10vor10 hat Bern wieder rehabilitiert – Stadtpräsident Tschäppät jubiliert
Publiziert am 25. Juni 2008Seit Jahren ist in den Medien eine Entwicklung zur Emotionalisierung, Personalisierung, Skandalisierung und Trivialisierung zu beobachten. Oft wird ihnen vorgeworfen, dass sie sich nur auf das Negative stürzen. In der Tat gilt auf vielen Redaktionen: “good news are no news”.
Die SF-Nachrichtensendung “10vor10” machte Anfang Woche eine Ausnahme und produzierte einen Positiv-Beitrag, wie man ihn selten zu sehen bekommt (“Bern im Aufwind”). Auslöser war die Vergabe der Einkunstlauf-EM 2011. Bern hat den Zuschlag erhalten. Das liess sich wunderbar verbinden mit der aktuellen Fussball-EM, die in Bern dank den holländischen Gästen hohe Wellen schlug (siehe Bild nebenan), und der Eishockey-EM im kommenden Jahr.
In bester Laune zog Berns Stadtpräsident Alexander Tschäppät mit “10vor10”-Korrespondent Urs Wiedmer unter den Baldachin beim umgestalteten Bahnhofplatz und zum neuen Eisstadion, das zurzeit gebaut wird. Die Botschaften: “Wir gaben und geben Bern ein neues modernes Gesicht; wir investieren im grossem Stil.” Die Suggestivkraft der Bilder ist überwältigend.
Ich finde es legitim, diesen Beitrag an Tschäppät aufzuhängen, auch wenn dieser im Wahlkampf steht. Das ist der Bonus des Bisherigen. Es dürfte für ihn Balsam sein, nach dem gnadenlosen Bern-Bashing im letzten Herbst, bei dem Tschäppät wie nie zuvor an die Kasse kam.
Die Quintessenz: In Bern herrscht wieder Friede, Freude, Eierkuchen; es wird gebaut. “10vor10” hat die Stadt nach der “Schande von Bern” wieder rehabilitiert. Alexander Tschäppät wird innerlich jubilieren. Die enorme Medienpräsenz kommt für ihn zum besten Zeitpunkt.
Doch zurück zum “10vor10”-Beitrag: Die letzten 15 Sekunden gehören ausschliesslich Urs Wiedmer, dem Korrespondenten des SF, einem Berner. Er stellt sich auf der Kirchenfeldbrücke vor die Kamera, das Münster im Hintergrund. Seine Sätze sind es wert, hier tel quel wiedergegeben zu werden:
“‘I ha Bärn gärn.’
Dies ist für viele Berner wieder mehr als nur ein Lippenbekenntnis. Wir Berner sind wieder wer. Wir sind stolz auf unsere Stadt. Auf die Hauptstadt der Schweiz. Bern ist nicht mehr nur Zürich-West oder Amsterdam-Süd.
Bern ist Bern.”
Der Beitrag ist handwerklich gut gemacht, der Schluss hingegen wirft Fragen auf: Urs Wiedmer gibt Sätze von sich, die in einer Werbeagentur nach einer ersten müden Sitzung auf dem Notizblock stehen könnten. Er wechselt urplötzlich die Seite, lässt jede Distanz vermissen und wird zum Mediensprecher von Bern Tourismus. Damit untergräbt er seine Glaubwürdigkeit als Journalist.
Im “Leutschenbach” wird Wiedmers Beitrag noch zu weiteren Diskussionen führen. Wir dürfen gespannt sein, was Chefredaktor Ueli Haldimann in seinem Blog dazu schreibt – und was SRG-Ombudsmann Achille Casanova meint. So er denn angerufen wird.
Foto Bundeshausplatz in Oranje: 20Minuten online
Foto Alexander Tschäppät: www.euro08-bern.ch
Hat er sein Alkoholproblem im Griff? Und seine Frauengier?