In der Krise zeigt der Bundesrat Führungsstärke

Die Corona-Welle überrollt die Schweiz, viele Menschen reagieren verunsichert. Der Bundesrat steht vor seiner grössten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg: Er muss das Land durch diese schwierige Zeit navigieren und die Leute mitnehmen. Die Kommunikation ist ihm bislang überzeugend gelungen. In der Krise zeigt die Regierung plötzlich Führungsstärke.

Die erste Welle der BAG-Informationskampagne ist kein Wurf, aber sie knallt – fürs erste in Gelb. An der Südgrenze werden Ende Februar an Bahnhöfen und Tankstellen 200’000 Flyer verteilt mit den Piktogrammen «Händewaschen», «Abstand halten» und «zu Hause bleiben». In derselben Phase treten Gesundheitsminister Alain Berset und Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein erstes Mal vor die Medien. Sie verkünden die «besondere Lage» gemäss Epidemiengesetz. Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen sind ab sofort verboten. Ein Murren geht durchs Land, aber das Verständnis für die Einschränkung überwiegt.

Bis zum 20. März folgen vier weitere Medienkonferenzen, der Bundesrat ist jeweils mit bis zu vier Mitgliedern vertreten. Jedes Mal werden weitergehende Massnahmen verfügt. Als er am 16. März die «ausserordentliche Lage» bekanntgibt, spürt man am Ende vieler Sätze ein Ausrufezeichen. Es ist ein eindringlicher Appell an die Nation, und er wird verstanden. In normalen Zeiten hätte man die Landesväter und -mütter als schulmeisterlich kritisiert. In dieser Situation lauten die Prädikate: klar und führungsstark.

 

Am nächsten Abend, wenige Sekunden vor dem «Echo der Zeit» von Radio SRF, ertönt unverhofft eine monotone Stimme: «Empfehlung des Bundesrats: Bleiben sie zu Hause! Insbesondere wenn sie alt oder krank sind!» Würden draussen noch die Sirenen heulen, wähnte man sich im Krieg. Dieselbe Information läuft seither vor jedem Nachrichtenbulletin und auch während Spielfilmen am Fernsehen wird sie eingeblendet.

Google, Twitter und Instagram installieren in Absprache mit den Behörden ein Aufklärungstool, das User nach dem Eintippen von Schlüsselwörtern rund um das Coronavirus direkt zu den Informationen des BAG weiterleitet. Vergleichbares geschieht auf Facebook und Youtube, dort ist allerdings die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Lead. In der Informationskampagne des BAG wechselt die Signalfarbe Anfang März von Gelb auf Rot. Die Werbemittel haben nun sechs Piktogramme und werden im ganzen Land massiert eingesetzt.

Der Bundesrat informiert die Medien stetig und nutzt dabei auch seinen Youtube-Kanal, um die Bevölkerung direkt zu erreichen. Das wirkt vertrauensbildend. Bei seinen Auftritten wirken die Regierungsmitglieder entschlossen, sie kommunizieren klar und überzeugend. Keine Zweifel, die Landesregierung hat das Heft in die Hand genommen, führt top-down und setzt sich durch. In einem durch und durch föderalistischen Land passt das auch jetzt nicht allen. Wenn es sein muss, werden sogar Kantone zurückgepfiffen, wie jüngst das Tessin und Uri oder die Gemeinde Bagnes (VS). Dass die Websites der Bundesverwaltung einmal während mehreren Stunden «down» waren – vergessen. Dass Bundeskanzler André Simonazzi Twitter nicht geschickter nutzt – kein Thema. Dass das BAG laut einer Recherche der «Republik» mit einem veralteten Meldesystem arbeitet – eine Randnotiz.

Bislang hat die Regierung mit viel Fingerspitzengefühl antizipiert, was verhältnismässig ist. Sehr heikel war die Schliessung der Schulen. Diese Entscheidung wurde nicht auf der Basis von Studien getroffen, sondern war nur politisch motiviert. Weil die meisten Nachbarländer ihre Schulen bereits geschlossen hatten, war der Druck zu gross geworden. Ein anderes Beispiel ist der Ruf nach einer Ausgangssperre, der vor allem in der Westschweiz laut wurde. Der Bundesrat blieb bisher standhaft, verbot aber Ansammlungen von mehr als fünf Personen. Insgesamt zeigt der Bundesrat bislang das, was er vorab im Europadossier seit Jahren vermissen lässt: Führungsstärke.

Einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren: «Too little, too late!» Ihre Aussagen multiplizieren sich in den sozialen Medien. Aus epidemiologischer Sicht haben sie vielleicht recht. Aber nehmen wir einmal an, die Landesregierung hätte den «Lock Down» bereits Ende Februar verfügt. Weite Teile der Bevölkerung hätten die einschneidenden Massnahmen weder verstanden noch mitgetragen, von den Arbeitgebern ganz zu schweigen.

Autoritäre Staaten setzen ihre Verbote konsequent durch. Die Menschen in der Schweiz hingegen erstritten sich ihre Kultur der Eigenverantwortung und ihre Freiheitsrechte. Eine schnelle und massive Veränderung des individuellen Verhaltens ist nur möglich, wenn die Leute sie akzeptieren. Dieser Prozess wird beschleunigt, wenn der entscheidende Akteur eine hohe Glaubwürdigkeit hat. Hierzu erreicht der Bundesrat bei Umfragen seit Langem gute Werte. Noch wichtiger ist aber ein anderer Faktor: Es gibt keine Kluft zwischen der Politik und dem Volk. Die allermeisten Menschen in unserem Land verstehen sich als Teil des Staates.

 

Seit sich die Corona-Krise zugespitzt hat, findet in Bern täglich ein «Point de Presse» statt. Dort geben Schlüsselpersonen aus den einzelnen Departementen erschöpfend Auskunft, was wo läuft. Proaktiv zu informieren ist weise, weil so das enorme Interesse der Medien gebündelt werden kann. Zugleich verschaffen sich die Beteiligten wieder etwas Luft für andere Arbeiten.

Einen Riesenjob macht Bundesrat Berset, und man sieht ihm die Nachtübungen an. Über das Wochenende lancierte er auf seinem Instagram-Profil die «So-schützen-wir-uns»-Challenge und forderte Roger Federer, Christa Rigozzi und Stress heraus – drei populäre Stars in den drei grossen Sprachregionen. Sie zückten ihre Smartphones und multiplizierten in eigenen Worten die Botschaft. Die Aktion zog sofort weitere Kreise, längst auch auf Twitter.

Die wichtigste Figur bleibt allerdings Daniel Koch. Der ausgebildete Arzt aus dem BAG ist die Ruhe selbst. Bei den Medienkonferenzen hört er sich die Fragen geduldig an und gibt dann professionell und konzis Antwort. Manchmal scheint sein Kopf im etwas zu grossen Anzug zu verschwinden. Er könnte ein Bruder des famosen US-Schauspielers John Malkovich sein und lässt auch mal seinen trockenen Humor aufblitzen. Auf die Frage eines Journalisten, ob er ihm den Konjunktiv erklären könne, den der Pharmakonzern Roche bezüglich neuer Corona-Tests verwendet habe, entgegnet er mit seiner sonoren Stimme: «Nein, ich bin nicht Sprachwissenschaftler, deshalb kann ich ihnen den Konjunktiv nicht erklären.» Die Sequenz ging viral, Koch hat Kultpotenzial. Es würde nicht überraschen, wenn auf Facebook plötzlich Fan-Seiten auftauchten, die fordern: «Koch 4 President».


Dieser Artikel ist auf Anfrage der «Medienwoche» entstanden und wurde dort zuerst publiziert. Die Fotomontage bei dieser Onlinezeitung kreierte Bildredaktor Marco Leisi – Top-Arbeit. Danke, dass wir sie übernehmen durften. 

Disclaimer: Die Firma des Autors hat keine Mandate bei der Bundesverwaltung.

 

Im Bundesrat ist jetzt Leadership gefragt

Der Coup der Grünen blieb aus: Damit sind die Bundesratswahlen genauso ausgegangen, wie es fast alle Journalistinnen und Auguren prognostiziert hatten. Es muss mehr Zeit verstreichen, bis eine aufstrebende politische Kraft in die Landesregierung integriert wird, obwohl sie «Anspruch» auf einen oder sogar zwei Sitze hätte. Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit:

– Katholisch-Konservative, die heutige CVP: 1891;
– BGB, dir Vorläuferpartei der SVP: 1929;
– SP: 1943;
– SVP: 2003 bzw. 2015.

Die FDP und ihr Bundesrat Ignazio Cassis, dem der Angriff von Regula Rytz galt, sind erleichtert. Das dürfte insgeheim auch für die Grünen und ihre gescheiterte Kandidatin gelten. Sie wollten nicht mit letzter Konsequenz in die Landesregierung. Vor allem aber wissen sie, dass sie als Oppositionskraft mehr Druck aufbauen können – inhaltlich und elektoral. Viele Mitglieder verstehen die Grünen immer noch eher als Bewegung denn als Partei.

Es ist gut möglich, dass die Grünen in den nächsten Jahren bei kantonalen Wahlen weiter zulegen werden und, kraft ihrer neuen Stärke, in Bundesbern selbstbewusster auftreten. Tun sie es mit Cleverness, bleiben sie auf dem Radar der Medien und bleiben für einen Teil des Elektorats attraktiv.

Was geschieht bei der nächsten Vakanz, vorab wenn Ueli Maurer, immerhin seit elf Jahren im Amt, seinen Rücktritt ankündigt? Die Grünen werden wieder eine Kampfkandidatur lancieren. Dieser Zweikampf würde eine pikante Note erhalten, wenn die SVP-Kandidatin Magdalena Marullo-Blocher heissen sollte. Und was geschieht im Dezember 2023, wenn die Grünen immer noch unter den vier wählerstärksten Parteien figurieren?

Klar ist nur etwas: Die Zauberformel wurde heute Morgen geopfert, das Machtkartell hat sich problemlos durchgesetzt. Dass die Verteilung der Bundesratssitze ein Anachronismus ist und angepasst werden sollte, forderte ich vor ein paar Tagen in einem anderen Blog-Posting.

Der alte Bundesrat ist also zugleich der neue, hat allerdings ein paar alte Probleme zu lösen. Benennen wir nur eines: das Thema Europa. Seit Jahren schafft es der Bundesrat nicht, sich zusammenzuraufen. Das Rahmenabkommen liegt auf dem Tisch, aber die Landesväter und -mütter sind verzagt. Stattdessen wursteln sie sich irgendwie durch, Didier Burkhalter war irgendeinmal am Ende seiner Kräfte und warf den Bettel hin. Ignazio Cassis, sein Nachfolger, wollte den «Reset-Knopf» drücken, erwies sich dabei aber als Kommunikator, dem Klarheit und Finesse abgehen. EU-Unterhändler Roberto Balzaretti schliesslich ist inzwischen «verbrannt», wie das Diplomaten nennen. Es macht keinen Sinn, ihn weiterhin für Verhandlungen nach Brüssel zu schicken.

Kurz und schlecht: Es fehlte in diesem Bundesrat bislang an Leadership. Just das wurde auch im jüngsten Sorgenbarometer der CS bemängelt. Demnach sehen 77 Prozent der Befragten «die sinkende Fähigkeit der Politik, für tragfähige Lösungen zu sorgen» als die grösste Gefahr für die Schweizer Identität. Es folgen die Problemen mit der EU (62 Prozent) und der Reformstau generell (61 Prozent).

Plädoyer für eine neue Zauberformel

Im Vorfeld von Bundesratswahlen beginnt ein Satz immer gleich: «Wir haben Anspruch auf…» Er fällt seit 1999 mit penetranter Häufigkeit. Die Bundesverfassung hingegen hält nur fest, dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sein sollten.

Den Anspruch auf Bundesratssitze begründen Politikerinnen und Politiker rechnerisch auf unterschiedlichste Weise, beispielsweise abgestützt auf die

– aktuelle Parteistärke in Prozentpunkten;
– Anzahl Sitze im National- und Ständerat;
– Stärke der Lager Rechts/Mitte/Links.

Je nach Konstellation wird auch die Zauberformel ins Feld geführt. Demnach erhalten die drei wählerstärksten Parteien je zwei Sitze in der Landesregierung, die vierstärkste schliesslich noch einen Sitz. Diese Formel hat seit 1959 Gültigkeit, wurde allerdings in der Phase von 1999 bis 2003 sowie während der Wirren um Eveline Widmer-Schlumpf zwischen 2008 und 2015 unterlaufen (Parteiausschluss, danach Übertritt zur BDP, Samuel Schmid folgte).

Offen gestanden ermüdet mich die «Wir-haben-Anspruch»-Diskussion schon lange. Wie die Mitglieder der Landesregierung gewählt werden, ist ohnehin ein Anachronismus: Die wichtigsten Kriterien sind Parteibuch, Konstellation und (sprach-)regionale Herkunft.

Tabelle: NZZ am Sonntag

Würde das Parlament am kommenden Mittwoch der Zauberformel treu bleiben, müsste die CVP den Sitz von Viola Amherd räumen und der Kandidatin der Grünen, Regula Rytz, überlassen (siehe Tabelle oben). Das wollen allerdings auch die Grünen nicht, zumal Amherd im VBS einen guten Start hinlegte. Der Angriff gilt vielmehr FDP-Bundesrat Ignazio Cassis. Doch damit stürzen sie einige Mitglieder der Vereinigten Bundesversammlung ins Dilemma: Grün oder Tessin – das ist die Gretchenfrage.

Dass Rytz’ Angriff auflaufen wird, thematisierte ich schon in zwei früheren Postings, am 6. September und dann am 21. November.

Wichtig wäre, dass in Zukunft ein Verteilschlüssel zur Anwendung kommt, der den Willen der Wählerinnen und Wähler besser abbildet. In der aktuellen Zusammensetzung, 2 SVP, 2 FDP, 2 SP und 1 CVP, werden noch 69 Prozent des Wahlvolks repräsentiert; der Stuhl hat nicht mehr vier solide Beine und verliert deshalb an Stabilität (Bild). Ein solcher Wert ist für Schweizer Verhältnisse tief, früher hatte er sich bei etwa 80 Prozent eingependelt (Ausnahme 1991 – 1995).

Die SVP wuchs gemäss einer Hypothese auch deswegen so robust, weil man ihr die Doppelvertretung im Bundesrat mehrmals verweigerte. Es ist möglich, dass nun auch die Grünen von ihrer Quasi-Oppositionsrolle profitieren können und 2023 nochmals zulegen.

Was geschieht dann? Räumt die CVP ihren einzigen Sitz, so sie wiederum als fünfstärkste Partei ins Ziel kommt? Oder gibt die FDP bzw. die SP freiwillig einen Sitz ab?

Vergessen Sie es! In der Politik geht es um Macht, und ein Sitz im Bundesrat bedeutet viel Macht. Ohne eine klare gesetzliche Regelung wird das Machtkartell der vier Bundesratsparteien ihre Sitze immer wieder zu verteidigen wissen.

CVP-Präsident Gerhard Pfister machte in der «Schweiz am Wochenende» einen kreativen Vorschlag: Die Amtsdauer der Bundesrätinnen und Bundesräte soll auf acht Jahre beschränkt werden. Die Amtszeit aller Bundesräte seit 1848 beträgt im Durchschnitt zehn Jahre, seit dem Zweiten Weltkrieg sind es elf Jahre. Das Amt laugt aus, die Belastung ist enorm, viele Bundesräte haben es nicht geschafft, ihre Rücktritt auf einem Höhepunkt anzukündigen.

Es gäbe nichts mehr zu dealen und zu powern

Klar, Amtszeitbeschränkungen sind ein Eingriff in die Freiheit und deshalb nicht populär. Dennoch sollte man über diesen Vorschlag diskutieren und prüfen, egal ob er acht, zehn oder zwölf Jahre beinhaltet: Starke Figuren, die in der Landesregierung schnell Fuss fassen, können weiterhin einiges bewirken. Zugleich wissen sie stets, dass sie nach einer fix definierten Anzahl Jahre wieder abtreten werden. So könnten sie während dieser Zeitspanne ihre Energie gezielt freisetzen.

Eine Amtszeitbeschränkung würde im Weiteren die taktischen Spielchen um die Nachfolge reduzieren, politische Karrieren wären plan- und berechenbar.

Der zweite Teil der Regelung umfasst eine Formel für die Verteilung der sieben Bundesratssitze. Eine Partei, die in beiden Kammern 35 Sitze holt, hat einen Bundesratssitz auf sicher. Die «Restmandate» gehen an die Parteien mit dem grössten Überhang.

Im aktuellen Fall präsentierte sich die Sitzverteilung wie folgt: Die SVP könnte zwei Bundesratssitze beanspruchen (mit 59 Mandaten im Parlament), währenddessen SP (48), FDP (41), CVP (38), Grüne (33) und Grünliberale (16) je einen Sitz erhielten.

Mit einer solchen Formel wären die Spekulationen und Winkelzüge im Vorfeld von Bundesratswahlen obsolet, das Machtkartell würde zerbrechen. Es gäbe schlicht nichts mehr zu dealen und zu powern! Die Sitzverteilung muss demokratisch wieder besser legitimiert werden. Gute Köpfe im Parlament haben es in der Hand, eine Reform zu erarbeiten, die in vier, spätestens aber in acht Jahren erstmals zur Anwendung kommt.

Man solle «mehr Demokratie wagen», sagte Willy Brandt einmal. Das Schweizer Volk hat Anspruch (ha!) darauf, dass seine Präferenzen sich in der Zusammensetzung der Landesregierung widerspiegeln.

Weshalb die CVP beim Rytz-Poker nicht mitmacht

Rund vier Wochen nach dem historischen Wahlerfolg herrscht Klarheit: Grünen-Präsidentin Regula Rytz kandidiert für den Bundesrat. Ihr erster Satz vor den Medien heute Nachmittag lautete: «Ich bin bereit.»

Zu ergänzen ist: Rytz musste bereit sein.

Ihre Partei legte am 20. Oktober um 6.1 Prozentpunkte zu, sie überholte die CVP und ist neu die viertstärkste Kraft. Das weckt Erwartungen. Der Anspruch ist legitim und so ist er nur logisch, dass jemand ins Bundesratsrennen steigt. Klar, dass es nach Möglichkeit eine Frau sein soll. Der Kreis an bekannten und profilierten Politikerinnen ist allerdings sehr klein.

Aus diesem Grund liegt die Kandidatur von Rytz auf der Hand. Sie repräsentiert die beiden grossen Themen dieses Jahres, den Klimawandel und den Frauenstreik. Sie ist das sympathische und glaubwürdige Gesicht der Grünen. Rytz hat massgeblichen Anteil am Wahlerfolg ihrer Partei und sie hätte das Zeug, um eine gute Bundesrätin zu werden. Sie verfügt über mehr Führungserfahrung als die meisten Mitglieder der Landesregierung, bevor diese gewählt wurden. Des Weiteren hat Rytz eine hohe Sozialkompetenz, sie ist klug, enorm fleissig und pragmatisch.

Solche Faktoren spielen bei Bundesratswahlen keine zentrale Rolle. Wichtig sind hingegen die Konstellation, das Parteibuch und die regionale Herkunft.

Rytz’ Kampfkandidatur richtet sich gegen Aussenminister Ignazio Cassis, den die Linken nicht mögen und andere hinter vorgehaltener Hand kritisieren. Seine Basis in der Vereinigten Bundesversammlung ist allerdings gross: FDP und SVP haben sich bislang 101 Sitze gesichert. (Am kommenden Sonntag finden noch zweite Wahlgänge in AG, BL und SZ statt; insgesamt sind noch vier Sitze zu vergeben.) Dazu kommt, dass die Abwahl eines amtierenden Bundesrats nicht zur Konsenskultur der Schweiz passt. In den letzten 171 Jahren wurden nur drei Bundesratsmitglieder nicht mehr gewählt (Ulrich Ochsenbein, 1854, Ruth Metzler, 2003, Christoph Blocher, 2007.) Die Verwerfungen von 2003 und 2007 sind bis heute spürbar, und das schreckt ab.

Für eine Wahl bräuchte Rytz eine solide Allianz von Grünen, SP, GLP sowie mindestens der Hälfte der CVP-EVP-BDP-Fraktion. Ob die Grünliberalen mitziehen, ist komplett offen. Bei der CVP könnten einige Mitglieder Gefallen daran finden, den Freisinnigen «einen hineinzubremsen» und noch mächtiger zu werden. Die CVP ist das Zünglein an der Waage im Ständerat und in der neuen Legislatur auch im Nationalrat. Mit einer grünen Bundesrätin wäre Viola Amherd die starke Figur in der Mitte, die fallweise mit links oder rechts umstrittenen Geschäften zum Durchbruch verhelfen könnte.

Die CVPler werden diesen Verlockungen aus guten Gründen widerstehen: Im Frühling 2020 finden in Schwyz, St. Gallen, Thurgau und Uri kantonale Wahlen statt. In allen vier Kantonen hat die CVP kräftige Strukturen und viele Sitze zu verteidigen. Ein Schwenk der Bundeshausfraktion zur grünen Kandidatin würde in diesen konservativ-bürgerlich geprägten Kantonen zu einer Abstrafung an der Urne führen. Das kann sich Gerhard Pfisters Partei, die gerade noch 11.4 Prozentpunkte auf sich vereint, nicht leisten. Entsprechend macht die CVP beim Poker der Grünen nicht mit, die Kampfkandidatur der Grünen wird am 11. Dezember auflaufen.

Die Kampfansage von Rytz ist allerdings für die Grünen und ihre Basis sehr wichtig. Das hält deren Themen im Gespräch und die Nichtwahl gibt ihnen in den kommenden vier Jahren die Möglichkeit, immer wieder Druck zu machen. Wenn sie bei den eidgenössischen Wahlen 2023 ihr Ergebnis bestätigen und ein Rücktritt aus dem Bundesrat vorliegt, wird es sehr schwierig werden, ihnen den Zugang in die Landesregierung zu verwehren.

Die SVP liebäugelt angeblich damit, Rytz anstelle von Simonetta Sommaruga zu wählen. Ein solches Manöver hat keine Chance, zumal Rytz bereits klarmachte, dass sie bei diesem Spiel die Wahl nicht annehmen würde. Dazu muss man die Reihenfolge der Bundesratswahlen am 11. Dezember in Betracht ziehen. Diese wird nach dem Amtsalter abgewickelt, dem sogenannten Ancienitätsprinzip:

– 1. Ueli Maurer (SVP)
– 2. Simonetta Sommaruga (SP)
– 3. Alain Berset (SP)
– 4. Guy Parmelin (SVP)
– 5. Ignazio Cassis (FDP) >>> Angriff Regula Rytz (Grüne)
– 6. Viola Amherd (CVP)
7. Karin Keller-Sutter (FDP)

Schliesslich: was sagt eigentlich die Bundesverfassung zu den «Ansprüchen» auf Bundesratssitze:

Weshalb die Grünen keinen Sitz im Bundesrat erobern werden

Keine Partei hat bei den kantonalen Wahlen seit Anfang 2016 ähnlich viele Sitze gewonnen wie die Grünen (42). Dieses robuste Wachstum wird seit geraumer Zeit auch im Wahlbarometer der SRG bestätigt. Gemäss der Umfrage, die gestern veröffentlicht wurde, erreichen sie 10.5 Prozentpunkte.

Das ist der Höchstwert der Grünen, die damit die CVP mit ihren 10.2% knapp hinter sich lässt. Reflexartig folgern nun viele Medien, dass nun eine grüne Vertretung im Bundesrat Tatsache werden könnte – etwa die Blätter von Tamedia:

Die Zauberformel, die seit 1959 (mit einer Pause zwischen 2008 und 2015) gilt, lautet, dass die drei grössten Parteien je zwei Sitze in der Landesregierung beanspruchen dürfen, die vierstärkste kriegt noch einen Sitz.

Ein Blick zurück zeigt, dass erstarkte Parteien nie sofort mit einem Bundesratssitz belohnt wurden:

– Bei den Nationalratswahlen 1999 wurde die SVP ex aequo mit der SP stärkste Partei (mit 22.5%), aber erst 2003 konnte sie sich den zweiten Sitz erkämpfen. Wir erinnern uns: Sprengkandidat Christoph Blocher verdrängte die bisherige CVP-Magistratin Ruth Metzler nach einem dramatischen Wahlherbst.

– Dank der Einführung des Proporzwahlrechts 1919 konnte die SP ihre Sitzzahl im Nationalrat beinahe verdoppelt. Seit damals ist sie stets unter den drei grössten Parteien, aber erst 1943 wurde ihr der Einzug in den Bundesrat erlaubt (mit Ernst Nobs); sogar erst 1959 konnte sie sich einen zweiten Sitz ergattern.

– Die ersten Wahlen nach Proporz waren auch aus einem weiteren Grund revolutionär: Die Bauern- und Bürgerpartei, eine Abspaltung des Freisinns, erreichte 1919 auf Anhieb 15.3 Prozentpunkte und 30 Sitze im Nationalrat, war also auf einen Schlag die viertstärkste Partei im Land. Ihr Anführer war der legendäre Berner Rudolf Minger. Zehn Jahre später, also 1929, wurde Minger Bundesrat und seine Partei damit in der Landesregierung eingebunden. Im Verlaufe der Dreissigerjahre sammelten sich die verschiedenen kantonalen Bauern- und Bürgerparteien und einem neuen Namen: Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB; die BDP beruft sich gerne auf sie!). Er hatte bis 1971 Bestand, dann erfolgte die Umbenennung in Schweizerische Volkspartei (SVP).

Es gibt einen zweiten Grund, der gegen einen Grünen – oder eine Grüne – im Bundesrat spricht: Derzeit umfasst die grüne Fraktion (inkl. PdA) 13 Mitglieder. Sollte sie bei den eidgenössischen Wahlen zehn Sitze zulegen, was einem Erdrutsch gleich käme, hätte sie neu 23 Mitglieder. Die CVP-Fraktion (inkl. 2 EVP und 1 CSP) wiederum zählt zurzeit 43 Sitze. Verlöre sie zehn Sitze, käme sie noch auf 33 Sitze, wäre also immer noch deutlich stärker als die grüne Fraktion.

Selbst wenn die Grünen die CVP am 20. Oktober überholen sollten: Dass sich bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats im Dezember eine Mehrheit bildet, die den Grünen den Einzug in die Landesregierung ermöglicht, können wir ausschliessen. In seiner Konsequenz würde das bedeuten, dass die populäre Viola Amherd nach just einem Jahr bereits wieder weg wäre. Ausgerechnet sie, die einen guten Start hinlegte und im VBS kräftige Spuren zieht, was ihren beiden Vorgängern Ueli Maurer und Guy Parmelin nicht gelingen wollte. Freisinnige und SVP’ler wären für einen solchen Putsch nichts zu haben. Ihnen liegt Amherd – oder auch FDP-Cassis – viel näher als irgendjemand mit einem grünen Parteibuch.

Regula Rytz, die Parteipräsidentin der Grünen, weiss um die Gefahren und hält den Ball deshalb routiniert flach. Das Thema komme nach dem 20. Oktober aufs Tapet, vermeldete sie nüchtern.

Fazit: Der Wirbel um einen grünen Bundesratssitz haben die Medien entfacht. Möglich, dass die Grünen ab dem 20. Oktober mit dem Säbel rasseln werden. Aber am 11. Dezember wird die parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung nicht ernsthaft zur Debatte stehen.

Weshalb die Rentenreform scheiterte – meine These

Die Rentenreform war nicht so schlecht, wie sie ihre Gegner machten, alle Gruppierungen hätten Kröten schlucken müssen. Tatsache ist aber auch, dass die SP-Fraktion nach ihrem erfolgreichen Kampf gegen die Unternehmenssteuerreform III im letzten Februar Oberwasser hatte und die Rentenreform in ihrem Sinn durchdrücken wollte. Es ging um Ideologie, Powerplay, Macht – oder eben: Politik. Die CVP wiederum scherte aus dem Block der Bürgerlichen aus, um sich klar von der FDP abzugrenzen und das eigene Profil zu schärfen – Stichwort “bürgerlich-sozial”, das neue Label der Christlichsozialen.

Mit dem doppelten Nein von heute bleibt alles beim Alten, das Defizit in der AHV und der Reformdruck werden grösser, das Drei-Säulen-Haus droht zu verlottern.

Diese Abstimmung hätte man gewinnen können. Die Allianz war breit, der Kompromiss schien austariert, Bundesrat Berset kämpfte wie eine Löwe für diese Vorlage, die er stark, vielleicht zu stark geprägt hat. Und das Paket, das er schnürte, war sehr umfangreich.

Die vorentscheidende Phase des Abstimmungskampfes begann Ende Juni und erstreckte sich über die ganzen Sommerferien. Damals hatte die Rentenreform bei Umfragen satte 60 Prozent Zustimmung, FDP-Präsidentin Petra Gössi leistete sich einen Fauxpax, die Kampagnenleute bei den Befürwortern konnten beruhigt in Urlaub fahren.

Doch da traten die Jungfreisinnigen auf den Plan, frisch und frech, und bald prägten sie zusammen mit Schlüsselfiguren der Mutterpartei den Diskurs. Ihre Schlagworte lauteten „Scheinreform“, „Rentenmurks“, „Giesskannenprinzip“ und „Zweiklassen-AHV“, was von den Medien bereitwillig aufgegriffen wurde. Neid kam hinzu, je intensiver die Debatte wurde – wer profitiert, wer nicht? Wir wissen es: Aus Neid resultiert am Schluss ein Nein. Das Bild der Jungen, die den Ausbau bezahlen müssen, verfestigte sich. Auf dem Schlachtfeld „70 Franken“ konnte das Ja-Lager nicht gewinnen; nicht wegen den 70 Franken, sondern weil das positive Framing dieses Schlachtfelds vergessen ging.

Die Jungfreisinnigen hatten früh Blut geleckt. Die Strategie stimmte, hernach wirbelten sie unermüdlich. Im Hintergrund zog der Kampagnenleiter der FDP Schweiz, Matthias Leitner, die Fäden, jung an Jahren, aber schon sehr erfahren im Geschäft. Nach aussen gaben jf-Präsident Andri Silberschmidt und andere Junge dem Nein-Lager ein sympathisches Gesicht, und sie kamen glaubwürdig herüber. Ihr Einsatz machte Eindruck. Und er schlug sich in den Medien nieder. Das zeigt eine Erhebung des Forschungsinstituts Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Uni Zürich über die Zeitspanne von Anfang Juli bis Mitte September. Die FDP erhält in den 21 wichtigsten Printmedien gleich viel Resonanz wie Bundesrat und SP zusammen. Das ist Handwerk!

In der Schlussphase waren viele Stimmbürger wegen dem Zahlensalat derart verunsichert, dass sie der Urne schliesslich fernblieben. Die Demobilisierung wirkte, die Stimmbeteiligung von nur 47 Prozent zeigt das deutlich auf. (Zum Vergleich: Noch Anfang September hatten 55 Prozent der Stimmberechtigten angegeben, teilzunehmen. Die Demobilisierung stärkte das Nein-Lager.)

Kommt hinzu: Die beiden grossen Ja-Komitees schafften es nicht mehr, Terrain zurückzuerobern und die Reform als pragmatisch zu etikettieren. Die Umfragewerte wurden für sie stetig schlechter, das Spiel lief für die Gegner. So ist Politik, so funktioniert die direkte Demokratie.

Der Pessimist sagt heute, dass wir wieder auf Feld 1 stehen. Der Optimist hingegen glaubt, dass weise Köpfe nun eine Vorlage zurechtzurren, die einfacher verständlich ist und auch eine Volksabstimmung überstehen kann.


Nachtrag:

Die Rentenreform ist morgen Montag auch Thema in der Talksendung “Schawinski”: Dort analysiere ich das doppelte Nein zusammen mit dem bekannten Politgeografen Michael Hermann.

Wie Johann Schneider-Ammann im Bundesratspoker Dynamik auslösen könnte

Was zeichnet eine ausgezeichnete Bundesrätin, einen AAA-Bundesrat aus?
– Der unbedingte Wille zu gestalten,
– Cleverness,
– das Geschick, mehrheitsfähige Allianzen schmieden zu können,
– Instinkt,
– eine klare Agenda,
– ein überzeugender Auftritt,
– Empathie,
– Volksnähe.

Bei allem Respekt, aber den beiden freisinnigen Bundesräten Didier Burkhalter und Johann Schneider-Ammann können nicht alle der genannten Qualitäten zugeschrieben werden. Das ist eine Belastung – nicht zuletzt für sie selbst, aber auch die FDP. Burkhalter hat gestern, ausgelaugt und müde, die Reissleine gezogen. Ab dem 1. November ist er Ex-Magistrat. Eine Zukunft mit einer selbstbestimmten Agenda und mehr Lebensqualität als heute ist dem hochanständigen und sensiblen Neuenburger zu gönnen.

Was wir nicht vergessen dürfen: Burkhalters Wahl in den Bundesrat war 2009 die logische Konsequenz auf die Phase der zermürbenden Nahkämpfe unter den Alphatieren Christoph Blocher (2004–2008, SVP), Pascal Couchepin (1998–2009, FDP) und Micheline Calmy-Rey (2003–2011, SP). Man wollte Harmonie und Kollegialität in der Landesregierung, Burkhalter hat grossen Anteil daran, dass beides wieder Einzug hielt.

Burkhalter kämpfte nie wie ein Löwe für seine Überzeugungen, es war ihm auch zuwider, in diese Niederungen der Politik hinabzusteigen. Deswegen wird sein Wirken blass oder bestenfalls durchzogen in Erinnerung bleiben.

Auch Johann Schneider-Ammann macht schon lange einen ausgelaugten und müden Eindruck. Als Unternehmer hat er für den Industriestandort Schweiz Grosses geleistet, das Renommee des umsichtigen Patrons trug ihn im Herbst 2010 in die Landesregierung. Allerdings ist er bis heute nicht mit der politischen Feinmechanik vertraut, seine rhetorischen Fähigkeiten sind eingeschränkt, was seit Jahren immer wieder zu Gespött führt.

Würden Burkhalter und Schneider-Ammann gemeinsam zurücktreten, wäre das für ihre Partei befreiend. Sie könnte ein Schaulaufen von Genf bis Rorschach und von Basel bis Mendrisio inszenieren. Nichts lieben die Medien mehr als Storys rund um Bundesratskandidatinnen und -kandidaten, das Sommerloch ist gross. Niemand glaubt im Ernst daran, dass die beiden FDP-Sitze gefährdet sind, die Kraftmeiereien der Levrats und Wermuths gehören zum politischen Spiel. Kommt hinzu, dass der FDP bei einem Doppelrücktritt alle Optionen offenstünden; sie riskierte nicht, einzelne Kantonalsektionen, Sprachregionen oder die FDP-Frauen zu verärgern.

Natürlich finden die eidgenössischen Wahlen erst im Oktober 2019 statt, aber mit zwei Neulingen im Bundesrat hätte der Freisinn schon früh viel Schwung – so denn das richtige Duo gewählt würde. Wie ungleich besser wäre diese Partei beispielsweise aufgestellt mit Ständerätin Karin Keller-Sutter (SG) und Staatsrat Pierre Maudet (GE)! Beide sind „animaux politiques“, beide bringen alle eingangs aufgelisteten Qualitäten mit. Der Ball liegt bei Schneider-Ammann. Er könnte Dynamik auslösen – zum ersten Mal als Politiker.

 

Kommentare zu Burkhalters Rücktritt vom 14. Juni 2017:

Der scheue Staatsmann (Basler Zeitung, Markus Somm)
Er war gar nie richtig Bundesrat (Der Bund, Patrick Feuz)
Le sparadrap du capitaine Burkhalter, démissionnaire (Le Temps, Bernard Wuthrich)
Nun ist ein bürgerlicher Bundesrat zu wählen (NZZ, Michael Schönenberger)
Burkhalter flüchtet und hinterlässt eine Grossbaustelle (Watson, Peter Blunschi)

Die USR-III wurde versenkt, weil das Vertrauen in die Akteure fehlt

Die gute Nachricht vorweg: Die Schweiz wird trotz diesem wuchtigen Nein zur Unternehmenssteuerreform III (USR-III) nicht untergehen. Genauso wie sie bei einem Ja nicht untergegangen wäre. Beide Lager überboten sich mit Schreckensszenarien, beide Kampagnen waren laut und populistisch. Entscheidend für das Scheitern der Vorlage war aber letztlich ein Kriterium: Vertrauen. Das muss im Hinblick auf weitere Reformen zu denken geben. Ein Abstimmungskommentar.

Ueli Maurer ist kein schlechter Bundesrat. Aber in entscheidenden Phasen fehlt ihm der staatsmännische Auftritt. Das war bei der Gripen-Abstimmung vor drei Jahren so, und es hat sich nun bei der USR-III wiederholt. Am 15. Januar dieses Jahres sagte er in einem Interview mit der „Schweiz am Sonntag“ trotzig:

„Bei einem Nein gleise ich am nächsten Tag ein Sparprogramm über mehrere Milliarden auf für die nächsten Jahre.“

Dieses Zitat wurde prompt von der Schweizerischen Nachrichtenagentur (sda) aufgegriffen und machte die Runde. In den Ohren vieler Leute klang Maurers Aussage wie eine Drohung. Andere erinnert sie an das Tina-Prinzip: Tina steht für There is no alternative. Auf Deutsch: Es gibt keine Alternative! Mit Verlaub, aber wir sind Nachfahren eines freiheitsliebenden Bergbauernvolks, wie sich meine deutschen Diskussionspartner gerne ausdrücken, und wir reagieren bockig, wenn jemand mit Tina einfährt.

 

In der SRF-Abstimmungs-„Arena“ vom 27. Januar entfuhr Maurer eine zweite Aussage, die für Kopfschütteln sorgte:

„Eine schlauere Vorlage haben wir noch selten gehabt.“

Tatsache ist, dass die USR-III-Vorlage eine Überforderung darstellt: für Hinz und Kunz genauso wie für die allermeisten Mitglieder des eidgenössischen Parlaments. Wer sie verstanden hat, sind einzelne Mitarbeiter der international tätigen Steuerberatungskonzerne, doch davon später.

Wenn eine Abstimmungsvorlage die Stimmbürgerinnen und -bürger materiell überfordert, wird die Glaubwürdigkeit ihrer Promotoren umso wichtiger. Frühere Finanzminister wie Kaspar Villiger oder Otto Stich hatten ein anderes Standing als Maurer. Sie hätten sich bei derselben Vorlage auch anders ausgedrückt: Ehrlicher – und souveräner. So aber wurden die Fragezeichen, die die Stimmbürger zu dieser Vorlage hatten, immer grösser. Niemand konnte sie glaubwürdig erklären.

Ein omnipräsenter Befürworter der USR-III war Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands (SGV) und Nationalrat. Als Schlachtross eignet er sich nicht, weil er beim Publikum durchfällt. Ein bürgerlicher Parlamentarier sagte es hinter vorgehaltener Hand unlängst so: „Jedesmal wenn Bigler auftritt, gefriert mir das Blut in den Adern.“

Dass der SGV rabaukige Kampagnen fährt, die zuweilen faktenfrei sind, ist nicht neu. Dieses Mal hat er die SP-Ständeräte Pascale Bruderer (AG), Claude Janiak (BL), Daniel Jositsch (ZH) und Hans Stöckli (BE) missbraucht. In der hauseigenen Zeitung, die in einer Auflage von drei Millionen Exemplaren verteilt wurde, wird das Quartett auf perfide Art als Befürworter der Vorlage aufgeführt.

Wer mit solchen Mitteln kämpft, hat als politischer Akteur viel Vertrauen verspielt und verdient einen neuen Direktor.

Schliesslich zur Wirtschaft. Wer ist diese “Wirtschaft”?  Hat sie ein Gesicht? Heinz Karrer, der Präsident von Economiesuisse? Wie schon bei der Masseneinwanderungs-Initiative vor drei Jahren war er auch dieses Mal kaum spürbar. An welche anderen Figuren erinnern wir uns?

Hallo?!

Stille.

Es ist kein Nebenschauplatz: In den Kadern der börsenkotierten Unternehmungen, die von der Schweiz aus wirken, stammt heute jeder zweite Manager aus dem Ausland. Die meisten von ihnen sind “Global Nomads”, sie sprechen keine Landessprache, an einer Gemeindeversammlung waren sie noch nie, bei der örtlichen Feuerwehr oder im Turnverein machen sie nicht mit, ihre Kinder gehen in eine English School. In vier oder fünf Jahren ziehen die Manager wieder weiter, nach Singapur, Greater London oder in die Niederlande. Der Wirtschaft hierzulande fehlen die bekannten Köpfe, denen man vertraut. Das ist der Preis der Globalisierung.

Steuerberater drückten USR-III den Stempel auf

Doch zurück zur USR-III: Es hat Tradition, dass bei Gesetzgebungsprozessen externe Expertinnen und Experten beigezogen werden. In der langen Schlussphase der Ausgestaltung dieses Gesetzes kamen Steuerberater von KPMG und PricewaterhouseCoopers (PWC) ins Spiel. Ihr Wissensvorsprung auf internationalem Parkett ist gross, was ihren Einfluss erhöhte, schliesslich übernahmen sie faktisch den Lead. Sie drückten der USR-III den Stempel auf. Wer will es ihnen verübeln: Steuerberatungskonzerne und Wirtschaftskanzleien wollen ihre Portfolios vergrössern, Steueroptimierung ist ein sehr attraktives Geschäftsfeld.

Der ehrliche Durchschnittsbürger, der jeden Rappen Einkommen und Vermögen versteuert, hat heute “Stopp!” gerufen. Ob allerdings eine substantiell bessere Vorlage zustande kommt, und das innerhalb von weniger als zwei Jahren, ist komplett ungewiss. Die Zeit läuft, seitens der EU und der OECD drohen eine Schwarze Liste und Sanktionen. Das eidgenössische Parlament scheint nicht mehr befähigt, bei grossen Fragen einen mehrheitsfähigen Kompromiss erarbeiten zu können.

 

P.S.
Das Ja-Lager hat einen wichtigen Faktor komplett ausgeblendet: Die Unternehmenssteuerreform II (USR-II), die wir im Februar 2008 mit 50.5 Prozent ganz knapp annahmen. Im Abstimmungsbüchlein wurden damals die Steuerausfälle auf 83 Millionen Franken beim Bund und auf rund 850 Millionen bei den Kantonen ausgewiesen. In Realität waren die Ausfälle aber ein Mehrfaches grösser. Das Bundesgericht sprach von einer „krassen Verletzung der Abstimmungsfreiheit“. Dieser Fall hallte nach – bis zur heutigen Abstimmung zur USR-III; viele Leute glauben, sie seien damals angelogen worden. Das untergrub das Vertrauen erst recht.


Weitere Kommentare etablierter Medien vom 12. Februar:

Das Nein ist Ausdruck einer Vertrauenskrise (Aargauer Zeitung, Patrik Müller)
Bundesrätliches Debakel (Berner Zeitung, Peter Jost)
Jetzt braucht es dringen eine neue, verbesserte Vorlage (Blick, Christian Dorer)
Eine schallende Ohrfeige (Bund/Tages-Anzeiger, Markus Häfliger)
Ausdruck eines grösseren Malaise (NZZ, Marcel Amrein)
Ein Votum gegen die Globalisierung (St. Galler Tagblatt, Pascal Hollenstein)
Schweizer Volk feuert tellschen Warnschuss ab (Tageswoche, Gabriel Brönnimann)
Der Mittelstand versteht keinen Spass, wenn es um sein Portemonnaie geht (Watson, Peter Blunschi)


Interviews der Folgetage:

– mit SGV-Direktor Hans-Ulrich Bigler:
“Die Angst-Kampagne hat verfangen” (NZZ, Daniel Gerny)
– mit FDP-Präsidentin Petra Gössi:
“SP-Präsident Levrat hat populistische Parteipolitik betrieben” (NZZ, Heidi Gmür)
– mit Andrea Arezina, Co-Kampagnenleiterin der SP
“Fake-News zahlen sich nicht aus” (Medium, Daniel Graf)
– mit Ex-Preisüberwacher Rudolf Strahm:
“Jetzt zeigt sich, ob Ueli Maurer als Staatsmann taugt” (Der Bund, 15. Februar, Philipp Loser & Markus Häfliger)
– mit Thomas Cueni, Geschäftsführer von Interpharma
“Wir haben versagt” (NZZ, 17. Februar, Hansueli Schöchli)


Weitere Texte:

Maurers halbe, unehreliche Schlüsse (NZZ, 14. Febr., Michael Schönenberger)
Das bürgerliche Kampagnen-Debakel (Tages-Anzeiger, 17. Febr., Christoph Lenz & Philipp Loser)
Gesundes Misstrauen in der direkten Demokratie (Basellandschaftliche Zeitung, 18. Febr., David Sieber)

Grafik: Tages-Anzeiger

Roger Köppels Attacke wird Schule machen

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Beide sind belesen und klug, aber sie mögen sich nicht. „Weltwoche“-Verleger und -Chefredaktor Roger Köppel nimmt jede Gelegenheit wahr, in seinen Editorials gegen Bundesrätin Simonetta Sommaruga zu schiessen. Mehrfach wurde sie und das Asyldossier, das sie verantwortet, zur Titelgeschichte. Mit Kritik hat das nichts mehr zu tun, es ist eine gehässige Kampagne, die das Heft schon seit Monaten gegen die Justizministerin reitet.

Gestern trug Köppel diese Kampagne unter die Bundeshauskuppel. Als es um das Kroatien-Protokoll ging, machte er aus seinem allerersten Auftritt als Nationalrat gleich einen Frontalangriff. In seinem fünfminütigen Votum sprach er nicht zum eigentlichen Geschäft, sondern über Flüchtlinge und Asyl. Und immer wieder nannte er Sommaruga beim Namen, spitzte zu, als ob sie irgendetwas alleine entscheiden könnte. Sie habe “Männer aus Gambia, Somalia und Eritrea ins Land geholt”, wetterte Köppel. Eine Unterstellung, die typisch ist für seine Rhetorik, die er schon seit Jahren pflegt.

Diese Aussage war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Sommaruga stand auf und verliess wortlos den Saal. Ihre Reaktion ist menschlich – auch Bundesräte sind nur Menschen! –, aber nicht souverän. Gerade weil sie davonlief und die SP-Fraktion ihr folgte, stärkt sie Köppel, und diese Episode wird nun vermutlich zum grössten Thema der Woche.

Im Nationalratssaal gibt es seit jeher immer mal wieder Entgleisungen und hässliche Voten. In den ersten Jahrzehnten des modernen Bundesstaates zogen Politiker schon mal ihre Hosen runter und zeigten ihrem politischen Gegner den Hintern (der in der Regel von einem langen Hemd bedeckt war) und damit ihre Verachtung.

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Die Attacke Köppels als polemische Posse eines Flegels oder als Zynismus abzutun, greift zu kurz. Sie hat eine andere Tragweite: Was Köppel sagte, triefte vor Häme und Verachtung. Er kritisierte nicht die Sache, sondern die Person – sein Feindbild. Damit beschädigt er die politische Kultur unseres Landes. Im Zeitalter von Clickbait-Journalismus und Social Media dreht eine solche Story sofort auf hohen Touren. Bis am Sonntag werden noch Dutzende von Texten zum Thema erscheinen. Der linke Mob springt auf und hasst Köppel noch mehr als früher, der rechte Mob fühlt sich bestärkt und prügelt auf Sommaruga ein.

Köppels Attacke wird Schule machen, in TV-Debatten und Schulzimmern, an Versammlungen und Podien. Der schnelle Denker, Spieler und gerissene Provokateur wird zum Vorbild. Wenn ein Chefredaktor und Nationalrat sich so verhält, geht ein Ventil auf: Andere wollen auch. Dabei geht es nur noch um etwas: Den Gegner auf einer persönlichen Ebene angreifen, ihn respektlos zu Boden knütteln und mit Häme überschütten. Die Prämie: das Geheul der Meute. Nur: So zu politisieren ist unschweizerisch.

Mit solchen Auftritten riskiert Köppel im Weiteren, ein zweiter Mörgeli zu werden. Dieser war zu Beginn seiner politischen Karriere ein gefürchteter Debattierer. Weil er über Jahre hinweg und dauergrinsend die ewig gleichen Giftpfeile in alle Richtungen schoss, wurde er aber irgendeinmal von niemandem mehr Ernst genommen. Bei den Nationalratswahlen im Herbst 2015 war das Parteivolch seiner überdrüssig und strich ihn von der eigenen Liste. Die Zürcherinnen und Zürcher waren mörgelimüde geworden. Er wurde abgewählt – ein Sturz ins Bodenlose.

Mark Balsiger

 

Nachtrag vom 30. April 2016:

Roger Köppel legt nach: Gegenüber “TeleZüri” verglich er Bundesrätin Sommaruga mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Anderen Medien gegenüber gab er zu Protokoll, Sommarugas Verhalten ihm gegenüber sei “respektlos”.

Der “Blick” liefert heute einen Faktencheck zu Roger Köppels Rede.

Andere Kommentare:

Sommarugas Abgang hilft einzig Köppel (Berner Zeitung, Bernhard Kislig)
Politik ist keine Aromatherapie (Tages-Anzeiger, Jean-Martin Büttner)
Einmal kräftig spülen, bitte (NZZ, Heidi Gmür)
Eklat im Parlament: Hört auf mit dem Klamauk! (Aargauer Zeitung, Christian Dorer)
Die Wiedergeburt der Politik (Basler Zeitung, Markus Somm)

Mit quälender Hartnäckigkeit (Die Zeit; Mathias Daum, 16.05.2016)
Weshalb Bundesrätin Sommaruga die Erzfeindin der SVP ist.

 

Was man von Bundespräsident Johann Schneider-Ammanns TV-Auftritt lernen könnte

Seit fünfeinhalb Jahren ist Johann Schneider-Ammann inzwischen im Bundesrat. So viel Aufmerksamkeit wie dieser Tage wurde ihm noch nie zuteil. Seine vierminütige TV-Ansprache zum Tag der Kranken ist, mit Verlaub, Realsatire. Was man daraus lernen könnte.

schneider_ammann_rts_601Ronald Reagan hatte Charisma, ausgezeichnete Berater und langjährige Erfahrung als Schauspieler. Aus diesen Gründen ging der US-Präsident (1980 – 1988) als „The Great Communicator“ in die Geschichte ein. Wie wir inzwischen wissen, übte er seine wichtigen Medienkonferenzen tagelang und bis ins letzte Detail.

Bundesrat Johann Schneider-Ammann markiert den Gegenpol zu Reagan. Der überzeugende öffentliche Auftritt ist nicht seine Domäne: Er wirkt steif, zimmert im Zeitlupentempo Schachtelsätze zusammen, die inhaltlich nichts hergeben, und er leidet dabei. Kein Wunder werden die skurrilsten Sequenzen schon seit Jahren bei „Giacobbo/Müller“ gezeigt.

Mit seiner emotionslosen Ansprache zum Tag der Kranken – rire c’est bon pour la santé” – hat Schneider-Ammann sein Image zementiert. Sie ging um die halbe Welt. Dieser Tage in Frankreich, sah ich einen Ausschnitt im Satire-Programm „Le petit journal“ den TV-Kanals Canal Plus (Foto unten). Ich traute meinen Ohren und Augen nicht, der Spott meiner französischen Bekannten war gross – berechtigt. Dieser Auftritt ist keine Staatskrise, aber peinlich – für den Bundespräsidenten und für unser Land. Und er wirft ein schlechtes Licht auf Schneider-Ammanns departementsinterne Kommunikationsberater, sechs an der Zahl.

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Seit nunmehr 13 Jahren arbeite ich als Berater und Kommunikationstrainer regelmässig mit Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Militär und Politik zusammen. Überzeugend aufzutreten, wird niemandem in die Wiege gelegt. Es braucht eine solide Vorbereitung und ehrliche Feedbacks.

Wie es zu Schneider-Ammanns blamablen Auftritt kommen konnte, wissen wir (noch) nicht. Wie wäre ich als verantwortlicher Kommunikationschef im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) vorgegangen? Ein paar Punkte:

1.  Die Tage der Bundesräte sind lang und deshalb erwartet niemand von ihnen, dass sie ihre Reden selber schreiben. Aber: sie müssen mit dem Text, den sie vortragen, vertraut sein. Das funktioniert am besten, wenn das Manuskript ausgedruckt wird. Nachdem der Bundesrat die Rede ein erstes Mal mit lauter Stimme vorgetragen hat, nimmt man Korrekturen vor, unterstreicht Schlüsselstellen und markiert Übergange, die sich für kurze Pausen eignen. Bei diesem dynamischen Prozess fliesst auch das ehrliche Feedback der Berater ein. Wenn sie sich nicht getrauen, diese Phase aktiv mitzugestalten, stimmt etwas mit der Kultur im „eigenen Laden“ nicht.

2.  Zentral ist eine simple Erkenntnis, die in der Deutschschweiz aber immer wieder vergessen wird: Eine Rede ist keine Schreibe. Man schreibt sie zum Hören, nicht zum Lesen. Die Rede zum Tag der Kranken war einfach und für ein heterogenes Publikum gedacht. Sie ist hier in deutscher Sprache aufgeschaltet. Wer sie gelesen hat, kommt zum Schluss, dass sie inhaltlich ansprechend ist. Entsprechend liegt das Versagen beim Auftritt.

3.  Aus Schneider-Ammann würde auch nach jahrelangem Üben kein kleiner Reagan. Das Antrainieren von Gesten finde ich grundsätzlich falsch, weil dadurch die Authentizität verloren geht. Aber: Lockerheit vor der Kamera und dem Teleprompter kann man erlangen. Dafür gibt es einfache Übungen, die sich bewährt haben. Als Sparringpartner hätte ich den Bundespräsident dazu gebracht, ein paar Übungen zu machen. Wer den Mut hat, beim Aufwärmen herumzuhampeln und die Gesichtsmuskulatur zu lockern, steht bei der Aufnahme schliesslich nicht wie ein Hampel da.

4.  Ist die erste Aufnahme im Kasten, wird sie zusammen mit dem Protagonisten visioniert. Jetzt geht es darum, para- und non-verbale Unzulänglichkeiten zu korrigieren, jede Aufnahme ist wie ein Trainingslauf. Perfektion steht nicht im Zentrum, der Auftritt muss aber glaubwürdig sein. Wenn das Feuer für den Inhalt herüberkommt, ist das toll. Zumindest muss aber die Identifikation spürbar werden. Auch wegen diesem Aspekt fiel Adolf Ogis legendäre Neujahrsansprache im Jahr 2000 mit dem Tannenbäumchen nicht durch. (Ogi brüllte wie ein halbtauber Artillerieoffizier, obwohl das Mikrofon ganz in der Nähe war…)

5.  Die Version, die der Protagonist und sein Trainer als gut bzw. brauchbar einschätzt, wird von einem bislang nicht involvierten Berater angeschaut. Er empfiehlt “Go” oder “Do it again” – bei Zweiterem mit Verbesserungsvorschlägen.

Der Zeitaufwand für den ganzen Prozess mit Aufnahmen in drei Landessprachen beträgt nicht mehr als zwei Stunden.

6.  Der Hintergrund ist bei TV-Ansprachen kein Detail. Er darf nicht unruhig sein.

7.  Man wusste um die bescheidenen rhetorischen Fähigkeiten Schneider-Ammanns. Seine Berater machten im Vorfeld und während den Aufnahmen offensichtlich einige Fehler. Leider aber auch im Nachhinein. Das grosse mediale Interesse der letzten Tage müsste man nutzen: Ich hätte ihm einen TV-Auftritt organisiert, idealerweise am nächsten Sonntag bei „Giacobbo/Müller“ oder im „TalkTäglich“, das die drei Privatsender TeleZüri, TeleM1 und TeleBärn allabendlich ausstrahlen. Dort hätte sich Schneider-Ammann in Ruhe erklären und Sympathiepunkte zurückerobern können.

Ein agiler Beraterstab hätte optional eine selbstironische Videosequenz mit ihm aufgenommen und diese via Twitter lanciert. Aber wie dieses Twitterding funktioniert, hat man im WBF eben auch noch nicht verinnerlicht.

Mark Balsiger

 

Nachtrag vom 11. März 2016:

Inzwischen haben auch die “Washington Post” und die “Süddeutsche Zeitung” über den Auftritt Schneider-Ammanns berichtet. Und sein Beraterstab erklärte sich in den Medien.