Bundesrat: ein radikaler Vorschlag
Publiziert am 06. Juni 2010Noch vor den Sommerferien will der Bundesrat einen überarbeiteten Entwurf zur Regierungsreform vorlegen. Gerade im Nachgang des GPK-Berichts zur UBS-Affäre erhält dieses Thema neuen Schub. Ein erster Entwurf wurde Mitte März vorgestellt. Zugleich läuft derzeit die Unterschriftensammlung für die Volkswahl des Bundesrats.
In den letzten 30 Jahren wurden mehrfach Reformvorschläge ausgearbeitet. Sie scheiterten allesamt im Parlament oder spätestens an der Urne, zum Beispiel die Ernennung von maximal 10 Staatssekretäre anno 1996. Nachdem ich im vorangegangenen Posting die Hauptprobleme des Bundesrats näher beleuchtete, geht es hier um einen Vorschlag, wie der Bundesrat wirkungsvoll reformiert werden könnte:
– Anzahl Bundesräte: Neu 9 (statt 7). 3 Sitze werde fix der lateinischen Schweiz zugesprochen.
– Amtszeitbeschränkung: 8 oder 12 Jahre
– Wahlhürde: Es dürfen nur Politisierende kandidieren, deren Parteien bei den letzten Nationalratswahlen einen Wähleranteil von mindestens 10% erreichten.
– Wahlgremium: Die Vereinigte Bundesversammlung (also 246 National- und Ständeräte wie bisher)
– Wahlmodus: Es kommt eine Liste mit 9 Zeilen zur Anwendung. Es gilt zuerst das absolute Mehr, später, sofern nötig, das relative Mehr.
– Bundespräsidium: Ein Mitglied des Bundesrats übernimmt für jeweils 4 Jahre das Präsidium und gleichzeitig das Aussendepartement. Es wird von den 9 gewählten Bundesrätinnen und Bundesräten bestimmt. Optional: der Bundespräsident bzw. die Bundespräsidentin wird jeweils in einer Volkswahl erkoren. In diesem Fall dürfte diese Person nur aus dem Kreis der gewählten Landesregierung stammen. Stille Wahlen sind möglich.
– Verfassungsänderung: Es wird die Möglichkeit eines Misstrauensantrags gegen einen einzelnen Bundesrat oder die gesamte Landesregierung eingeführt. Er ist erfolgreich, wenn das absolute Mehr erreicht wird.
– Parteiwechsel: Bundesräte können das Parteibuch wechseln. Die neue Partei muss aber ebenfalls einen Wähleranteil von mindestens 10% erreicht haben. Parteilose Bundesrätinnen gibt es nicht.
“Utopisch” werden Sie jetzt vermutlich denken. “Stimmt”, entgegne ich. Die Hoffnungen sind bescheiden, dass mehr als die Aufstockung von 7 auf 9 Bundesräte in absehbarer Zeit durchkommt. Die Landesregierung zeigte bislang wenig Interesse, mehr als eine Minireform anzustreben. Es gäbe eine andere Möglichkeit: die ausserparlamentarische Einflussnahme. Bloss: Wer will für ein solches Begehren 100’000 Unterschriften sammeln?
Foto Bundesratszimmer: suedostschweiz.ch/keystone
Tönt gut. Bezüglich Bundespräsident bin ich nicht sicher ob das besser funktioniert, aber den Rest, v.a. die Aufstockung auf 9, kann ich voll unterstützen.
[…] Einen radikalen Vorschlag für die Regierungsreform gibt es hier, im nächsten Posting. […]
Dieser radikaler Vorschlag ist noch utopischer als derjenige von cal (zoonpoliticon und Arena). Eigentlich schade, weil ich sonst die hier geposteten Beiträge als süffig und wohltuend abgehoben vom üblichen Polit-Mainstream schätze.
‘@ Emanuel Wyler
Ein mächtiger Bundespräsident entspräche in der Tat nicht der helvetischen Tradition. In den letzten 150 Jahren ist die Schweiz zweifellos gut gefahren damit, dass sie stets auf Machtteilung bedacht war.
Eine klar definierte Leaderfigur in der Landesregierung wäre allerdings in der Lage, den Bundesrat besser zu führen und frühzeitig auf mögliche Krisen gewappnet zu sein.
Der Bundesrat würde automatisch das Mitglied, das am besten für diese Position geeignet ist, wählen. Dem Volk traue ich das ebenso zu.
@ RM
Klar. Ziel dieses Blogs ist es auch, ab und an einen Gedanken zu formulieren, den sich andere gar nicht erlauben dürfen. Mit einer Mini-Reform und einer personellen Neubesetzung des Bundesrats ist es nicht getan.
Die Idee entspricht weitgehend meinen eigenen Vorstellungen einer Reform. Allerdings sollte der Bundespräsident (oder die Bundespräsidentin!) kein Departement führen. Das Bundespräsidium selbst wäre ein “Departement”. Dieses kümmert sich um das Networking auf höchster Ebene, um strategische Fragen, die Leitung des Bundesrates und um repräsentative Pflichten.
Ich würde zudem keine Amtszeitbeschränkung für Bundesräte/innen einführen, sondern ein Höchstalter. Somit wäre sichergestellt, dass sich der Bundesrat nicht zu einem Ältestenrat entwickelt.
Weiter müssten die Departemente neu aufgeteilt und zusätzliche Staatssekretäre eingestellt werden.
Das würde alles natürlich Geld kosten. Aber wenn damit Schaden wie bei der UBS abgewendet werden könnte, wäre diese Investition bereits amortisiert.
[…] wahlkampfblog.ch (06.06.2010): «Bundesrat: Ein radikaler Vorschlag» […]
Mir scheint die Abwählbarkeit eines Bunderates sehr wichtig.
Stellt euch vor: Bundesrat Merz wäre von 2009 bis 2103 Bundespräsident. Sein Versagen in den Bereichen Libyen, UBS und USA, das wäre ein Grund zum Auswandern.
‘@ Hardy
Beruhigend, von einem aktiven Politiker Sukkurs zu erhalten. Ein Bundespräsident ohne (Aussen-)Departement könnte problematisch werden, weil er sich zu stark um andere kümmern kann. Das brächte eine Machtballung, die in der Schweiz ja nicht gewollt ist.
Die Kombiantion von Bundespräsidium und Aussendepartement gab es schon einmal: in den ersten Jahrzehnten des modernen Bundesstaates. Mit der heutigen Situation lässt sich das aber nicht vergleichen.
@ kikri
Natürlich, ein Bundesrat muss auch abwählbar sein. Deswegen mein Vorschlag nach einem Misstrauensantrag. Ist dieser erfolgreich, müsste der betreffende Bundesrat sein Pult räumen.
‘@ Mark
Etwas mehr Machtkonzentration beim Präsidenten oder der Präsidentin würde nicht schaden. Damit könnte das Gremium Bundesrat, das heute lauter Solisten kennt, vielleicht etwas mehr “zusammengehalten” werden.
Ich persönlich ginge sogar noch viel weiter mit einem Oppositionssystem und Regierungskoalitionen.
Der Bundesrat hat, ein paar Wochen früher als erwartet, seine revidierten Reformvorschläge präsentiert. Sie entsprechen dem, was man erwarten durfte:
– mehr Klausuren
– neue Staatssekretäre
– zweijähriges Bundespräsidium ohne festen Turnus.
Detaillierter geht die NZZ auf die Reformvorschläge ein:
http://bit.ly/agd0me
Für NZZ-Redaktor Beat Waber reichen diese Vorschläge nicht. Sein Kommentar:
http://bit.ly/bAVo1Q
Kann das Kollegialitätsprinzip überhaupt gut funktionieren, wenn Mitglieder der Exekutive die “Schlachtrösser” ihrer Parteien sind. Oder schliesst vielleicht das eine, das andere aus? Müssten als “Schlachtrösser” nicht vielmehr die Parteipräsidenten durch die Parteien und Medien ins Scheinwerferlicht gesetzt werden. So würde das systemische Anforderungsprofil der Bundesräte mit der Realität besser in Übereinstimmung gebracht.
‘@ JC
Aus der Langzeiterinnerung rufe ich ab, dass Anfang und Mitte der Neunzigerjahre noch die Parteipräsidenten die politische Arena prägten, lies: die wichtigsten “Schlachrösser” waren.
Also Franz Steinegger (fdp), Carlo Schmid (cvp) und Peter Bodenmann (sp). Waren sie besser als die Pellis, Darbellays und Levrats? Ich weiss es nicht, sicher ist, dass sie damals im Fokus standen und die Bundesräte nie dieselbe Dauerpräsenz in den Medien hatten – oder haben wollten.
[…] Diese Vorschläge ergänzen frühere, die ich in diesem Blog machte – work in […]