Berner Wahlen: BDP mit einem fulminanten Ergebnis, FDP kassiert böse Schlappe
Publiziert am 28. März 2010Hans Grunder (Foto) ist ein Daueroptimist und offensichtlich stets guter Laune. Das liest man in seinem Gesicht. Weshalb seine Partei bei den Berner Wahlen spektakulär abräumte, kann der Präsident der BDP Schweiz auch nicht erklären. Für den Wähleranteil von 16,0 Prozent, den die BDP bei den Parlamentswahlen holte, ist der Begriff “Erdrutsch” noch untertrieben.
Die Data des Bundesamtes für Statistik, die auf dem Web zugänglich ist, reicht bis ins Jahr 1968 zurück. Bei der Recherche nach kantonalen Wahlen konnte ich keinen derart grossen Sprung in der Wählergunst finden. Das fulminante Ergebnis der Berner BDP verdient Hochachtung – und bedarf einer genaueren Einschätzung.
“Schwesterkrieg” mit SVP war unbezahlbare Gratis-Werbung
Offensichtlich wirkte das Label dieser jungen und unverbrauchten Kraft anziehend. Die BDP konnte aber zweifellos auch viele Parteiungebundene und Wechselwähler für sich gewinnen. Sie graste bei der EVP und – im grossen Stil – bei der FDP. Der “Schwesterkrieg” mit der SVP, der seit Sommer 2008 im Gang ist, war unbezahlbare Gratis-Werbung, die mit keinem noch so grossen Budget zu kompensieren gewesen wäre. Kommt dazu, dass diese Auseinandersetzung beide Lager ausserordentlich stark mobilisierte. Schliesslich fiel die Kampagne der BDP kohärent und mit einem frischen Stil auf.
Des einen Freud’, des anderen Leid: Dem Triumph der BDP steht die böse Schlappe der FDP gegenüber. Sie büsste rund 6 Prozent bzw. 9 Sitze ein. Das übertrifft sogar meine Prognose, die von einem Minus von knapp 4 Prozent ausgegangen war.
Es liegt auf der Hand, dass FDP-Wähler scharenweise der BDP zuliefen. Offenbar verströmt diese mehr Volksnähe als die FDP, die in den letzten Jahrzehnten zu einer Elitepartei mutierte. Die Freisinnigen haben auch zuwenig Energie, um vor wichtigen Wahlen gemeinsam zu kämpfen. Ein Beispiel: Auf den Plakaten der Regierungsratskandidaten Käser/Astier, die seit Monaten im ganzen Kantonsgebiet ausgehängt waren, prangte prominent eine URL: FDP-Bern-Blog.
Besucht man dieses Blog stellt sich alsbald Irritation ein. Der letzte Eintrag datiert vom 1. März, der zweitletzte vom 6. Februar. Insgesamt findet man seit der Aufschaltung dieses Blogs 13 Einträge. Bei weit mehr als 150 Kandidierenden ist das eine klägliche Quote. Das Publikum, das sich für diese Partei interessierte und das Blog aufrief, musste sich verschaukelt vorkommen. Wahlen werden zwar nicht im Internet gewonnen, aber dieses Beispiel deutet an, woran die FDP krankt: es fehlt das “Wir”-Gefühl.
FDP zahlt Preis für die Nähe zu den Grossbanken
Die FDP des Kantons Bern zahlt allerdings einen hohen Preis für Probleme, die mit ihr nichts zu tun haben: Das Hüsch und Hott von Fulvio Pelli und Co. beim Bankkundengeheimnis (Stichwort Weissgeldstrategie) und die Nähe zu den Grossbanken schaden der FDP enorm (Peter Wuffli präsidierte bis vor kurzem “Die Freunde der FDP”). Dieses Mal auch elektoral. In einer durch und durch medialisierten Politik hat selbst Bundesrat Hans-Rudolf Merz mit seinen glücklosen Aktionen Anteil an der kapitalen Niederlage seiner Berner Kollegen.
Sobald Max Göldi in Libyen freikommt, muss bei der FDP Schweiz die Personalie Merz auf die Traktandenliste. Sie kann es sich nicht leisten, mit einem überforderten und unpopulären Bundesrat in das eidgenössische Wahljahr 2011 zu ziehen.
Medienspiegel vom Montag, 29. März 2010:
Für die NZZ zeigt sich, dass “die BDP wie auch die SVP die Spaltung zur Mobilisierung nutzen konnten”.
– Duell zwischen SVP und BDP mit zwei Siegern
Im Zürcher “Tages-Anzeiger” bilanziert Politologe Claude Longchamp, dass der Berner Freisinn auch für die Wirren der Mutterpartei habe büssen müssen:
– “Die FDP hat jetzt fast keine Bedeutung mehr”
Foto Hans Grunder: Thomas Hodel
tolle serie, die du da gemacht hast! gratulation.
[…] This post was mentioned on Twitter by T. v. Grünigen, Mark Balsiger. Mark Balsiger said: Weshalb die BDP in Bern abräumte. Und die FDP eine böse Schlappe kassierte. http://bit.ly/a6x6Bs […]
die einschätzung, die berner fdp habe nichts mit den problemen der mutterpartei zu tun und leide ungerechtfertigterweise darunter, teile ich gar nicht. ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, dass sich die kantonalpartei gross gegen den unsäglichen kurs der mutterpartei gewehrt hätte (wie es z.b. vor jahren die berner svp gegenüber der mutterpartei gemacht hatte). also haben die berner fdp-ler den an-die-wand-fahren-kurs mitgetragen und dafür vorerst mal in bern die quittung dafür bekommen.
die freilassung von herrn göldi kann, wie wir alle wissen, noch jahre dauern. so lange kann die fdp mit ihren personalien nicht warten.
Mir scheint, dass der «Rosenkrieg» zwischen SVP und BDP vor allem die rechten Wähler mobilisierte, ging es doch für beide quasi um alles oder nichts.
Anders kann ich mir nicht erklären, dass das bisherige linke Schema «mehr grün – weniger rot, bei gleichen Kräfteverhältnissen» diesmal überhaupt nicht mehr galt.
Das würde sich auch dadurch bestätigen, dass BDP-Wähler bei den Regierungsratswahlen wohl eher noch die Vier-gewinnt-Kanidaten notierten statt einen SVP- oder FDP-Kandidaten.
Oder gibt es eine andere Erklärung für diesen Rutsch zur Mitte oder gar nach rechts?
‘@ Stadtwanderer
Danke, der “14-Stünder” gestern hat Spass gemacht. Die Postings der Serie sind allerdings nicht substantiell, es fehlte die Zeit. Dafür gefallen mir die Fotos, die Thomas Hodel und Andi Jacomet gemacht haben, sehr gut.
@ Bugsierer
Zum letzten Punkt: Die Rücktrittsforderungen werden erst dann (wieder) laut, wenn Max Gödli Schweizer Boden berührt hat. Solange gilt im politischen Betrieb “Stillhalten”.
Aussenpoltisch wäre es unklug, wenn Bundesrat Merz gerade jetzt umgesäbelt würde. Muammar al-Gaddafi würde das als Eingeständnis der Schweiz bezeichnen und so einen weiteren Sieg feiern.
Zur “Opposition” der Berner SVP gegenüber den Zürchern: Ich halte den oft genannten Berner Kurs für einen Mythos. Die Berner Sektion profitierte 15 Jahre davon, sich medial immer wieder von der Mutterpartei zürcherischer Prägung distanzieren zu können.
Das Fass kam erst 2008 zum Überlaufen. Wie wir seit gestern wissen, schadete die Abspaltung der BDP der SVP kaum, sondern rupfte die FDP.
Lieber Mark, danke für die Berichterstattung. Es war eine informative Freude, hier mitzulesen.
‘@ Chnübli
Danke, wenn ich gewusst hätte, dass du hier mitliest und guckst, hätte ich noch ein Farbföteli von meinem Rathaus-Keep-fit-Programm hochgeladen.
‘@ Titus
Das Phänomen des BDP-Erdrutsches kann mit gängigen Mustern nicht erklärt werden. Sie graste nicht nur bei den Mitte-Parteien und der FDP, sondern praktisch überall, also auch bei der SVP und der SP.
So äusserte sich Politologe Hans Hirter heute Abend im “Echo”, er hat u.a. die Data des Wahlsonntags ausgewertet. Ich hoffe sehr, dass diese Wählerströmungen bald en detail öffentlich gemacht werden. Darüber beugen wir uns dann mit genügend Zeit, weil sich daraus die Konstellation für das nächste Jahr ableiten dürfte.
Kommt dazu, dass die BDP viele Neuwähler mobilisieren konnte.