Berns bürgerliche Wende – vertagt
Publiziert am 18. März 2014Der Wahlkampf sollte sich nicht beim Schalten von Inseraten, Verteilen von Flugblättern und Braten von Würsten erschöpfen.
Sollte?
Müsste!
Natürlich tun die zwölf Kandidatinnen und Kandidaten, die am 30. März in die Berner Kantonsregierung gewählt werden möchten, noch vieles mehr. Sie sind auf Achse, bemühen sich um Publikumskontakte und reden in jedes Mikrofon. Das sind die sogenannten Verpackungsfaktoren, die bei weitem nicht genügen, um einen Wechsel herbeizuführen. Das Ziel von BDP, FDP und SVP ist es ja, wieder die Regierungsmehrheit, die der Bürgerblock 2006 verloren hatte, zurückzuerobern.
Für einen Regierungswechsel, egal in welche Richtung, braucht es die drei grossen “P”: Programm, Personal, Plan. Ich skizziere sie kurz:
Programm:
Die Herausforderer müssen frühzeitig definieren, mit welchen Themen und Schwerpunkten sie die Wende erreichen wollen. Am Anfang der Analyse könnte eine Befragung der Bürgerinnen und Bürger stehen. Ist das Programm einmal erarbeitet, beginnt die Überzeugungsarbeit, zuerst in der eigenen Basis, dann beim breiten Publikum.
Personal:
Majorzwahlen sind Persönlichkeitswahlen, es geht um Köpfe. Frühzeitig die bekanntesten, profiliertesten oder glaubwürdigsten Mitglieder aufs Schild zu hieven, ist zentral. Die Auserkorenen müssen hungrig auf den Erfolg sein, alles in seinen Dienst stellen und angreifen. Ihre Positionsbezüge sind klar und verständlich, Provokationen gehören dazu, plumpe Angriffe hingegen nicht.
Plan:
Das kopflose Anrennen bringt nichts. Wichtig ist eine kohärente Strategie, die frühzeitig entwickelt wurde. Die Schwachpunkte des Gegners – programmatisch und personell – hat man evaluiert und getestet. Mit diesem Fundament lässt sich hernach ein Wahlkampf der ruhigen Hand führen, das Programm der Herausforderer – das bessere! – muss die Masse erreichen und überzeugen.
Betrachten wir nun die drei grossen “P” im Kontext des Berner Wahlkampfs, die Reihenfolge kehren wir um:
Plan:
Die bürgerlichen Parteien haben sich frühzeitig zusammengerauft, der Schwesterkrieg zwischen SVP und BDP konnte begraben werden. Die Wiederwahl der drei Bisherigen, Hans-Jürg Käser (fdp), Christoph Neuhaus (svp) und Beatrice Simon (bdp), ist ungefährdet, wenn auch nicht alle ohne Blessuren ins Ziel kommen werden.
Das schwächste Glied in der rot-grünen Viererkette wurde mit Gesundheitsdirektor Philippe Perrenoud schon vor langer Zeit definiert. Er machte es seinen Gegner auch einfach, erlitt er doch in den letzten Jahren mehrere Bruchlandungen, zum Beispiel mit dem Spitalversorgungsgesetz und der ersten Spitalliste. Zudem machte er bei der “Waldau”-Affäre um Werner Strik und Regula Mader keine gute Figur.
Wenn die Wende gelingen sollte, dann muss sein Sitz mit einem Kampfkandidaten aus dem Berner Jura angegriffen werden. Vor vier Jahren scheiterte dieser Angriff – mit Sylvain Astier (fdp) aus Moutier – noch kläglich. Die anderen drei Rot-Grünen, Barbara Egger (sp), Andreas Rickenbacher (sp) und Bernhard Pulver (grüne), sitzen sicher im Sattel.
Der Wahlkampf erschöpft sich also faktisch im Duell Perrenoud vs. Bühler, wie ich hier schon im letzten Sommer ausgeführt hatte. Barbara Mühlheim (glp, Bern) und Marc Jost (evp, Thun) wäre ein Regierungsamt zwar zuzutrauen. Ihre Basis ist allerdings zu schmal und das Blockwählen im Kanton Bern zu dominant als dass sie eine realistische Chance hätten.
Dieses Mal planten und agierten die Bürgerlichen deutlich besser als 2010. Ungeschickt war das Engagement des Kampfkandidaten Manfred Bühler vor der Jura-Abstimmung im November 2013. Er schaffte es nicht, sich vom niveaulosen Plakat “Nein zur Mafia, Nein zum Jura” zu distanzieren. Staatsmännisch war das nicht, und die Freisinnigen im Berner Jura reagierten verärgert. Diese Stimmen könnten Bühler am 30. März fehlen.
Personal:
Manfred Bühler ist intelligent, sympathisch und perfekt zweisprachig. Allerdings blieb er im deutschsprachigen Kantonsteil bis heute weitgehend unbekannt. Das hat mit seinem Naturell zu tun: Er ist zurückhaltend, fast scheu. Seine Äusserungen bleiben oft vage. Ein Beispiel: Als der “Bund” Bühler fragte, wo er denn sparen wolle, antwortete dieser: “Es ist schwierig. konkrete Vorschläge zu bringen.” Ein Kandidat im Angriffsmodus tönt anders und packt seine Chance. Bühlers Kritiker vermuten, dass er schon frühmorgens beim Kaffee das erste Mal zweifelt, ob er als Regierungsrat bestehen könnte.
Programm:
Auf der Website des bürgerlichen “Umschwungs” werden zwar vier Themen in den Vordergrund gestellt, allerdings fehlt der Tiefgang. Es sind nicht viel mehr als Worthülsen, wie sie von allen Blöcken und Kandidaten abgesondert werden. Mit den ewiggleichen Schlagworten wie “Eigenverantwortung”, “Steuern runter” und “Leistung muss sich wieder lohnen”, gewinnt man womöglich zwei Blumentöpfe, mehr allerdings nicht.
Der Kanton Bern steckt strukturell in einer ausgesprochen schwierigen Situation. Neue Ansätze, die weit über Pflästerlipolitik, Ankündigungen und Perrenoud-Kritik hinausgehen, hätte man erwarten dürfen. Noch besser wäre das Aufzeigen eines Auswegs gewesen.
Fazit: Zwei der drei grossen “P” können die Bürgerlichen und ihr Kampfkandidat nicht einlösen. Der “Wind of Change” hat nicht eingesetzt, er säuselt nicht einmal. Die Wahlberechtigten stehen vor der Frage, ob sie einem permanent herausgeforderten Zauderer oder einem zaudernden Unbekannten die Stimme schenken wollen. Im Zweifelsfall dürfte sich die Waagschale zugunsten von Perrenoud neigen. Entsprechend wird Berns bürgerliche Wende wieder vertagt.
Mark Balsiger
P.S. Hochspannend ist der Zieleinlauf. Dazu hat meine Agentur ein Wahl-Toto lanciert – fast schon eine kleine Tradition.
Die Websites der Kandidierenden bzw. Blöcke:
– BDP, FDP & SVP: Umschwung Kanton Bern
– Rot-Grün: 4 gewinnt
– Barbara Mühlheim (glp)
– Marc Jost (evp)
– Josef Rothenfluh (parteilos)
– Bruno Moser (parteilos) – Bern kostenfrei
Sujets: zvg, Foto Mühlheim & Jost: Mark Balsiger
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