Berset versucht, auch diese Affäre auszusitzen
Publiziert am 16. Januar 2023Während der Pandemie soll es eine Standleitung zwischen Alain Bersets Kommunikationschef und dem CEO des Ringier-Konzerns gegeben haben. Regelmässig informierte Peter Lauener Marc Walder per E-Mail, welche Anträge Berset an der nächsten Bundesratssitzung stellen wird. Er leakte also vertrauliche Informationen, der «Blick» konnte so immer wieder mit Primeurs aufwarten.
Das ist die Essenz dessen, was die «Schweiz am Wochenende» publik machte.
Die Corona-Leaks bringen nun die Drähte zum Glühen, zumal es den Überflieger in der Landesregierung betrifft und im eidgenössischen Wahljahr viele Akteure ihre Süppchen kochen.
Ich versuche, fünf wichtige Punkte dieses Falles aufzudröseln.
1. Wer steht in der Kritik?
Es handelt sich zunächst um einen Fall Lauener und einen Fall Walder. Im Fokus stehen der frühere Kommunikationschef von Alain Berset, Peter Lauener, und der CEO des Ringier-Konzerns, Marc Walder.
Medien müssen kritisch beobachten und berichten, dürfen sich aber nicht mit einer Sache gemein machen. Das vergassen Walder und der «Blick» offensichtlich.
Ob daraus ein Fall Berset wird, ist zurzeit offen. Er sagt, er wisse nichts von den Kontakten zwischen Lauener und Walder. Kraft seines Amtes konzentriert sich das Interesse natürlich auf Berset.
Er überlebte in den letzten Jahren mehrere Affären, die er jeweils als privat deklarierte und schnell entschärfen konnte. Die Corona-Leaks haben allerdings eine andere Dimension.
Wegen der Summe aller Affären hat Berset viel an Glaubwürdigkeit verloren. Das zeigte sich bereits bei seiner Wahl zum Bundespräsidenten am 7. Dezember, als er nur 140 Stimmen erzielte.
Jeder Fall oder Fehltritt von öffentlichen Personen hat eine moralische Beurteilung zur Folge. Sie kommt schnell, die juristische Aufarbeitung hingegen braucht meistens einige Monate.
2. Berset sagt zum regen Austausch zwischen Lauener und Walder: «Ich weiss es nicht. Ich kann es nicht wissen.» Ist das glaubwürdig?
Peter Lauener war seit dem Amtsantritt Bersets im Januar 2012 bis zu seinem leisen Abgang im Frühsommer 2022 eine zentrale Figur im Innendepartement (EDI). Er gilt als brillanter Stratege und Redenschreiber und hat grossen Anteil an der Figur Berset, wie sie die Öffentlichkeit wahrnimmt. Das Duo harmonierte gut, Lauener war Bersets Schatten.
Vor diesem Hintergrund ist es schwer vorstellbar, dass Berset nicht um Laueners Austausch mit dem Ringier-Manager wusste. Falls dem so war, muss Berset sich den Vorwurf gefallen lassen, seinem wichtigsten Sparringpartner eine sehr lange Leine gelassen zu haben.
3. Berset schweigt. Ist das eine gute Strategie?
Bundesrat Berset äusserte sich am Samstagabend gegenüber Radio RTS und sprach dabei von «illegalen Indiskretionen». Dass jemand in seinem Departement über eine längere Zeitspanne vertrauliche Informationen weitergab, blendete er natürlich aus.
Es gibt aktuell keine Strafuntersuchung gegen Berset. Er markierte beim RTS-«Forum» Präsenz und drehte den Spiess um. Jetzt wird er schweigen und versuchen, auch diese Affäre auszusitzen.
Die beiden Geschäftsprüfungskommissionen sind wegen anderen Indiskretionen aus dem Bundeshaus längst an der Arbeit. Sie werden nun auch diesen Fall anschauen. Allerdings sind ihre Möglichkeiten beschränkt.
4. Wie grosse ist der Schaden für Bersets Partei, die SP?
In Wahljahren sind alle Parteien nervös, jede möchte, dass ihre Mitglieder im Bundesrat beim breiten Publikum gut ankommen. Dass es in Bersets Departement wieder rumpelt, setzt die SP und den Gesundheitsminister unter Druck. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass verschiedene Akteure diese Affäre parteipolitisch ausschlachten wollen. Die SP bleibt auch bei einem allfälligen Rücktritt in einer vertrackten Lage.
5. Lauener informierte Walder einmal darüber, dass ein 100-Millionen-Franken-Deal mit Biontech/Pfizer vor der Unterzeichnung stehe.
Das ist so, und der Kurs dieser Aktie stieg in den darauf folgenden Wochen massiv. Wer in jener Phase einstieg, verdiente viel Geld. Die Informationen waren börsenrelevant. Ob das Weitergeben dieser Insider-Informationen strafrechtlich verfolgt werden kann, weiss ich nicht.
Foto Alain Berset & Marc Walder: Watson
In der Kritik stehen bei den Corona-Leaks auch die Medien, namentlich der Ringier-Konzern und insbesondere «Blick». Dessen Chefredaktor Christian Dorer weist alle Vorwürfe zurück. Seinen Text geben wir hier eins zu eins wieder.
Niemand beeinflusst Blick!
Das Departement von Bundesrat Alain Berset habe Blick mit vertraulichen Informationen bedient und dafür wohlwollende Berichterstattung erhalten. Der Vorwurf ist happig – und falsch.
«So fütterte Alain Bersets Innendepartement den Blick.» – «Die Corona-Standleitung aus Bersets Vorzimmer zum Ringier-Chef.» – «Wie Bersets Departement den Blick Propaganda für sich machen liess.» So und ähnlich lauteten die Schlagzeilen der vergangenen Tage.
Aufgrund der Berichterstattung in der «Schweiz am Wochenende» und anderen Medienbeiträgen wurde der Eindruck erweckt, die Blick-Politikredaktion habe während der Pandemie Storys direkt aus dem Innendepartement erhalten: Basis dafür seien Informationen, die der damalige EDI-Kommunikationschef Peter Lauener an Ringier-CEO Marc Walder weitergegeben haben soll. Dieser Eindruck ist falsch.
Die Blick-Redaktion verwahrt sich deshalb entschieden gegen diese Darstellung und weist die Unterstellungen in aller Form zurück. Richtig ist, dass die Blick-Redaktion unabhängig von Verlag und Konzern recherchiert und arbeitet. Sie hat keinerlei Weisungen von irgendwem erhalten, auch nicht vom CEO. Ebenso entschieden verwahren wir uns gegen die Unterstellung, wir hätten uns vom Innendepartement beeinflussen lassen.
Die Journalistinnen und Journalisten unserer Polit-Redaktion haben zahlreiche Artikel und Kommentare über die Corona-Massnahmen von Bund und Kantonen verfasst. Sie beruhen auf ihren eigenen, unabhängigen Recherchen, die einzig journalistischen Kriterien verpflichtet sind. Mal hatte unser Polit-Team einen Primeur, was uns freute, mal ein Konkurrent, was uns ärgerte.
Namentlich auch in die beiden Recherchen und Texte, die in der «Schweiz am Wochenende» genannt worden sind, war CEO Marc Walder in keiner Weise involviert. Der Primeur über die Impfstoff-Beschaffung vom 11. November 2020 stammt von Quellen von Politik-Chefin Sermîn Faki. Den Primeur über die Lockerungen der Massnahmen vom 11. März 2021 haben der stv. Politik-Chef Pascal Tischhauser und Bundeshausredaktor Ruedi Studer recherchiert. Die Blick-Gruppe hält den Quellenschutz hoch, deshalb verbieten sich weitere Angaben zum Zustandekommen der beiden Primeurs.
Nochmals: Die beiden Storys kamen ohne Einfluss des CEOs und basierend auf eigenen Recherchen zustande.
Derzeit wird in verschiedenen Medien gar der Vorwurf erhoben, es habe einen Deal gegeben zwischen Bundesrat Berset und der Blick-Gruppe: Über den Ringier-CEO sei Blick mit vertraulichen Informationen bedient worden, im Gegenzug habe Blick wohlwollend berichtet.
Der Vorwurf ist nicht nur falsch, sondern geradezu ehrverletzend für die Redaktion. Und er lässt sich mit einem Blick ins Archiv einfach widerlegen: Blick war nicht regierungstreu, sondern nach bestem Wissen und Gewissen faktentreu. Unzählige Male haben wir Entscheide von Bundesrat und Kantonsregierungen hinterfragt und auch Entscheide kritisiert, immer mal wieder auch Bundesrat Alain Berset persönlich. So lautete etwa der Titel eines unserer Kommentare: «Vom Überflieger zur Belastung». Oder als Berset einen 50-Franken-Gutschein fürs Impfen in Aussicht stellte, nannten wir das «eine verzweifelte Kapitulation».
Ganz abgesehen davon hätte ein solcher Deal nie funktioniert. Unsere Journalistinnen und Journalisten hätten einen «Befehl von oben» nicht ausgeführt, und das ist auch richtig so: Das hätte gegen ihr Berufsethos verstossen. Blick arbeitet nicht in einer hierarchischen Linie, in der der CEO etwas vorgibt. Blick arbeitet ausschliesslich nach journalistischen Kriterien, einzig den Leserinnen und Lesern, also Ihnen, sehr geehrte Damen und Herren, verpflichtet.
So wie es unser Redaktionsmanifest im Paragraf 8 regelt: «Die Redaktion arbeitet unabhängig von jeder äusseren Einflussnahme. Wir veröffentlichen, was wir für aktuell, relevant und ethisch richtig halten, und entscheiden frei von politischen, weltanschaulichen oder materiellen Direktiven.»
Dies gilt ganz besonders für unsere Berichterstattung über die historisch schwierige Phase der Pandemie.