Bundesratswahlen brauchen klare Regeln
Publiziert am 24. August 2010Es war in zweifacher Hinsicht ein Versuch: Vor drei Jahren dampfte ich auf einem Podium im Politforum Käfigturm den “Wahlkampf” ad hoc auf einen Satz ein. Das tönte so: “Wahlkampf ist der Kampf um die Schlagzeilen von morgen.” Ein kurzer, einfacher und ziemlich knackiger Satz. Prompt schaffte er es tags darauf in die Berichterstattung der Regionalzeitung. Versuch geglückt.
Inzwischen würde ich “von morgen” getrost weglassen. Die Onlineportale sind derart schnell und mächtig geworden, dass Schlagzeilen und News – ich bestehe auf der englischen Bezeichnung – in Windeseile über verschiedenste Kanäle weiterverbreitet werden, ja oftmals regelrechte Wellen auslösen. Bürokollege Suppino findet, dass die Medien viel zu stark aus Schlagzeilen, Instant-News und Hypes bestehen.
Um Schlagzeilen geht es auch im Vorfeld von Bundesratswahlen. Kein Thema eignet sich besser für den Wahlkampf. Das konnten wir in den letzten Jahren bei den oftmals taktisch motivierten Rücktritten gut beobachten. Den Parteien ist viel mediale Aufmerksamkeit gewiss, egal wie relevant ihre Äusserungen und Planspiele auch sein mögen. Weil sich viele Politiker selbst am nächsten sind, entspricht es dem Regelfall, dass auch Parteikollegen kritisiert werden. Das gehört zum Spiel und erhöht die Chancen auf Publizität markant.
Wenn es primär darum geht, Schlagzeilen zu generieren
Wer nicht kräftig auf die Tube drückt, bleibt aussen vor. Das zeigt sich beim Nachfolgekarussell von Moritz Leuenberger und Hans-Rudolf Merz deutlich. Anfänglich wollte die CVP keine Ansprüche anmelden und wurde prompt von den Medien vergessen. Geschmeidig hat sie ihre Position geändert und trommelt nun genauso wie die Grünen und die SVP.
Wie ernst dieser Lärm zu nehmen ist, zeigten jüngste Ersatzwahlen: 2008, bei der Nachfolge von Samuel Schmid, erreichte der Sprengkandidat der Grünen, Ständerat Luc Recordon (VD), nicht einmal 10 Stimmen – bei 24 Mitgliedern, die seine Fraktion zählt. Beim Ersatz von Pascal Couchepin im Herbst 2009 fand die SVP trotz lautem Gebell und wochenlanger Suche schliesslich nicht einmal einen eigenen Kandidaten.
Wir lernen: Das laute Tamtam verdiente eigentlich bloss Fussnoten, aber gewiss keine Schlagzeilen. Möglicherweise untergraben die Parteien mit dieser Form von Kommunikation langfristig ihre Glaubwürdigkeit. Die Diskussion rund um die Reform der Institution Bundesrat, die mehr Engagement verdiente und wichtiger wäre, verlaufen in ruhigen Bahnen.
Konkordanz ist zu einem verbogenen Begriff geworden
Das Tauziehen um Bundesratssitze, das seit 1999 immer wieder in Gang kommt, hat Unterhaltungswert, nützt sich allerdings auch schnell ab. Konkordanz (lat.: concordantia/Übereinstimmung) ist zu einem verbogenen Begriff geworden, unter dem fast alle etwas anderes verstehen (wollen). Die Konkordanz wird, je nach eigenem Vorteil, inhaltlich oder arithmetisch begründet. Es gibt weitere Interpretationen wie zum Beispiel die machtpolitische Konkordanz.
Damit die “daily soaps” im Vorfeld von Bundesratswahlen nicht Folgen ohne Ende werden, bräuchte es klare Regeln. Die Bundesverfassung schreibt in Artikel 175 lediglich vor, dass bei der Besetzung der Landesregierung “die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten” sein sollten. Auf diese beiden Kriterien wurde seit 1848 grosses Gewicht gelegt – zum Glück für ein Land, das stark föderalistisch geprägt ist und nicht einem Nationalstaat entspricht.
Ich bringe zusätzliche Regeln, die nicht interpretierbar sind, in die Diskussion ein:
– Bei einer siebenköpfigen Landesregierung erhalten die drei grössten Parteien je 2 Sitze, die viertgrösste 1 Sitz
– Bei 9 Bundesräten lautet der Verteilschlüssel:
Variante a) die vier grössten Parteien erhalten je 2 Sitze, die fünftgrösste 1 Sitz
Variante b) erreicht die fünftgrösste Partei einen Wähleranteil von weniger als z.B. 8%, geht sie leer aus, die wählerstärkste Partei hingegen kriegt in einem solche Fall 3 Sitze
– Bei Bundesratsmitgliedern, die die Partei wechseln, zählt bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode ihre Parteizugehörigkeit bei der (letzten Wieder-)Wahl
Auch solche Überlegungen gehörten in den laufenden Prozess der Regierungsreform. Mit dem Modus, den ich anrege, wäre in der jetzigen Phase klar geregelt, dass die beiden Sitze bei der SP und an der FDP bleiben. Drohungen, “Theater” und Wahlkampfrhetorik blieben aus. Die Akteure könnten sich dafür mit vollem Engagement der Sachpolitik zuwenden.
P.S. Diese Vorschläge ergänzen frühere, die ich in diesem Blog machte – work in progress.
Foto: wochenpostusa.com
Ich halte die Konkordanz nach wie vor für wichtig. Da jeder darunter etwas anderes versteht noch schnell die Erläuterung was ich darunter verstehe:
Man will mit der Konkordanz die bedeutendsten Parteien des Landes an der Regierung beteiligen. So will man politische Stabilität erreichen und Unruhen im Volk vermeiden. Das funktioniert allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen!
Wenn Parteigänger des Vertrauens im Bundesrat sind, sind die Wähler eher zufriedenzustellen. Für Vertrauen ist gesort, die Stabilität ist da und es gibt keine Unruhen. Wenn aber Leute, die gegen den Willen der Partei und der Wähler dieser Partei in den Bundesrat gewählt werden, dann ist das Vertrauen futsch, die Stabilität dahin und für Unruhen gesorgt.
Bei den Von-Wattenwyl-Gesprächen versuchten die Bundesratsparteien einst einen gemeinsamen Nenner zu für die Legislaturperiode zu finden. So pflegte man die Konkordanz Heute haben die Von-Wattenwyl-Gespräche kaum noch eine Bedeutung…leider. Es scheint so als ob die Feinde der halbdirekten Demokratie unseres Landes oberhand gewinnen und man versucht unsere Demokratie in eine präsidiale Demokratie nach dem Vorbild der USA oder von Russland (Putin-Diktatur) zu errichten….alleine schon der Gedanke lässt mich erschaudern.
‘@ Alexander Müller
Gut, dass Sie die Von-Wattenwyl-Gespräche aufgreifen. Diese hatten tatsächlich einmal Gewicht, die vier langjährigen Bundesratsparteien konnten sich oft auf grobe Linien verständigen.
Seit den Neunzigerjahren denunziert die SVP die Von-Wattenwyl-Gespräche, zum Teil hat sie diese sogar boykottiert.
Bevor Tatsachen noch komplett verbogen werden: Eveline Widmer-Schlumpf war bei ihrer Wahl ein SVP-Mitglied. Sie gehörte dieser Partei rund 30 Jahre lang an. Zudem wurde sie früher von Ueli Maurer, damals noch Parteipräsident der SVP Schweiz, mehrfach als valable Bundesratskandidatin erwähnt.
Dass Widmer-Schlumpf aus der Partei gejagt wurde, war vermutlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Deshalb ist die Forderung nach einem weiteren Sitz in der Landesregierung überzeichnet.
Nach den eidgenössischen Wahlen 2011 werden die Karten neu gemischt. Bleibt die BDP eine Kleinpartei mit deutlich weniger als 10 Prozent Wähleranteil, verlöre sie ihren Anspruch auf einen Bundesratssitz. Sie müsste ihn abgeben – an die SVP.
[…] Fleisch. Besser wäre es, endlich verbindliche Regeln zu definieren, wie ich es hier vor 15 Monaten schon einmal angeregt hatte. Das lähmende Gezänk kann sich das Land eigentlich nicht […]