allerdings auch nicht weiter.

«Skandalisieren lässt sich inzwischen jeder Hafenkäse»


Mit dem Slogan «Klimaerwärmung stoppen. Bevor alles in Schutt und Aeschi liegt.» stichelt die SP gegen SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Könnte da der Schuss nach hinten losgehen?

Gewisse Leute freuen sich über diesen Dreh, andere finden ihn plump. Ich musste beim erstmaligen Lesen schmunzeln – für etwa zwei Sekunden. Aber klar: Skandalisieren lässt sich inzwischen jeder Hafenkäse, und die Klickmedien werden willfährig mitmachen.

Werber Dennis Lück, der die Kampagne für die Schweizer SP erarbeitet hat, war für die SPD in Deutschland tätig, als Olaf Scholz zum Bundeskanzler gewählt wurde. Lässt sich Erfolg über die Landesgrenzen hinweg kopieren?

Olaf Scholz wurde gewählt, weil er am glaubwürdigsten wirkte. Daran hatte die Kampagne ihren Anteil. Aber diese Fokussierung auf einen einzigen Kopf gibt es in der Schweiz nicht. Der Wahlkampf hierzulande gleicht einem Jekami. Ich gehe in diesem Jahr von rund 5000 Kandidatinnen und Kandidaten aus für die nationalen Wahlen.

Welche Rolle spielt eine nationale Dachkampagne für den Erfolg bei Wahlen, die in den Kantonen entschieden werden?

Ich bin weder Defätist noch Zyniker, aber die Durchschlagskraft von nationalen Parteikampagnen ist sehr, sehr bescheiden. Machen wir die Milchbüchleinrechnung: Vom Wahlkampfbudget der SP in Höhe von 1,6 Millionen Franken geht etwa ein Drittel in die französischsprachige Schweiz, bleibt also noch etwa eine Million für die Deutschschweiz, und das für eine Zeitspanne von rund zwei Monaten. Die Menschen in unserem Land sind täglich Hunderten von Werbeimpulsen ausgesetzt. Grossverteiler, Mobilfunkanbieter, Lebensmittelhersteller, Kleidermarken haben x-fach grössere Budgets als die Parteien.

«Die Kampagne der nationalen Partei wirkt auch gegen innen»


Wenn die Wirkung so bescheiden wäre, wie Sie behaupten, warum setzen die nationalen Parteien dennoch auf so aufwendige Kampagnen?

Die geringe Durchschlagskraft betrifft die breite Werbewirkung. Aber eine solche Kampagne wirkt natürlich auch gegen innen. Die nationale Partei geht voran und leistet Vorarbeit für die kantonalen und kommunalen Parteien, welche die Kampagnenelemente übernehmen und auch für ihren Wahlkampf verwenden können.

Das meint also Dennis Lück, wenn er sagt: «Eine Partei ist eine Marke, die überall gleich auftreten muss»?

Genau. Aber das gilt auch für den Inhalt einer Kampagne. Wenn eine Partei radikal auf den Kern ihrer Marke setzt und nur jene Themen systematisch bewirtschaftet, bei denen sie von den Leuten als kompetent eingestuft wird, hat sie Chancen, zuzulegen. Aber in einer föderalistischen, von unten gewachsenen Parteienlandschaft wird sich ein Markenbewusstsein nie komplett durchsetzen.

Dieses Interview erschient zuerst und (in einer leicht kürzeren Version) im Online-Magazin «Persönlich». Die Fragen stellte Nick Lüthi. 

In der Krise zeigt der Bundesrat Führungsstärke

Die Corona-Welle überrollt die Schweiz, viele Menschen reagieren verunsichert. Der Bundesrat steht vor seiner grössten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg: Er muss das Land durch diese schwierige Zeit navigieren und die Leute mitnehmen. Die Kommunikation ist ihm bislang überzeugend gelungen. In der Krise zeigt die Regierung plötzlich Führungsstärke.

Die erste Welle der BAG-Informationskampagne ist kein Wurf, aber sie knallt – fürs erste in Gelb. An der Südgrenze werden Ende Februar an Bahnhöfen und Tankstellen 200’000 Flyer verteilt mit den Piktogrammen «Händewaschen», «Abstand halten» und «zu Hause bleiben». In derselben Phase treten Gesundheitsminister Alain Berset und Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein erstes Mal vor die Medien. Sie verkünden die «besondere Lage» gemäss Epidemiengesetz. Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen sind ab sofort verboten. Ein Murren geht durchs Land, aber das Verständnis für die Einschränkung überwiegt.

Bis zum 20. März folgen vier weitere Medienkonferenzen, der Bundesrat ist jeweils mit bis zu vier Mitgliedern vertreten. Jedes Mal werden weitergehende Massnahmen verfügt. Als er am 16. März die «ausserordentliche Lage» bekanntgibt, spürt man am Ende vieler Sätze ein Ausrufezeichen. Es ist ein eindringlicher Appell an die Nation, und er wird verstanden. In normalen Zeiten hätte man die Landesväter und -mütter als schulmeisterlich kritisiert. In dieser Situation lauten die Prädikate: klar und führungsstark.

 

Am nächsten Abend, wenige Sekunden vor dem «Echo der Zeit» von Radio SRF, ertönt unverhofft eine monotone Stimme: «Empfehlung des Bundesrats: Bleiben sie zu Hause! Insbesondere wenn sie alt oder krank sind!» Würden draussen noch die Sirenen heulen, wähnte man sich im Krieg. Dieselbe Information läuft seither vor jedem Nachrichtenbulletin und auch während Spielfilmen am Fernsehen wird sie eingeblendet.

Google, Twitter und Instagram installieren in Absprache mit den Behörden ein Aufklärungstool, das User nach dem Eintippen von Schlüsselwörtern rund um das Coronavirus direkt zu den Informationen des BAG weiterleitet. Vergleichbares geschieht auf Facebook und Youtube, dort ist allerdings die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Lead. In der Informationskampagne des BAG wechselt die Signalfarbe Anfang März von Gelb auf Rot. Die Werbemittel haben nun sechs Piktogramme und werden im ganzen Land massiert eingesetzt.

Der Bundesrat informiert die Medien stetig und nutzt dabei auch seinen Youtube-Kanal, um die Bevölkerung direkt zu erreichen. Das wirkt vertrauensbildend. Bei seinen Auftritten wirken die Regierungsmitglieder entschlossen, sie kommunizieren klar und überzeugend. Keine Zweifel, die Landesregierung hat das Heft in die Hand genommen, führt top-down und setzt sich durch. In einem durch und durch föderalistischen Land passt das auch jetzt nicht allen. Wenn es sein muss, werden sogar Kantone zurückgepfiffen, wie jüngst das Tessin und Uri oder die Gemeinde Bagnes (VS). Dass die Websites der Bundesverwaltung einmal während mehreren Stunden «down» waren – vergessen. Dass Bundeskanzler André Simonazzi Twitter nicht geschickter nutzt – kein Thema. Dass das BAG laut einer Recherche der «Republik» mit einem veralteten Meldesystem arbeitet – eine Randnotiz.

Bislang hat die Regierung mit viel Fingerspitzengefühl antizipiert, was verhältnismässig ist. Sehr heikel war die Schliessung der Schulen. Diese Entscheidung wurde nicht auf der Basis von Studien getroffen, sondern war nur politisch motiviert. Weil die meisten Nachbarländer ihre Schulen bereits geschlossen hatten, war der Druck zu gross geworden. Ein anderes Beispiel ist der Ruf nach einer Ausgangssperre, der vor allem in der Westschweiz laut wurde. Der Bundesrat blieb bisher standhaft, verbot aber Ansammlungen von mehr als fünf Personen. Insgesamt zeigt der Bundesrat bislang das, was er vorab im Europadossier seit Jahren vermissen lässt: Führungsstärke.

Einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren: «Too little, too late!» Ihre Aussagen multiplizieren sich in den sozialen Medien. Aus epidemiologischer Sicht haben sie vielleicht recht. Aber nehmen wir einmal an, die Landesregierung hätte den «Lock Down» bereits Ende Februar verfügt. Weite Teile der Bevölkerung hätten die einschneidenden Massnahmen weder verstanden noch mitgetragen, von den Arbeitgebern ganz zu schweigen.

Autoritäre Staaten setzen ihre Verbote konsequent durch. Die Menschen in der Schweiz hingegen erstritten sich ihre Kultur der Eigenverantwortung und ihre Freiheitsrechte. Eine schnelle und massive Veränderung des individuellen Verhaltens ist nur möglich, wenn die Leute sie akzeptieren. Dieser Prozess wird beschleunigt, wenn der entscheidende Akteur eine hohe Glaubwürdigkeit hat. Hierzu erreicht der Bundesrat bei Umfragen seit Langem gute Werte. Noch wichtiger ist aber ein anderer Faktor: Es gibt keine Kluft zwischen der Politik und dem Volk. Die allermeisten Menschen in unserem Land verstehen sich als Teil des Staates.

 

Seit sich die Corona-Krise zugespitzt hat, findet in Bern täglich ein «Point de Presse» statt. Dort geben Schlüsselpersonen aus den einzelnen Departementen erschöpfend Auskunft, was wo läuft. Proaktiv zu informieren ist weise, weil so das enorme Interesse der Medien gebündelt werden kann. Zugleich verschaffen sich die Beteiligten wieder etwas Luft für andere Arbeiten.

Einen Riesenjob macht Bundesrat Berset, und man sieht ihm die Nachtübungen an. Über das Wochenende lancierte er auf seinem Instagram-Profil die «So-schützen-wir-uns»-Challenge und forderte Roger Federer, Christa Rigozzi und Stress heraus – drei populäre Stars in den drei grossen Sprachregionen. Sie zückten ihre Smartphones und multiplizierten in eigenen Worten die Botschaft. Die Aktion zog sofort weitere Kreise, längst auch auf Twitter.

Die wichtigste Figur bleibt allerdings Daniel Koch. Der ausgebildete Arzt aus dem BAG ist die Ruhe selbst. Bei den Medienkonferenzen hört er sich die Fragen geduldig an und gibt dann professionell und konzis Antwort. Manchmal scheint sein Kopf im etwas zu grossen Anzug zu verschwinden. Er könnte ein Bruder des famosen US-Schauspielers John Malkovich sein und lässt auch mal seinen trockenen Humor aufblitzen. Auf die Frage eines Journalisten, ob er ihm den Konjunktiv erklären könne, den der Pharmakonzern Roche bezüglich neuer Corona-Tests verwendet habe, entgegnet er mit seiner sonoren Stimme: «Nein, ich bin nicht Sprachwissenschaftler, deshalb kann ich ihnen den Konjunktiv nicht erklären.» Die Sequenz ging viral, Koch hat Kultpotenzial. Es würde nicht überraschen, wenn auf Facebook plötzlich Fan-Seiten auftauchten, die fordern: «Koch 4 President».


Dieser Artikel ist auf Anfrage der «Medienwoche» entstanden und wurde dort zuerst publiziert. Die Fotomontage bei dieser Onlinezeitung kreierte Bildredaktor Marco Leisi – Top-Arbeit. Danke, dass wir sie übernehmen durften. 

Disclaimer: Die Firma des Autors hat keine Mandate bei der Bundesverwaltung.

 

Vom Messerstecher-Inserat bis zum wurmstichigen Schweizer Apfel: Provokation funktioniert noch immer

Am Anfang war das Messerstecher-Inserat. Dieser Skandal liegt inzwischen 25 Jahre zurück. Seither werden in der Politwerbung immer mal wieder unsägliche Sujets in die Medienarena geschoben. Das Muster ist stets dasselbe: Ein Leadmedium erhält das Sujet exklusiv, andere Medien ziehen sofort nach, weil solche Themen viele Klicks generieren. Zigtausend Leute teilen es reflexartig auf Facebook und Twitter, nicht alle sind echt empört, sondern spekulieren auf Likes. Jedesmal steht alsbald die Forderung im Raum, dass die Provokateure sich entschuldigen und das Sujet zurückziehen. So hält sich das Thema über mehrere Tage, vielleicht sogar Wochen. Es sind die Gegner der SVP, die mit ihren fiebrigen Reaktionen für eine enorme Reichweite sorgen.

Das Muster funktioniert immer noch, die Gegner tappen wieder und wieder in dieselbe Falle, jedes Sujet geht viral durch die Decke.

Zurzeit enerviert sich ein Teil der Nation über einen Schweizer Apfel, der von fünf Würmern zerfressen wird. Sie symbolisieren andere Parteien und – natürlich – die EU.

Klar, die Bildsprache erinnert an die Nazi-Rhetorik der Dreissigerjahre («Ungeziefer»). Am Ende dieses Postings wird ein Sujet aus der antisemitischen Nazi-Zeitung «Der Stürmer» gezeigt. Deshalb dürfe man nicht schweigen, argumentieren viele. Ich stimme zu. Das Sujet sollte man allerdings nicht weiterverbreiten, weil es eine enorme Suggestivkraft hat. Was auffällt: Viele Gegner kommen nicht über ein «Pfui, ihr seid doch braune Trottel!» hinaus. Mit Verlaub, aber dieses Niveau ist auch bescheiden.

Mit dem Apfel-Würmer-Sujet gewinnt die SVP am 20. Oktober kaum zusätzliche Stimmen, aber sie hat sich damit einmal mehr die Aufmerksamkeit geholt und wir diskutieren über ein Thema, das in ihrem Drehbuch steht. Der Effekt: Die Parteimitglieder werden bei Laune gehalten, zugleich kann sie von den drängenden Problemen wie der Klimakrise oder den Krankenkassenprämien ablenken.

Dieselbe Bildsprache wurde bereits in den Dreissigerjahren verwendet

Schockierende Plakate und Inserate sind in der Schweizer Politwerbung keine Erfindung der SVP. So griffen sich in den Dreissigerjahren die Kommunisten und Faschisten regelmässig heftig an. Eines der damaligen Sujets besteht aus einer furchterregenden Fratze von Stalin, der ein Messer zwischen den Zähnen hat.

Nach dem Zweiten Weltkrieg konzentrierten sich die Parteien darauf, ihre eigenen Stärken in den Vordergrund zu stellen, die politischen Gegner wurden nicht mehr attackiert.

Der Tabubruch geschah Ende 1993 mit dem Messerstecher-Inserat. In den Schweizer Redaktionsstuben rauchten die Köpfe: Greifen wir dieses Thema journalistisch auf oder ignorieren wir es? Die Diskussionen waren intensiv, ich erlebte ein paar davon. Damals gab es weder Online-Portale noch Social Media, die etablierten Medien waren sich ihrer Verantwortung bewusst und agierten als Gatekeeper. Das Messerstecher-Sujet schaffte es trotzdem, zu einem grossen Thema zu werden.

Seither wurde eine ganze Reihe weiterer Sujets lanciert, etwa die dunklen Hände, die nach dem Schweizer Pass greifen, das Schäfchen-Plakat oder die Minarette, die aussehen wir Pershing-Raketen.

Solche Provokationen erzeugen Langzeiteffekte: Der Absender beeinflusst die Medienagenda, erhält viel Aufmerksamkeit, kann sich erklären und so seine Botschaften platzieren. Der Aufstieg der SVP seit 1991 von einer bäuerlich geprägten Partei mit 11 Prozent Wähleranteil zu einer modernen, top-down geführten Wählerorganisation mit 29 Prozent hat auch mit Aufmerksamkeitsökonomie zu tun. Keine andere Partei hat so früh und so konsequent die Medienlogik verinnerlicht.

Analogie zu den Dreissigerjahren: Die Nazi-Zeitung «Der Stürmer» publizierte einmal dieses Sujet namens «Der Wurm». Es war gegen die Juden gerichtet.
Quelle: AZMedien/TeleM1

Der Kampf der Kandidierenden um Aufmerksamkeit ist engagiert, aber meistens vergebliche Liebesmüh

Noch neun Tage.

Die Parteien haben zur Schlussoffensive geblasen. Bisherige, die um ihre Wiederwahl fürchten, und Ambitionierte, die Morgenluft wittern, gönnen sich keine Pause. Unermüdlich suchen sie den Kontakt mit den potenziellen Wählerinnen und Wählern, offline und online, und sie buhlen um die Aufmerksamkeit der Medien. Zuweilen wirkt das verbissen, manchmal verzweifelt, gelegentlich auch hilflos.

Ich ziehe meinen Hut vor den vielen Helferinnen und Helfern, die bis zum Schluss engagiert mitwirken. Und vor den Parteimitgliedern, die selber keine Wahlchancen haben, sich aber für ihre Spitzenkandidaten, ihre Überzeugungen und ihre Partei einsetzen. Das sind die wahren Helden des Wahljahres 2015!

strassenwahlkampf_cvp_sg_thomas_ammann_600Davon träumen alle Wahlkämpfer: Dass die Passantinnen und Passanten an ihren Ständen Schlange stehen.

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Kandidierende haben allerdings
ein grosses Problem: Sie erreichen die Leute kaum mehr mit ihren Aktionen und Werbemitteln, präziser: sie stossen mehrheitlich auf Ablehnung.

Was viele Marketingcracks und Werberinnen schon lange wissen, will ich hier ausführen. Und ja, dieser Text ist, wie so oft bei mir, eine Provokation.

Die Menschen in unserem Land sind täglich Hunderten von Werbeimpulsen ausgesetzt. Damit gehört die Schweiz zusammen mit den USA zu den Spitzenreitern.

Gehen wir einmal davon aus, dass die meisten Leute acht Stunden pro Nacht schlafen, dann sind sie entsprechend 16 Stunden täglich „auf Empfang“. Zwischen dem Weckritual mit dem dauerhaft gut gelaunten Moderator am Privatradio, das seinen Umsatz in der Primetime zwischen 6 und 9 Uhr mit nerviger Werbung macht, und dem Zu-Bett-Gehen, werden wir stetig berieselt.

Machen Sie die Probe aufs Exempel: An welche Werbeimpulse des gestrigen Tages können Sie sich noch erinnern, die an Kandelabern, in Zeitungen, online, auf Taxistüren, hinter Schaufensterscheiben, zwischen der “Tagesschau” und der Wetterfee auf Sie lauerten? Wie viele davon stammen von Parteien oder Kanddierenden?

Pause… Eben.

Die allermeisten Werbekontakte haben wir gar nicht richtig bemerkt, geschweige denn aufgenommen. Die permanente Reizüberflutung hat ihren Preis: wir wurden stumpf. Uns erreichen nur noch atypisch formulierte Botschaften. Oder Kampagnen, die mit gigantischen Budgets aufwarten können. Das Rebranding von Orange zu Salt hat in den letzten fünf Monaten 40 Millionen Franken verschlungen. Damit konnte sich der Mobilfunkanbieter in unser Bewusstsein bomben. Den 200 Kantonalparteien, Mutterparteien und rund 2500 Kandidierenden, die mindestens 500 Franken für ihren Wahlkampf aufwerfen (1200 machen nicht einmal den Finger krumm!), steht in diesem Jahr – konservativ geschätzt – dieselbe Summe zur Verfügung.

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Einer der Megatrends unserer Zeit ist die Beschleunigung. Mensch steht immer unter Strom, hetzt von A nach B und von B nach C, er kontrolliert 66 Mal am Tag sein Smartphone, fliegt schnell für 17 Franken und 17 Stunden nach Barcelona – Stress, auch in der Freizeit. Werbung wird fast immer als störend empfunden. Deshalb haben sich schon vor vielen Jahren die “Stopp – bitte keine Werbung!”-Kleber durchgesetzt. Wir klicken die Banner auf den mobilen Geräten weg und schauen TV-Sender, die Spielfilme ohne ärgerliche Werbepausen zeigen.

Das Wahlmaterial, das seit Wochen unsere Briefkästen füllt, landet ungelesen im Altpapier. Diese Köpfe und Botschaften – oft austauschbare Allgemeinplätze auf Billigpapier – verstärken unsere ohnehin schon grosse Werbeverdrossenheit. Kommt dazu: Wir. Haben. Keine. Zeit. Auch zu Hause nicht, schon gar nicht für Wahlen. Und überhaupt sagten es Doris Dosenbach von nebenan und der ehemalige Schulfreund Hugo Hugentobler schon treffend: “Kurz vor einem Wahltermin tauchen sie jeweils auf, diese Politiker. Kaum sind sie gewählt, scheren sie sich einen Deut um uns.” Solche Aussagen bestärken uns in unserer Ablehnung: Meine Stimmen ändern ja ohnehin nichts, also lass ich es gleich bleiben.

Mensch empfindet es mehrheitlich als Belästigung, wenn ihm auf gut frequentierten Plätzen und in Bahnhöfen Flyer in die Hand gedrückt werden. Er will dieses Zeugs ja gar nicht. Er hat keine Zeit, weil er von A nach B muss, sein Sklavengrätli stets griffbereit. Das ist weniger anstrengend, als sich mit politischen Inhalten auseinanderzusetzen. Wer schon einmal bei einem Strassenwahlkampf dabei war, weiss, dass viele Leute einen Bogen um die Stände der balzenden Politiker machen. Und sie haben beobachtet, was mit den meisten Flyern passiert: Sie landen am Boden oder im nächsten Abfalleimer. Wer Schöggeli, Sugusli, Öpfeli oder Chüechli verteilt, kommt bei den gestressten Passanten etwas besser an. Deshalb verteilen inzwischen alle Kandidierenden Schöggeli, Sugusli, Öpfeli oder Chüechli. Die Flyer landen trotzdem am Boden.

Die Parteien und Kandidierenden in der Schweiz haben bescheidenste Ressourcen, selten kreative Ideen, es hapert bei der Umsetzung und beim Timing, ihr Kampf um Aufmerksamkeit ist zwar engagiert, meistens aber vergebliche Liebesmüh und fast nie nachhaltig. Sie versinken im breiig-lärmigen Strom der kommerziellen Werbung. Oder sie versuchen es mit Gaga-Wahlkampf, was wir in diesem Jahr oft beobachten mussten.

Mark Balsiger

Fotos: CVP des Kantons St. Gallen, SP des Kantons Bern, jungfreisinnige Kt. Solothurn (via Twitter und Facebook, danke)

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Mit solchen Kampagnen und Lügen geht die politische Kultur vor die Hunde

Vor Volksabstimmungen kommen Provokationen, Zuspitzungen und Schlagworte oft vor. Das gehört zum Geschäft und ist okay, sofern die Fakten korrekt wiedergegeben werden. Bei der Abstimmungskampagne gegen das revidierte Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) ist dies nicht der Fall: Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), der für diese Kampagne verantwortlich zeichnet, verbreitet schon seit Monaten systematisch Desinformation, ja sogar Lügen. Ich überblicke 20 Jahre und kann mich nicht erinnern, dass das bei einer Abstimmungskampagne jemals in diesem Ausmass Fakten verdreht worden wären – ein neuer Tiefpunkt.

Ein Beispiel:

> SGV: „In den letzten 20 Jahren haben sich die Abgaben für Radio und TV um 64 Prozent erhöht.“
< Diese Behauptung ist falsch: Die Erhöhung betrug 13 Prozent, was nicht einmal ganz der Teuerung (14.3 Prozent) in dieser Zeitspanne entspricht.

Nur schon wegen dieser verlogenen Nein-Kampagne rechtfertigte sich ein Ja. Wäre ich noch Mitglied des Gewerbeverbands hätte ich jetzt mit sofortiger Wirkung den Austritt gegeben.

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SGV-Direktor Hans-Ulrich Bigler wird inzwischen für den ruppigen und diffamierenden Kampagnenstil mit grenzwertigen Sujets kritisiert. (Konzipiert wurde sie vom bekannten und umstrittenen Goal-Werber Alexander Segert, was der SGV unter dem Deckel halten wollte.) Ich orte das Problem aber anderswo: Hunderte von Bonsai-Biglers verbreiten wider besseren Wissens – oder bewusst – dieselben Lügen. Schade, dass Pinocchio-Nasen nur in Märchen wachsen! Mit Verlaub, aber so geht die politische Kultur vor die Hunde.

Das revidierte RTVG ist kein grosser Wurf, aber Hand aufs Herz, grosse Würfe gibt es in der Politik ohnehin nicht. Es gibt aber gesetzliche Verbesserungen und dazu zähle ich das RTVG, das den Wechsel von einem bürokratischen zu einem zeitgemässen System ermöglicht; die unwürdigen Kontrollen würden entfallen.

Im Getöse ist untergegangen, dass der Verband GastroSuisse, der unter das Dach des SGV gehört, die Ja-Parole beschlossen hat. Das lässt aufhorchen.

Der SGV hat sich der Kampf gegen Gebühren und Abgaben auf die Fahnen geschrieben, und das ist gut so. Bloss ist er nicht konsequent.

Den Gegnern geht es im Kern um die Zerschlagung der SRG

Mit der RTVG-Vorlage vom 14. Juni sinkt die Empfangsgebühr um mindestens 60 Franken. Zudem werden rund 75 Prozent aller KMU (diejenigen mit einem Umsatz unter 500’000 Franken) von der Medienabgabe befreit. Mir als Kleinstunternehmer bleiben also etwa 520 Franken pro Jahr mehr in meinem Geldbeutel, also genau das, was der SGV fordert. Meine Kaufkraft als Privatperson steigt, als Firmeninhaber habe ich mehr Geld zur Verfügung und könnte es in Umlauf bringen. Hunderttausende von KMU’lern sind in derselben Situation wie ich.

Spätestens hier wird erkennbar, dass es Bigler und insbesondere den mächtigen Akteuren, die beim Kampf gegen das RTVG im Hintergrund agitieren, um etwas anderes geht: das Big Game, die Zerschlagung der SRG. Wohin die Demontage der öffentlich-rechtlichen Sender führt, konnten wir beispielsweise in Italien und Spanien beobachten.

Beim revidierten RTVG stehen im Zentrum: Medienvielfalt, Föderalismus sowie die Sensibilität gegenüber kulturellen Minderheiten, was in unserer DNA sein sollte. Ein Drittel des SRG-Budgets fliesst in die Programme für die Französisch, Italienisch und Rätoromanisch sprechenden Minderheiten der Schweiz. Das fördert den Zusammenhalt der Landesteile und ist damit eine Säule unserer Demokratie.

Letztlich geht es auch um eine qualitativ überzeugende Grundversorgung und um Service Public: Mir persönlich sind „Echo der Zeit“, „Heute Morgen“, „International“ (mein Hörtipp), „Der Bestatter“ und „The Voice“ 400 Franken wert.

Mark Balsiger

 

Weblinks:

Ja zum RTVG
Nein zum RTVG

P.S.  Transparenz: Der Autor dieses Postings war bis Ende 2000 als Redaktor bei Radio SRF (damals noch Radio DRS) tätig, seit 2009 ist er Mitglied beim SRG-Publikumsrat. Ein Mandat seitens der SRG gibt es nicht. Gegenüber den Medien äussere ich mich konsequent nicht zur RTVG-Vorlage – wegen diesem Positionsbezug, der schon seit Wochen in der Pipeline war. Die Unabhängigkeit wäre verletzt, die ich als Expertli hochhalte.

 

Für Spott ist gesorgt: Michael Steiners Spot “Grounding 2026” bleibt im Giftschrank

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Der virale Kurzfilm von Michael Steiner (rechts) zur Abzocker-Initiative wird definitiv nicht verbreitet. Das schreibt der Wirtschaftsdachverband economiesuisse in einer Medienmitteilung. (Das Dokument heisst sinnigerweise “Minderfilm”.) Der dreiminütige Spot mit dem Namen “Grounding 2026” hätte in der Schlussphase der Abstimmungskampagne gezeigt werden sollen. Mit starken Emotionen wollte der bekannte Regisseur (Grounding, Sennentuntschi, Mein Name ist Eugen, Missenmassaker) die negativen Folgen eines Ja, die er persönlich befürchtet, ins Zentrum stellen.

Dass die Verlautbarung gegen Abend (16.45 Uhr) verschickt wurde, dürfte kein Zufall sein: Man will das Aus für den Spot mit einer möglichst geringen medialen Begleitung über die Bühne bringen. Dafür eignet sich der heutige Tag; er ist reich befrachtet mit wichtigen Themen: Lasagne-Skandal, Olympia 2022, Hypothekarblase und Barack Obamas “State of the Union”, um nur vier zu nennen. Sie vermögen Steiners Spot nicht komplett zuzudecken, aber sie verdrängen ihn immerhin von den besten Plätzen. Das war bewusstes Timing, und das könnte economiesuisse gelingen.

Wenigstens das, ist man geneigt anzufügen. Bei der Nein-Kampagne war von Anfang an der Wurm drin, gefolgt von einem hässlichen Ausrutscher. Dazu kommt als gravierender Malus die Prädisposition: Nach der jahrelangen Verschleppungs- und Vernebelungstaktik im Parlament verrauchte die Wut der Leute auf die Abzocker nicht. Im Gegenteil. Mithin fehlt das Fundament, um den Souverän von einem Nein zu überzeugen. Gewichtige Argumente gibt es, sie können sich aber kaum festsetzen. Zu vieles ist in den letzten Monaten suboptimal oder gar schlecht gelaufen, das Vertrauen in Politik und Wirtschaft stark beschädigt.

Der Kampagnen-Spot Steiners soll gegen 300’000 Franken kosten. Das entspricht knapp 4 Prozent des gesamten Budgets (8 Millionen Franken). Vor vier Jahren zeigten ein paar junge engagierte Köpfe, wie man mit wenigen tausend Franken einen viralen Spot (für die Bilateralen) produziert und erfolgreich verbreitet. Mehr als 700’000 Views bei 5000 Franken Aufwand, dazu kam eine mediale Befeuerung rund um diesen Kurzfilm, der inzwischen leider nicht mehr im Netz ist.

Natürlich ist es gut möglich, dass Steiners Spot doch noch auftaucht und sich rasant verbreitet. Eine Wirkung im Sinne des Nein-Lagers wird er aber nicht erzielen. Emotionen lassen sich nicht erfolgreich mit Emotionen bekämpfen – so lautet eine These von mir.

Das Grounding von “Grounding 2026” sorgt zunächst einmal für Spott und Häme. Es stärkt aber auch das Lager von Initiant Thomas Minder, weil wir über die Metaebene der Metaebene diskutieren – eine absurde Entwicklung. Dabei wäre es dringend nötig, in der guteidgenössischen Tradition die Vorlage sachlich aufzuarbeiten. Stattdessen werden am 3. März die Zeichensetzer durchmarschieren.

 

Nachtrag von 19.15 Uhr:

Wie die NZZ schreibt, wollen die beiden Promotoren der Abzocker-Initiative, Thomas Minder und Claudio Kuster, den Kurzfilm von Michael Steiner kaufen. Ein fünfstelliger Betrag werde sich schon auftreiben lassen.

 

Nachtrag vom 21. Februar 2013:

Der Film zur Bilateralen-Abstimmung vom 8. Februar 2009 ist heute wieder online geschaltet worden. Hier: http://tagesnews.com/

 

Foto Michael Steiner: aargauerzeitung

 

 

Wenn Politwerbung Schauder auslöst

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Im Kielwasser der Abzocker-Initiative segelt die Abstimmung über das revidierte Raumplanungsgesetz (RPG) in Richtung 3. März. Seit ein paar Tagen laufen die Kampagnen, was eine kurze Einschätzung ermöglicht.

Werbung kann vor allem dann eine Wirkung erzielen, wenn sie massiert sichtbar ist, das stärkste Argument verdichtet oder mit einer Provokation verknüpft.

Die Gegner des RPG setzen auf Provokation mit dem Vorschlaghammer. Das kann bei etlichen Betrachterinnen und Betrachtern Schauder auslösen. Die hässlichen Hochhäuser hinter dem Bundeshaus erinnern an Plattenbauten in Krakau oder Bratislava.

Die Kombination von gelber Farbe auf schwarzem Hintergrund knallt. Kreative, die ich befragte, bezeichnen das Sujet allerdings als “hässlich”, auch handwerklich überzeuge es nicht.

Meine Kritik zielt in eine andere Richtung: Stimmt die Aussage? Wären die Mieten in solchen Hochhäusern tatsächlich Horror? Zurzeit sicher nicht, das Gegenteil trifft zu: Wer in solchen Wohnungen lebt – oder leben muss -, zahlt tiefe Mieten. Der Transfer von “tief” zu “Horror-Mieten” funktioniert nicht. Deshalb dürfte dieses Sujet seine Wirkung weitgehend verfehlen.

Clever finde ich, dass das gegnerische Komitee insgesamt elf verschiedene Sujets produziert hat. Sie zeigen die zubetonierte Wohnsituation in elf verschiedenen Städten oder Gegenden, von Appenzell über Morcote (TI) bis Zürich. Diese Regionalisierung führt eher zu Betroffenheit als bloss ein Sujet, das in der ganzen Schweiz verwendet wird.

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Das Ja-Sujet präsentiert sich mit einer überlegten Aufteilung des Raums, die beiden Kernbotschaften stimmen. Gut ist, dass sowohl die URL wie der Kringelcode (auch QR-Code genannt) aufscheinen. Ein geschickter Zug ist die Verwendung des Schweizerkreuzes. Insgeheim dürfte das die Gegner ärgern.

Auf Plakaten erzeugt dieses Sujet aber keine Wirkung, weil es übersehen wird. Der weisse Hintergrund ist ein “No-go”. In den Inseraten werden die Köpfe einzelner Befürworterinnen und Befürworter dazugestellt. Das sieht ganz passabel aus. Dank der Prominenz und der Glaubwürdigkeit der Protagonisten kann bei dieser Vorlage etwas erreicht werden – ein Klassiker in der Politwerbung.


Die Kampagnen im Netz:

rpg-revision-nein.ch
ja-zum-raumplanungsgesetz.ch

Die beiden Facebook-Pages dümpeln noch in der Bedeutungslosigkeit vor sich hin: Die Gegner bringen es derzeit auf 64 “Likes” (Stand 15. Januar), die Befürworter auf 89.

Bezahlte Online-Kommentare: Medien tolerieren “Dialogkultur”, die ihnen schadet

Eine hässliche Blüte, die der Abstimmungskampf um die Abzocker-Initiative getrieben hat: Studenten schreiben im Stundenlohn und unter falschen Namen Online-Kommentare. “Pfui!” erschallt es vielstimmig in Social-Media-Kanälen. Mit Recht. Bewegen müssten sich allerdings die grossen Medienhäuser, die auf ihren Online-Portalen eine “Dialogkultur” heranwachsen liessen, die ihnen selber schadet.

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Wenn es bei Abstimmungen
hart auf hart geht, werden bei einzelnen Akteuren ethische Codices zu Makulatur. Eine Zürcher Werbeagentur verschob die Grenzen und heuerte Anfang Dezember ein paar Studenten an. Mit Textbausteinen ausgerüstet, füllten sie auf Online-Portalen die Kommentarspalten. Systematisch und mit falschen Namen schrieben sie gegen die Abzocker-InitIative an und manipulierten so die öffentliche Meinung. Wer die Instruktionen liest, die der “Tages-Anzeiger” in seiner heutigen Ausgabe publik macht, wähnt sich im falschen Film.

Es ist kein Problem, auf den grossen Online-Portalen mit einem Pseudonym oder mit einem falschen Namen mitzudebattieren; teilweise werden nicht einmal die hinterlegten E-Mail-Adressen verifiziert. Das Angebot ist bewusst niederschwellig, lautet doch die Devise bei den Medienhäusern: Je mehr Kommentare, desto besser. Sie wollen die User emotional an ihre Online-Portale binden, Communitys auf- und ausbauen. Das Rennen um Visits und Klicks geht weiter.

Exemplarisch der Aufruf zum Kommentieren von Blick online:

blick_online_hilfstext_510_2012_12_29


Es liegt auf der Hand:
Wer online mit einem Pseudonym oder einem falschen Namen debattiert, kann kräftig und dumpf austeilen, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Das ist für ein paar Hundert Leute in diesem Land offensichtlich ein Freipass: Sie lassen Dampf ab, pöbeln und diffamieren. Wer sich einmal durch ein paar Dutzend Kommentare zu einem kontroversen Thema gelesen hat, kennt diese “Dialogkultur”. Sie konnte sich etablieren, weil die Betreiber zu viele Beiträge auf lamentablem Niveau freischalten.

Das es anders geht, zeigte das Wahlbistro, das ich 2008 lanciert hatte und 2010 aus zeitlichen Gründen leider wieder einstellen musste. Dort war die anonyme Teilnahme nicht möglich. Wer mitdebattieren wollte, musste nach der Registrierung zuerst von den Betreibern telefonisch verifiziert werden. Diese Massnahme wirkte sich positiv auf die Qualität der Kommentare aus, alle Teilnehmenden konnten nur mit ihren echten Vor- und Nachnamen Kommentare veröffentlichen.

Wenn die Medienhäuser ihre teilweise noch starken Marken nicht irreparabel schädigen wollen, sollten sie nun endlich Gegensteuer geben. Wer 15 Prozent Marge erzielt, kann es sich leisten, den Online-Kommentaren die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.

Dasselbe sollten sich die engagierten Leute der Diskussions-Plattformen Vimentis und Politnetz zu Herzen nehmen. Ich schaffte es vor ein paar Stunden auch dort problemlos, mit einem Fake-Konto (“Hans aus Bern”) Kommentare zu publizieren.

Screenshot aus “Politnetz”:

2012_12_29_politnetz_kommentar_von_fake_510


Ich bin gespannt
, wie sich der Branchenverband der führenden Werbe- und Kommunikationsagenturen (bsw) und, so sie angerufen werden, die Schweizerische Lauterkeitskommission und der Schweizer Presserat zu diesem Fall äussern.

Weitere Beiträge zum Thema:

– Vimentis: Gegner der Abzocker-Initiative kaufen Leser-Kommentare (Thomas Minder)
Der identische Text erschien übrigens auch auf Politnetz. Dort aber wird Claudio Kuster als Autor genannt. Er ist die rechte Hand von Ständerat Minder.

– Arlesheim-Reloaded: Wissen Journis nicht, wie der Hase läuft?

– Cash: Gekaufte Studenten schreiben auf Newssites gegen Abzocker-Initiative
(Mit Updates der sda)

– Jacqueline Badrans Blog: Dauerbrenner Kommentare – ein Lösungsvorschlag

– Tages-Anzeiger/Bund: Polit-Werber auf Abwegen (31. Dez.; Iwan Städler)

– Medienwoche: Kommentare kaufen ist nicht Guerilla-PR (10. Jan. 2013; Daniel Jörg)


Foto: adi

 

 

 

Damit Kampagnen ins Schwarze treffen

In den letzten sechs Jahren habe ich es hier mehrfach thematisiert: Viele Abstimmungs- und Wahlkampagnen verpuffen wirkungslos. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der Strategie fehlt die Stringenz, die Botschaft ist zu kompliziert, die Sujets werden übersehen…

Vor genau zwei Wochen stellte ich die Kampagne von economiesuisse gegen die Abzocker-Initiative von Ständerat Thomas Minder vor. So kritisierte ich unter anderem dieses Plakatsujet, weil die Protagonistin eine Nullaussage von sich gebe:

abzocker_nein_sujet1_510

 

In den darauffolgenden Tagen schrieb mir die Kommunikationsabteilung von economiesuisse eine Mail. Mein Posting habe sie “auf Trab gehalten”. Der Text mit der Frau sei in der Tat “etwas schwammig” und man habe meinen Input, der auch in der “SonntagsZeitung” aufschien, aufgenommen.

Die überarbeitete Version wird von heute an ausgehängt. Sie präsentiert sich so:

abzocker_nein_plakatsujet_neu_510

 

Schön, wenn Postings stärkere Kampagnen ermöglichen. #schulterklopf

Trotz der klaren Verbesserung: Am Text hätte man noch weiter hobeln können. Ein Beispiel:

“Die Initiative ist nicht schlecht.
Aber nur der Gegenvorschlag wirkt sofort.”

Vorsicht, denn jetzt kommt die Werbung in eigener Sache: Meine Agentur hat in den letzten zehn Jahren rund vierzig Abstimmungs- und Wahlkampagnen konzipiert und teilweise auch umgesetzt – kleinere und grössere. Dabei konnten wir viel Erfahrung sammeln, Fehler sind uns dabei selbstverständlich auch unterlaufen – kleinere und grössere.

Insgesamt haben wir aber im Verlaufe dieser langen Zeit ein gutes Gespür dafür entwickelt, was funktioniert und was nicht. Die Konsequenz daraus: Wir haben ein neues Angebot entwickelt. Es heisst Strategie- und Kampagnen-Check. Mit einem Aufwand von einem bis drei Arbeitstagen röntgen wir Strategie, Umsetzung und Sujets. Und dann machen wir Verbesserungsvorschläge. Damit die Kampagne doch noch ins Schwarze trifft.

economiesuisse hat ein Budget von 6 bis 8 Millionen Franken zur Verfügung, um die Abzocker-Initiative zu bekämpfen. Ich bin gespannt, was der Wirtschaftsdachverband für meinen Input springen lässt. Ich würde den Obolus einem guten Zweck spenden.

 

Sujets zvg: economiesuisse

Wer Ausgrenzung anprangert, sollte selber keine Ausgrenzung betreiben

In den letzten Jahren haben sich die Juso gelegentlich die Freiheit herausgenommen, in ihren Kampagnen auf den Mann – oder die Frau – zu spielen. Einmal wurde Bundesrätin Doris Leuthard wegen der Kriegsmaterial-Initiative mit blutigen Händen abgebildet, ein anderes Mal die Ospels, Grübels und Vasellas als halbnackte Abzocker. Das waren Provokationen, die zu 24-Stunden-Aufreger wurden, mehr nicht.

Eine neue Stufe erreicht die Kampagne für eine faire und menschenwürdige Asylpolitik, die Amnesty International und diverse andere NGO eben lancierten. In einem Videoclip werden die SVP-Mannen Christoph Blocher und Ueli Maurer als Asylbewerber dargestellt, die aus purer Not ihr Maskottchen aus besseren Zeiten, den Geissbock Zottel, in den Kochtopf stecken:

Mit dieser Kampagne spielen etablierte NGO, die eine wichtige Funktion in der Gesellschaft wahrnehmen, zum ersten Mal hart auf den Mann. Sie stellen eigentliche Hassfiguren der Schweizer Politik ins Zentrum ihrer Kritik. Damit betreiben sie Ausgrenzung, obwohl sie selber Ausgrenzung anprangern. Ob diese Haudrauf-Satire ausserhalb dem eigenen Kreis Applaus und Denkprozesse auslöst, ist offen.

Ich gehe davon aus, dass in den nächsten Tagen das Referendum gegen das letzte Woche verschärfte Asylgesetz ergriffen wird. Die Abstimmung dafür fände vermutlich im Herbst 2013 statt. In derselben Phase dürfte die Unterschriftensammlung der SVP für ihre neue Asylinitiative beginnen. Und damit bleibt das Thema bis ins eidgenössische Wahljahr 2015 am Kochen. Wer davon profitiert, ist klar.

Die Verelendung der Flüchtlinge, wie sie Christof Moser in seiner Analyse ortet, nimmt ihren Lauf. Seit mehr als dreissig Jahren.