Mit solchen Kampagnen und Lügen geht die politische Kultur vor die Hunde

Publiziert am 28. Mai 2015

Vor Volksabstimmungen kommen Provokationen, Zuspitzungen und Schlagworte oft vor. Das gehört zum Geschäft und ist okay, sofern die Fakten korrekt wiedergegeben werden. Bei der Abstimmungskampagne gegen das revidierte Radio- und Fernsehgesetz (RTVG) ist dies nicht der Fall: Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV), der für diese Kampagne verantwortlich zeichnet, verbreitet schon seit Monaten systematisch Desinformation, ja sogar Lügen. Ich überblicke 20 Jahre und kann mich nicht erinnern, dass das bei einer Abstimmungskampagne jemals in diesem Ausmass Fakten verdreht worden wären – ein neuer Tiefpunkt.

Ein Beispiel:

> SGV: „In den letzten 20 Jahren haben sich die Abgaben für Radio und TV um 64 Prozent erhöht.“
< Diese Behauptung ist falsch: Die Erhöhung betrug 13 Prozent, was nicht einmal ganz der Teuerung (14.3 Prozent) in dieser Zeitspanne entspricht.

Nur schon wegen dieser verlogenen Nein-Kampagne rechtfertigte sich ein Ja. Wäre ich noch Mitglied des Gewerbeverbands hätte ich jetzt mit sofortiger Wirkung den Austritt gegeben.

RTVG_nein_falle_580_by_SGV

SGV-Direktor Hans-Ulrich Bigler wird inzwischen für den ruppigen und diffamierenden Kampagnenstil mit grenzwertigen Sujets kritisiert. (Konzipiert wurde sie vom bekannten und umstrittenen Goal-Werber Alexander Segert, was der SGV unter dem Deckel halten wollte.) Ich orte das Problem aber anderswo: Hunderte von Bonsai-Biglers verbreiten wider besseren Wissens – oder bewusst – dieselben Lügen. Schade, dass Pinocchio-Nasen nur in Märchen wachsen! Mit Verlaub, aber so geht die politische Kultur vor die Hunde.

Das revidierte RTVG ist kein grosser Wurf, aber Hand aufs Herz, grosse Würfe gibt es in der Politik ohnehin nicht. Es gibt aber gesetzliche Verbesserungen und dazu zähle ich das RTVG, das den Wechsel von einem bürokratischen zu einem zeitgemässen System ermöglicht; die unwürdigen Kontrollen würden entfallen.

Im Getöse ist untergegangen, dass der Verband GastroSuisse, der unter das Dach des SGV gehört, die Ja-Parole beschlossen hat. Das lässt aufhorchen.

Der SGV hat sich der Kampf gegen Gebühren und Abgaben auf die Fahnen geschrieben, und das ist gut so. Bloss ist er nicht konsequent.

Den Gegnern geht es im Kern um die Zerschlagung der SRG

Mit der RTVG-Vorlage vom 14. Juni sinkt die Empfangsgebühr um mindestens 60 Franken. Zudem werden rund 75 Prozent aller KMU (diejenigen mit einem Umsatz unter 500’000 Franken) von der Medienabgabe befreit. Mir als Kleinstunternehmer bleiben also etwa 520 Franken pro Jahr mehr in meinem Geldbeutel, also genau das, was der SGV fordert. Meine Kaufkraft als Privatperson steigt, als Firmeninhaber habe ich mehr Geld zur Verfügung und könnte es in Umlauf bringen. Hunderttausende von KMU’lern sind in derselben Situation wie ich.

Spätestens hier wird erkennbar, dass es Bigler und insbesondere den mächtigen Akteuren, die beim Kampf gegen das RTVG im Hintergrund agitieren, um etwas anderes geht: das Big Game, die Zerschlagung der SRG. Wohin die Demontage der öffentlich-rechtlichen Sender führt, konnten wir beispielsweise in Italien und Spanien beobachten.

Beim revidierten RTVG stehen im Zentrum: Medienvielfalt, Föderalismus sowie die Sensibilität gegenüber kulturellen Minderheiten, was in unserer DNA sein sollte. Ein Drittel des SRG-Budgets fliesst in die Programme für die Französisch, Italienisch und Rätoromanisch sprechenden Minderheiten der Schweiz. Das fördert den Zusammenhalt der Landesteile und ist damit eine Säule unserer Demokratie.

Letztlich geht es auch um eine qualitativ überzeugende Grundversorgung und um Service Public: Mir persönlich sind „Echo der Zeit“, „Heute Morgen“, „International“ (mein Hörtipp), „Der Bestatter“ und „The Voice“ 400 Franken wert.

Mark Balsiger

 

Weblinks:

Ja zum RTVG
Nein zum RTVG

P.S.  Transparenz: Der Autor dieses Postings war bis Ende 2000 als Redaktor bei Radio SRF (damals noch Radio DRS) tätig, seit 2009 ist er Mitglied beim SRG-Publikumsrat. Ein Mandat seitens der SRG gibt es nicht. Gegenüber den Medien äussere ich mich konsequent nicht zur RTVG-Vorlage – wegen diesem Positionsbezug, der schon seit Wochen in der Pipeline war. Die Unabhängigkeit wäre verletzt, die ich als Expertli hochhalte.

 

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