Abzocker-Initiative: Der Kampf zwischen Emotionen und Millionen

Publiziert am 02. Dezember 2012

Wenn Volksabstimmungen auf Messers Schneide stehen, kann das Budget den Ausschlag geben. Oder die Kampagne, wenn sie ins Schwarze trifft. Genau drei Monate vor dem Abstimmung zu Thomas Minders Abzocker-Initiative lohnt es sich deshalb, die ersten Sujets der Gegner unter die Lupe zu nehmen. Ich machte das für die “SonntagsZeitung”. Hier die “extended version”.

 

Die drei Sujets der Gegner überzeugen mich handwerklich. Teilweise missraten sind allerdings die Aussagen der Protagonisten. Wenn ein Hobby-Model sagt, es sei zuerst für die Abzocker-Initiative gewesen, jetzt aber für den Gegenvorschlag (siehe unten), so ist das faktisch eine Nullaussage. Die Begründung für den Meinungsumschwung fehlt.  Hat die Frau sich materiell mit der Vorlage, über die wir am 3. März 2013 abstimmen, auseinandergesetzt? Oder schwimmt sie einfach im Mainstream mit?

 

Ungut ist, dass einmal “Minder-Initiative”, ein anderes Mal “Abzocker-Initiative” verwendet wird. Redundanz ist in der Werbung zentral, das Publikum sollte nicht durch Synonyme irritiert werden. (1970 geschah dasselbe mit der Überfremdungs-Initiative, die oftmals auch Schwarzenbach-Initiative genannt wurde.)

Der Schlüsselbegriff, um die Abzocker-Initiative zu bodigen, wäre: Wirksamkeit. Ein Beispiel:

Nein zur Minder-Initiative.
Nur der Gegenvorschlag wirkt. Sofort.

Das zweite Kopf-Sujet (siehe unten) ist deutlich besser in seiner Aussage.

Ab morgen Montag beginnt die so genannte Sensibilisierungskampagne. Zunächst ist das Sujet mit der grossen Lupe zu sehen. In einer zweiten Phase werden dann die Köpfe mit ihrem Aussagen folgen.

Auf den ersten Blick ist die Lupe ein gutes “Key Visual”, die Internet-Domain „genauer-hinschauen.ch“ passt dazu. (Ungeschickt, dass sie umgeleitet wird auf “minder-nein.ch”.) Eine Lupe bedeutet aber auch: Es geht nur um kleine Details. Mithin könnten Teile des Stimmvolks zu interpretieren beginnen, lies: Ob Initiative oder Gegenvorschlag spielt keine grosse Rolle.

Sujets einer kohärenten Abstimmungskampagne lassen keine Interpretationen aufkommen, sondern bringen es auf den Punkt. Die Botschaft muss binnen zweier Sekunden rüberkommen. Länger gucken Herr und Frau Schweizer nicht hin.

 

Die prominente Nennung des „Parlaments“ taxiere ich als Schnitzer. Genau dieses Parlament verschleppte ja die Volksinitiative mehr als vier Jahre lang mit Nebelgranaten und allen möglichen Tricks – ein unrühmliches Kapitel. Für das Lager des parteilosen Schaffhauser Ständerats Thomas Minder ist dies erneut eine Steilvorlage, es kann mit Recht die Glaubwürdigkeit des Parlaments anprangern.

In diesem Abstimmungskampf stehen sich u.a. gegenüber:

– David vs. Goliath
– Wutbürger vs. Establishment
– Emotionen vs. Millionen.

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse will mindestens 6 Millionen Franken für die Nein-Kampagne aufwerfen. Das ist für Schweizer Verhältnisse ein erkleckliche Summe. Der Ausgang der Abstimmung ist offen. Die Umfragen zeigten bislang ein deutliches Ja. Allerdings ist die Zustimmung bei den meisten Volksinitiativen am Anfang des Meinungsbildungsprozesses hoch. Wenn die Debatten und Kampagnen greifen, sinkt sie in den allermeisten Fällen und endet in 9 von 10 Fällen bei einem Nein.

Economiesuisse ist herausgefordert, die nächsten drei Monate die wichtigsten Inhalte unermüdlich zu repetieren. Sie appellieren an Ratio und funktionieren am stärksten über Schlüsselfiguren. Argumentieren diese inhaltlich überzeugend und betont sachlich, könnten sie am 3. März das “Ding” vielleicht doch noch zu einem Nein drehen.

Die Kampagnen im Netz

a) Befürworter:

Website: Ja zur Abzocker-Initiative
Facebook-Page: Volksinitiative gegen die Abzockerei
Twitter:VI gegen Abzockerei

b) Gegner:

Website: Minder-Nein
Facebook-Page: Minder-Initiative NEIN
Twitter: Volksinitiative Minder_NEIN 

Sujets: zvg durch “SonntagsZeitung”

11 Replies to “Abzocker-Initiative: Der Kampf zwischen Emotionen und Millionen”

  1. Mark, ausgehend von deinen Zeilen:

    – David vs. Goliath
    – Wutbürger vs. Establishment
    – Emotionen vs. Millionen.

    1/ In der Schweiz geniesst der kleine David grosse Sympathien, er liegt von Anfang an im Vorteil.

    2/ Die Wut des Bürgers gegen das Establishment betreffend Abzockerei ist flächendeckend enorm und sogar bei Gutverdienenden der Mittelklasse deutlich spürbar.

    3/ Je mehr Millionen und Emotionen, so höher steigen die Chancen der Initiative. Wenn Economiesuisse viel Geld reinsteckt und der politische Kampagnenleiter auf der Lohnliste der UBS steht, so ist die Sache nicht mehr abzuwenden. Vorsichtigerweise gehe ich von einer Annahme der Minder-Initiative von mindestens 60% aus. Wetten dass?

  2. Wir sollten weniger über David vs. Goliath und die Millionenbeträge von economiesuisse für den Abstimmungskampf diskutieren. Stattdessen sollte der Inhalt der Initiative ins Zentrum rücken.

    Gemäss Umfragen befürworten ja fast 80 Prozent die Initiative. Wie viele dieser Personen haben sich bereits mit dem Gegenvorschlag auseinandergesetzt? Kaum jemand. Das ist schade, man sollte dem Gegenvorschlag zumindest eine faire Chance geben. Mich hat er jedenfalls überzeugt.

    @ Mark Balsiger
    Wie schätzen Sie denn die Chancen ein, dass die Initiative angenommen wird? Kann es gelingen, das Volk vom guten Gegenvorschlag zu überzeugen?

  3. ‘@ Frau Kaelin

    Ich stimme Ihnen vollkommen zu. Wie man abstimmt ist einem selbst überlassen, aber sich vorher mit dem Thema auseinanderzusetzen ist eine Bürgerpflicht!

    Wie im Artikel hier erwähnt, sind die Gemeinsamkeiten von Initiative und Gegenvorschlag gross, auch wenn die Verfechter der Initiative dies gerne abstreiten. Gerade das Thema der Lohnexzesse wird von beiden Regelungen gelöst.

    Aber die zahlreichen Forderungen der Initiative, die die Flexibilität der Unternehmen einschränken, machen mir Sorgen. Deshalb stimme ich gegen die Initiative und für den Gegenvorschlag.

  4. Nur schnell ein Zwischenruf:

    Am 3. März 2013 steht nur die Volksinitiative zur Abstimmung. Über den Gegenvorschlag können wir nicht abstimmen. (Das Parlament entschied sich für diesen atypischen Weg.)

    Der Gegenvorschlag tritt aber in Kraft, wenn das Volk die Initiative von Thomas Minder ablehnt.

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