Im Bundesrat ist jetzt Leadership gefragt

Publiziert am 11. Dezember 2019

Der Coup der Grünen blieb aus: Damit sind die Bundesratswahlen genauso ausgegangen, wie es fast alle Journalistinnen und Auguren prognostiziert hatten. Es muss mehr Zeit verstreichen, bis eine aufstrebende politische Kraft in die Landesregierung integriert wird, obwohl sie «Anspruch» auf einen oder sogar zwei Sitze hätte. Das zeigt ein Blick in die Vergangenheit:

– Katholisch-Konservative, die heutige CVP: 1891;
– BGB, dir Vorläuferpartei der SVP: 1929;
– SP: 1943;
– SVP: 2003 bzw. 2015.

Die FDP und ihr Bundesrat Ignazio Cassis, dem der Angriff von Regula Rytz galt, sind erleichtert. Das dürfte insgeheim auch für die Grünen und ihre gescheiterte Kandidatin gelten. Sie wollten nicht mit letzter Konsequenz in die Landesregierung. Vor allem aber wissen sie, dass sie als Oppositionskraft mehr Druck aufbauen können – inhaltlich und elektoral. Viele Mitglieder verstehen die Grünen immer noch eher als Bewegung denn als Partei.

Es ist gut möglich, dass die Grünen in den nächsten Jahren bei kantonalen Wahlen weiter zulegen werden und, kraft ihrer neuen Stärke, in Bundesbern selbstbewusster auftreten. Tun sie es mit Cleverness, bleiben sie auf dem Radar der Medien und bleiben für einen Teil des Elektorats attraktiv.

Was geschieht bei der nächsten Vakanz, vorab wenn Ueli Maurer, immerhin seit elf Jahren im Amt, seinen Rücktritt ankündigt? Die Grünen werden wieder eine Kampfkandidatur lancieren. Dieser Zweikampf würde eine pikante Note erhalten, wenn die SVP-Kandidatin Magdalena Marullo-Blocher heissen sollte. Und was geschieht im Dezember 2023, wenn die Grünen immer noch unter den vier wählerstärksten Parteien figurieren?

Klar ist nur etwas: Die Zauberformel wurde heute Morgen geopfert, das Machtkartell hat sich problemlos durchgesetzt. Dass die Verteilung der Bundesratssitze ein Anachronismus ist und angepasst werden sollte, forderte ich vor ein paar Tagen in einem anderen Blog-Posting.

Der alte Bundesrat ist also zugleich der neue, hat allerdings ein paar alte Probleme zu lösen. Benennen wir nur eines: das Thema Europa. Seit Jahren schafft es der Bundesrat nicht, sich zusammenzuraufen. Das Rahmenabkommen liegt auf dem Tisch, aber die Landesväter und -mütter sind verzagt. Stattdessen wursteln sie sich irgendwie durch, Didier Burkhalter war irgendeinmal am Ende seiner Kräfte und warf den Bettel hin. Ignazio Cassis, sein Nachfolger, wollte den «Reset-Knopf» drücken, erwies sich dabei aber als Kommunikator, dem Klarheit und Finesse abgehen. EU-Unterhändler Roberto Balzaretti schliesslich ist inzwischen «verbrannt», wie das Diplomaten nennen. Es macht keinen Sinn, ihn weiterhin für Verhandlungen nach Brüssel zu schicken.

Kurz und schlecht: Es fehlte in diesem Bundesrat bislang an Leadership. Just das wurde auch im jüngsten Sorgenbarometer der CS bemängelt. Demnach sehen 77 Prozent der Befragten «die sinkende Fähigkeit der Politik, für tragfähige Lösungen zu sorgen» als die grösste Gefahr für die Schweizer Identität. Es folgen die Problemen mit der EU (62 Prozent) und der Reformstau generell (61 Prozent).

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