Bloggen aus unfreien Staaten
Publiziert am 23. Mai 2010Eine Mehrheit meiner Bloggerkollegen kommen aus Staaten, die zum Teil enorme Defizite mit demokratischen Grundrechten haben. Trotzdem oder gerade deswegen bloggen sie. Drei Beispiele.
Michael Anti alias Zhao Jing (Bild) aus China ist extravertiert, voller Energie, witzig, blitzgescheit und ein feuriger Debattierer. Dabei spielt es keine Rolle, ob er im Plenum oder mit einem deutschen Diplomaten spricht.
Als Microsoft Ende 2005 seinen Blog vom Netz nahm, sorgte das weltweit für Schlagzeilen. Der amerikanische Konzern hatte diese Massnahme nicht etwa auf Druck der chinesischen Regierung vollzogen, sondern in vorauseilendem Gehorsam. Dass derzeit 76 andere Blogger in seinem Land inhaftiert sind (weltweit sind es insgesamt 117), scheint Michael nicht gross zu stören. Er publiziert weiter für seine Landsleute, unterzieht sich aber wie die allermeisten anderen Blogger Chinas der Selbstzensur.
Eman Al-Nafjan ist gebildet, ihr Englisch praktisch akzentfrei. Die attraktive Frau hat drei Kinder und lebt in Saudi-Arabien. In Berlin trägt sie Jeans und Blusen, in ihrer Heimat wäre ihr das verwehrt, dort ist die Verschleierung Pflicht. Im öffentlichen Raum ist es ihr beispielsweise untersagt, mit Männern, die nicht mit ihr verwandt sind, zu sprechen. An der Uni musste sie und die anderen Frauen die Vorlesungen von Männern via Videoübertragung aus anderen Räumen verfolgen.
Auf ihrem Blog schreibt sie am liebsten über Frauenrechte. Angst, verhört oder gar inhaftiert zu werden, hat sie nicht. Es macht den Anschein, dass sie genau weiss, wo die Grenzen liegen. (Eman hat darum gebeten, in Berlin nie fotografiert zu werden.)
Mahmood Al Yousif lebt und arbeitet in Bahrain, einem kleinen Inselstaat im Persischen Golf, östlich von Saudi-Arabien gelegen. Er ist weltgewandt und clever, hat ein sonniges Gemüt und fast immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Er war einer der ersten Blogger in der Golfregion. Schon am zweiten Tag hat er in unserem Kreis einen Übernahmen erhalten: Blogfather, in Anlehnung an James Brown seelig, The Godfather of Soul.
In seinem Blog befasst er sich mit einer breiten Palette an Themen – Menschenrechte und Medienfreiheit spart er nicht aus. Das hat zur Folge, dass Mahmood gelegentlich von der Regierung “zum Tee eingeladen” wird, wie er es nennt. Als bekannter Geschäftsmann hat er aber offensichtlich eine Position erlangt, die ihm eine gewisse Freiheit ermöglicht. Pressionsversuche habe es bislang nicht gegeben, erzählt Mahmood.
Fotos Michael Anti und Mahmood Al Yousif: Mark Balsiger
Ich frage mich immer bei solchen Blogs, wie weit sie auch wirklich ihre Landsleute erreichen. Diese drei kenne ich nicht, das Blog von Yoani Sanchez fällt aber wohl auch in diese Kategorie.
Die Machthaber der Staaten mit den erwähnten Defiziten haben doch längst Strategien für das Web 2.0. Mit technischen Mitteln versuchen sie die Einflussmöglichkeiten zu beschränken. So zum Beispiel China. Oder sie versuchen aktiv die Meinungsbildung im Netz zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Hugo Chavez zum Beispiel twittert wohl kaum aus einem Hang zur Kurznachricht.
‘@ JC
Die Blogs der drei genannten Kollegen werden gerade in ihren Ländern und Regionen stark wahrgenommen. Ich habe keine Veranlassung, an ihren Aussagen zu zweifeln.
Was die “Unrechts-Regierungen” betrifft, bin ich weniger pessimistisch als sie. Natürlich investieren sie viel Zeit in Monitoring und Propaganda, die schiere Masse wird sie aber auf die Dauer überfordern.
Das Internet taugt weiterhin als Demokratisierungsmedium, auch wenn das inzwischen viele Leute bezweifeln oder gar in Abrede stellen. Es braucht aber Zeit.
Übrigens spannend, dass Sie das Blog von Yoanis Sanchez aus Kuba erwähnen. Ich war im April in Havanna und versuchte, mit Ihr in Kontakt zu treten. Erfolglos.
schön über die eigenen grenzen zu schauen.