Samuel Schmid geht mit der Beurlaubung von Roland Nef ein erhebliches Risiko ein
Publiziert am 21. Juli 2008Armeechef Roland Nef ist also per sofort beurlaubt. Er muss bis spätestens am 20. August die Fakten auf den Tisch legen. Diese Aufgabe hat ihm Bundesrat Samuel Schmid übertragen. Ansonsten würde Nef entlassen, sagte Schmid an der Medienorientierung vor einer halben Stunde.
“In dieser hektischen Zeit muss die Wahrheit eine Chance haben”, führte Schmid weiter aus. Er machte auch klar, dass er bislang keine Einsicht in die Akten der Zürcher Untersuchungsbehörden erhalten habe. Zum ersten Mal bekannte der VBS-Vorsteher, dass er selber einen Fehler gemacht habe. Er hätte im Juni 2007 den Gesamtbundesrat über das laufende Verfahren gegen Roland Nef informieren müssen.
Die Beurlaubung Nefs ist ein erhebliches Risiko für Bundesrat Schmid. Maximal vier Wochen müsste also gewartet werden, bis Nef “reinen Tisch macht” (O-Ton Schmid). So lange hat niemand Geduld, die Politiker nicht – und schon gar nicht die Medien. Sie werden weiter recherchieren. Weitere Fakten und Enthüllungen ans Tageslicht bringen. Weiter Druck aufbauen.
Schmids Entscheid ist im Prinzip eine Brücke, die er Nef zu einem geordneteren Rücktritt bauen will. Auch um sich selber zu retten. Es handelt sich um eine verlotterte Hängebrücke, die einstürzen kann. Stürzt sie ein, reisst sie vielleicht auch Bundesrat Schmid in den Abgrund.
Das Schicksal von Samuel Schmid ist mit dem Schicksal von Roland Nef verknüpft. Liefert dieser keine Fakten, die ihn vollständig entlasten, wird die Luft für Schmid dünn. Ob es dannzumal noch reichen wird, der Öffentlichkeit Nef als Bauernopfer zu präsentieren?
Die Erklärung von Bundesrat Schmid von heute Abend finden Sie hier im Wortlaut.
Foto Roland Nef: nzz.ch
Foto Samuel Schmid: keystone
So dumm ist die Beurlaubung gar nicht. Offensichtlich ist der Armeechef bislang nicht freiwillig zurückgetreten. Damit erleichtert er seinem Chef die Position, gegenüber seinen Bundesratskollegen den Ge- und Enttäuschten zu markieren. Er kann sich so von Nef distanzieren.
Nef selbst hat nur noch zwei Möglichkeiten: entweder, er weist trotz der behaupteten Aktenlage dar, dass dies alles Lug und Trug ist oder dies gelingt ihm nicht. Dann wird er am Tag vor der entscheidenden Bundesratssitzung seinen Rücktritt bekanntgeben.
Fazit: Schmid hat Zeit und Distanz gewonnen. Und neue „Fakten“ wie Auszüge aus Anzeigeprotokollen sind wohl nicht mehr zu erwarten. Denn aufgrund der angelaufenen Untersuchung wird wohl demnächst ein Polizist mehr oder weniger freiwillig in den privaten Sicherheitsdienst überwechseln. Vielleicht wird derjenige dann aufgrund eines laufenden Strafverfahrens nicht genommen, was dann immerhin als Ironie der Geschichte zu werten wäre.
Bundesrat Schmid hat heute eindrucksvoll seine Feigheit vorgezeigt. Um seine Verantwortung nicht wahrnehmen zu müssen spricht er von zuviel Vertrauen. Seine Untergebenen sollten jedoch inzwischen gemerkt haben das man Herr Schmid auf keinen Fall vertrauen darf.
Die Beurlaubung ist eine “typische Schweizer” Vorgehensweise. Hierzulande wird nicht mit Knall auf Fall den Medien gehorcht. Es geht in der Sache auch längst nicht mehr um Nef. Man muss die politischen Beweggründe im Auge bahalten. Die Kampagne der Parteien und Medien gegen Nef und Schmid haben unterschiedliche Beweggründe:
http://goggiblog.blogspot.com/2008/07/nef-schmid-ein-paar-gedanken.html
Es geht doch jetzt um die Frage, ob Roland Nef Chef der Armee bleibt oder nicht. D.h. ob er seinen Job behält oder nicht. In Anbetracht der Relevanz dieses Entscheids gebietet es die Fairness, dass der Betroffene zu den Vorwürfen Stellung nehmen kann und ihm Zeit eingeräumt wird, die nötigen Beweismittel für seine Darstellung der Dinge zu beschaffen. Das gilt für Armeechefs gleich wie für Polizisten.
This just in:
Auch die Offiziersgesellschaft will nun Nef möglichst schnell loswerden.
In der Tat hat hier nun eine Umkehrung des Unschuldprinzips stattgefunden. Der von gewissen Medien Angeklagte muss nun plötzlich seine Unschuld beweisen. Das ist etwas ganz Neues und wirft schon auch Fragen bezüglich Gewaltentrennung auf, vorausgesetzt man betrachtet die Medien (mit ihrer unangezweifelten Kontrollfunktion) als vierte Gewalt.
Ich sehe mehr Möglichkeiten der weiteren Entwicklung als die bisher genannten:
1) Nef ist unschuldig und versucht nun, seine Ex-Partnerin davon zu überzeugen, ihn zu „retten“, indem sie einer Offenlegung der Akten zustimmt. Dann steht sie einfach relativ schlecht da (wenn er unschuldig sein soll). Kein einfaches Unterfangen.
Gelingt es ihm aber, dann spricht ihm der Bundesrat sein Vertrauen aus. Die Herren Schmid und Nef stehen sauber da, aber ein schaler Nachgeschmack bleibt in der Bevölkerung – wenn auch zu unrecht (Nef wäre dann ja die längste Zeit unschuldig gewesen und Schmid hätte dann zu Recht Nef sein Vertrauen ausgesprochen). Dieser Nachgeschmack könnte nur verschwinden, wenn Selbstkritik seitens Medien eintritt. Ein grosses „Sorry“ auf der Titelseite…
2) Nef ist unschuldig, aber es gelingt ihm nicht, seine Ex-Partnerin zur Offenlegung der Akten zu bewegen. Unter dem aktuellen Druck entscheidet er sich, gegen das Stillschweigeabkommen zu verstossen und macht publik, was alle wissen wollen.
Seine Weste bezüglich des Vorwurfs der Nötigung wäre dann vielleicht sauber. Diese wird jedoch wieder befleckt durch den Verstoss gegen das Stillschweigeabkommen. Hier hätte er abzuwägen, was schwerer wiegt und hier treffen wir wieder auf die Frage der Persönlichkeitsrechte. Seine Ex-Partnerin wird höchstwahrscheinlich gegen ihn klagen… Irgendwie ein Teufelkreis, nur dass diesmal die Öffentlichkeit versteht, weshalb diese Klage angestrengt wurde.
Der Bundesrat wird ihm das Vertrauen aussprechen, obschon auch hier ein schaler Nachgeschmack bliebe. Man könnte ihm dann zur Last legen, dass er zu seinem Wohl die Persönlichkeitsrechte seiner Ex-Partnerin verletzt habe.
3) Nef ist unschuldig, kann aber seine Ex-Partnerin nicht von einer Offenlegung der Akten überzeugen und will auch nicht gegen das Stillschweigeabkommen verstossen (man darf ihm dann Charakterstärke nachsagen).
Der Bundesrat wird ihn entlassen und er verschwindet in der Versenkung – vermutlich ohne BR Schmid mitzureisen, welcher heute ja den Tarif gegenüber Nef durchgegeben hatte.
4) Nef ist schuldig, braucht aber noch einen Monat Zeit um sich das selber einzugestehen und tritt zurück. Dann ist es höchste Zeit, dass er abtritt, denn wer so lange Zeit für einen Entscheid benötigt, ist an der falschen Stelle. Dann reisst er BR Schmid mit in die Versenkung.
5) Nef ist unschuldig oder schuldig, vermag aber dem Druck nicht mehr standzuhalten. Er nimmt von sich aus den Hut und braucht sich öffentlich nicht mehr zu rechtfertigen. Das wäre für BR Schmid eine unbequeme Situation, da die Frage schuldig oder unschuldig nicht mehr im Zentrum stünde, er trotzdem keinen Chef der Armee mehr hätte und sein bisheriges Vertrauen in Nef weder als „richtig“ noch als „falsch“ gewertet werden kann…
Nebenschauplätze (die zu Hauptschauplätzen werden könnten):
a) Es treten weitere Vorwürfe zu Tage (die SZ hat in der heutigen 10vor10-Sendung nicht alle ans VBS übermittelten Vorwürfe gezeigt, man scheint also noch etwas zurückzubehalten).
b) Es melden sich verschiedene Personen bei gewissen Medien, die auf die fragliche Hotmail-E-Mail-Adresse geschrieben haben wollen, bei seiner Ex-Partnerin angerufen oder sie gar besucht haben wollen. Sie werden mit dem bekannten „* Name der Redaktion bekannt“ zitiert und werfen wohl nochmals einige hohe Wellen. Ob es sich dabei nur um Wichtigtuer handelt, die sich einen finanziellen Zustupf erhoffen oder ob diese Personen „echt“ sind, hängt von der Frage ab, wer (ob Nef selber oder nicht) diese Kontakte initiierte.
c) In etwa einer Woche beginnt das Personen-Karussell über die mögliche Nachfolge Nefs zu drehen. Ob’s dafür noch Freiwillige gibt…? 😉
d) Die (Mitte-)Links-Parteien nutzen die Gunst der Stunde und lancieren eine „Armee-Umwandlungsinitiative“, das heisst, der Bereich Landesverteidigung und das Dienstleistungsobligatorium sollen abgeschafft werden (oder so ähnlich 😉 )
Gibt’s weitere Möglichkeiten? Was ist wahrscheinlich?
Einen Satz wollte ich noch hinzufügen:
Wenn die ganze Sache etwas Gutes hat, dann das, dass nun eine breite Bevölkerung weiss, was Stalking ist. Darüber zu reden, ermutigt vielleicht einige jener Betroffenen, die sonst unter dem Bereich “Dunkelziffer” verschwinden.
‘@Titus
Zur Umkehr der Beweislast: Das ist natürlich eine Verdrehung Schmids: Nef gab bei seinem Assessment zu, eine Leiche im Keller zu haben, spielte den Fall aber offenbar herunter. Nur unter dieser Ausgangslage konnte es dazu kommen, dass er seinen Job hat antreten können. Er muss nun nicht seine Unschuld beweisen sondern, dass er damals faktengetreu informierte. In einem juristisches Verfahren zu den gemachten Anklagen wäre es selbstredend weiterhin Sache der Anklage, die Beweise zusammen zu tragen.
Noch zu d) Ein schwächelnder VBS-Frontmann wäre für die Befürworter der anstehenden sicherheitspolitischen Voksinitiativen (“für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten”, “für den Schutz vor Waffengewalt” und “gegen neue Kampfjets”) eigentlich die bestmögliche Ausgangslage. Ich hab’s hier schon vorgeschlagen. Die GSoA sollte eigentlich Schmid-Fan-Leserbriefe inszenieren 😉
‘@ Andreas Kyriacou
Jein. Im Endeffekt läuft’s schon (auch) darauf hinaus, dass er (Nef) damals richtig informiert.
Der von BR Schmid erteilte “Befehl” geht aber noch weiter: “Ich habe von ihm verlangt, dass er glaubhaft und ohne Interpretationsspielraum alle Mutmassungen, Gerüchte und Vorwürfe mir, dem Bundesrat, den Kommission und der Öffentlichkeit gegenüber zu entkräften habe. Damit soll er den fortlaufenden Diskussionen ein Ende setzen.”
Das heisst, er muss nun auch konkret zu den einzelnen Vorwürfen aus dem fraglichen Polizeiprotokoll Stellung nehmen.
Dein jüngster Blog-Beitrag bringt mich noch auf den Nebenschauplatz e):
Auch das Personen-Karussell bezüglich möglicher Schmid-Nachfolge könnte zu drehen beginnen – einschliesslich der Frage, welcher Partei die Kandidaten angehören (sollen).
Die Unschuldsvermutung zugunsten von Nef ist aus demokratischen Prinzipien richtig. Diese Prinzipien gelangen hier aber nicht zur Anwendung.
Nef hat, wie jeder von uns gleichzeitig mehrere Rollen. Berufliche, Private, Familiäre. Nef’s beruflicher Rolle wohnt (vielleicht nicht explizit aber zumindest implizit) eine absolute Integrität inne. Integrität aber ist ausschliesslich integral zu haben. Es gibt keine private Integriät, welche von der beruflichen verschieden ist. Trifft das ihm unterstellte Verhalten zu, so hat Nef bewiesen, dass er nicht integer gehandelt hat. Damit erfüllt er eine wesentliche Voraussetzung nicht, seine berufliche Rolle wahrzunehmen. Eine Vorausssetzung, welche man ihm während des Assessments durchaus unterstellt hat, die er aber damals eventuell nicht erfüllt hat. Deshalb ist es nun an Nef, zu beweisen, dass er damals die (fraglos unterstellten) Voraussetzungen erfüllt hat.
Schmid braucht sich hier nichts vorzuwerfen. Integrität wird über das Handeln eines Menschen erschlossen. Kein anderes Departement kennt die eigenen Leute besser und vor allem länger als das BVS. Die Personalakte von Nef umfasst wohl an die 25 Jahre. Wenn da nirgens ein Hinweis auf eine verletzte Integrität war, dann hat Schmid richtig gehandelt, indem er seinem Untergebenen das Vertrauen ausgesprochen hat. Dass dieses ein einziges Mal in einer 25-jährigen History und in einem nicht einsehbaren Bereich nicht gerechtfertigt war, ist Pech. Hier Schmid Versagen vorzuwerfen grotesk.
Im Zusammenhang mit der möglichen Entlassung von Roland Nef steht doch das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber (Bund) und Arbeitnehmer (Roland Nef) im Vordergrund. Es geht wahrscheinlich vornehmlich nicht darum, wie sein allenfalls eingestandenes Handeln in strafrechtlicher Hinsicht zu beurteilen wäre. Da keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt, gilt hier die Unschuldsvermutung. Von Bedeutung dürfte wahrscheinlich vielmehr sein, welche Angaben Roland Nef im Auswahlverfahren für den Posten des Chefs der Armee über das damals gegen ihn hängige Strafverfahren und die erhobenen Anschuldigungen gemacht oder eben unterlassen hat zu machen. Denn wenn sich allenfalls jetzt herausstellt, dass seine damaligen Angaben nicht vollständig waren oder sogar nicht der Wahrheit entsprachen, dann kann dadurch das Vertrauen in eine weitere Zusammenarbeit so erschüttert sein, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist.
Aber vielleicht kommt alles auch ganz anders und die Beteiligten nutzen die Zeit zur Ausarbeitung einer Vereinbarung über eine Trennung im gegenseitigen Einverständnis. Bundesrat Samuel Schmid hätte so ein Problem weniger und Roland Nef könnte seine neu gewonnene freie Zeit z.B. für das Malen von Bildern oder anderen Tätigkeiten verwenden.