Weshalb die Grünen keinen Sitz im Bundesrat erobern werden

Publiziert am 06. September 2019

Keine Partei hat bei den kantonalen Wahlen seit Anfang 2016 ähnlich viele Sitze gewonnen wie die Grünen (42). Dieses robuste Wachstum wird seit geraumer Zeit auch im Wahlbarometer der SRG bestätigt. Gemäss der Umfrage, die gestern veröffentlicht wurde, erreichen sie 10.5 Prozentpunkte.

Das ist der Höchstwert der Grünen, die damit die CVP mit ihren 10.2% knapp hinter sich lässt. Reflexartig folgern nun viele Medien, dass nun eine grüne Vertretung im Bundesrat Tatsache werden könnte – etwa die Blätter von Tamedia:

Die Zauberformel, die seit 1959 (mit einer Pause zwischen 2008 und 2015) gilt, lautet, dass die drei grössten Parteien je zwei Sitze in der Landesregierung beanspruchen dürfen, die vierstärkste kriegt noch einen Sitz.

Ein Blick zurück zeigt, dass erstarkte Parteien nie sofort mit einem Bundesratssitz belohnt wurden:

– Bei den Nationalratswahlen 1999 wurde die SVP ex aequo mit der SP stärkste Partei (mit 22.5%), aber erst 2003 konnte sie sich den zweiten Sitz erkämpfen. Wir erinnern uns: Sprengkandidat Christoph Blocher verdrängte die bisherige CVP-Magistratin Ruth Metzler nach einem dramatischen Wahlherbst.

– Dank der Einführung des Proporzwahlrechts 1919 konnte die SP ihre Sitzzahl im Nationalrat beinahe verdoppelt. Seit damals ist sie stets unter den drei grössten Parteien, aber erst 1943 wurde ihr der Einzug in den Bundesrat erlaubt (mit Ernst Nobs); sogar erst 1959 konnte sie sich einen zweiten Sitz ergattern.

– Die ersten Wahlen nach Proporz waren auch aus einem weiteren Grund revolutionär: Die Bauern- und Bürgerpartei, eine Abspaltung des Freisinns, erreichte 1919 auf Anhieb 15.3 Prozentpunkte und 30 Sitze im Nationalrat, war also auf einen Schlag die viertstärkste Partei im Land. Ihr Anführer war der legendäre Berner Rudolf Minger. Zehn Jahre später, also 1929, wurde Minger Bundesrat und seine Partei damit in der Landesregierung eingebunden. Im Verlaufe der Dreissigerjahre sammelten sich die verschiedenen kantonalen Bauern- und Bürgerparteien und einem neuen Namen: Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB; die BDP beruft sich gerne auf sie!). Er hatte bis 1971 Bestand, dann erfolgte die Umbenennung in Schweizerische Volkspartei (SVP).

Es gibt einen zweiten Grund, der gegen einen Grünen – oder eine Grüne – im Bundesrat spricht: Derzeit umfasst die grüne Fraktion (inkl. PdA) 13 Mitglieder. Sollte sie bei den eidgenössischen Wahlen zehn Sitze zulegen, was einem Erdrutsch gleich käme, hätte sie neu 23 Mitglieder. Die CVP-Fraktion (inkl. 2 EVP und 1 CSP) wiederum zählt zurzeit 43 Sitze. Verlöre sie zehn Sitze, käme sie noch auf 33 Sitze, wäre also immer noch deutlich stärker als die grüne Fraktion.

Selbst wenn die Grünen die CVP am 20. Oktober überholen sollten: Dass sich bei den Gesamterneuerungswahlen des Bundesrats im Dezember eine Mehrheit bildet, die den Grünen den Einzug in die Landesregierung ermöglicht, können wir ausschliessen. In seiner Konsequenz würde das bedeuten, dass die populäre Viola Amherd nach just einem Jahr bereits wieder weg wäre. Ausgerechnet sie, die einen guten Start hinlegte und im VBS kräftige Spuren zieht, was ihren beiden Vorgängern Ueli Maurer und Guy Parmelin nicht gelingen wollte. Freisinnige und SVP’ler wären für einen solchen Putsch nichts zu haben. Ihnen liegt Amherd – oder auch FDP-Cassis – viel näher als irgendjemand mit einem grünen Parteibuch.

Regula Rytz, die Parteipräsidentin der Grünen, weiss um die Gefahren und hält den Ball deshalb routiniert flach. Das Thema komme nach dem 20. Oktober aufs Tapet, vermeldete sie nüchtern.

Fazit: Der Wirbel um einen grünen Bundesratssitz haben die Medien entfacht. Möglich, dass die Grünen ab dem 20. Oktober mit dem Säbel rasseln werden. Aber am 11. Dezember wird die parteipolitische Zusammensetzung der Landesregierung nicht ernsthaft zur Debatte stehen.

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