Bundesratswahlen: Ein Modell, um den Wahlausgang im Voraus lesen zu können

Publiziert am 17. September 2010

Noch sechs Tage bis wir wissen, wer die Sitze von Moritz Leuenberger (sp) und Hans-Rudolf Merz (fdp) im Bundesrat erbt. Die Öffentlichkeit hat längst gewählt, bei den Medien ist eine helvetische Ausprägung von “Horse Race Journalism” auszumachen. Einfach erklärt: Sie berichten, wer im Rennen gerade die Nase vorne hat. Ihre Einschätzungen basieren auf einem Cocktail aus Winkelzügen und Drohgebärden, Gerüchten und Spinnings, Additionsübungen und den Versuchen, diese Ersatzwahlen noch spannender zu machen als sie ohnehin schon sind.

Dabei geht zuweilen in Vergessenheit, dass weiterhin die Vereinigte Bundesversammlung das Wahlgremium für die Landesregierung darstellt. Die 246 National- und Ständeratsmitglieder werden aber zweifellos auch von der öffentlichen Meinung bzw. den Medien beeinflusst.

Beim Versuch, den Wahlausgang vom nächsten Mittwoch bereits im Vorfeld “lesen” zu können, habe ich ein Modell entwickelt. Es besteht aus vier Kategorien, deren Kriterien unterschiedlich stark gewichtet werden, A am stärksten, D am schwächsten.

Welche Kriterien spielen bei Bundesratswahlen eine Rolle:

Kategorie A:

– Parteizugehörigkeit
– Abhängigkeiten unter den Parteien
– strategische Entscheidungen (Gegner kriegt keine Wahl-Lokomotive)
– sprachregionale und geografische Verortung
– Akzeptanz im Parlament
– Vernetzung der Kandidierenden im Parlament
– Persönliches Verhältnis mit ihnen (der Bauch wählt mit)

Kategorie B:

– Lobbying im Vorfeld
– Dynamik am Wahltag selber

Kategorie C:

– Persönlichkeit und “Rucksack” der Kandidierenden
– Sprachkompetenz
– Geschlecht
– strategisches Geschick/Durchsetzungsvermögen der Fraktionschefs
– Hearings durch Fraktionen

Kategorie D:

– Alter
– Konfession
– mediale Berichterstattung

Ich werde aufgrund dieses Modells in den nächsten Tagen versuchen, den Ausgang der Wahlen vom Mittwoch zu prognostizieren. Bis dahin bin ich neugierig, welche Schwachstellen oder Fehlüberlegungen vorhanden sind. Wertvolle Inputs fliessen ein – bitte melden.

Foto: Montage sf.tv

6 Replies to “Bundesratswahlen: Ein Modell, um den Wahlausgang im Voraus lesen zu können”

  1. Bin natürlich – und einmal mehr – gespannt auf deine Prognose. Interessant finde ich, dass der Faktor “Geschlecht” bei dir unter Kategorie “C” firmiert. Vor noch nicht allzu langer Zeit ein “A”-Kriterium. Sic transit… oder so.

    Ebenfalls interessant – und scharf beobachtet: die Unterscheidung zwischen sprachregionaler Verortung und Sprachkompetenz(en).
    Bei “Vernetzung im Parlament” bin ich mit dir zwar einig über die Wichtigkeit, vermisse aber die Bedeutungszumessung weiterer Netzwerke (politische wie auch wirtschaftliche) in der Liste. Oder denkst du. dass die gar keine Rolle spielen?

  2. ‘@ Christian

    Beim Kriterium “Geschlecht” wird die Schwäche dieses Modells offensichtlich. Die Bedeutung variert von Wahl zu Wahl stark, pendelt also zwischen Kategorie B und C.

    Zu deiner Frage: Natürlich spielen andere Netzwerke (ausser dem Parlament) auch eine Rolle. Das passt aus meiner Sicht aber zu “Lobbying im Vorfeld”.

    @ stadtwanderer

    Auf das “PollyBio”-Modell der Amerikaner bin ich auch schon gestossen. Im dortigen Umfeld macht dieser Ansatz Sinn und lieferte in der Tat schon erstaunliche Resultate.

    Das System in der Schweiz ist im Gegensatz zu den USA viel durchlässiger, und darüber können wir froh sein. Ein Pendant zu Jacqueline Fehr, die im einfachen Arbeitermilieu sozialisiert wurde, aber mit einem Bein im Bundesratszimmer steht, wäre in den USA gar nicht möglich. Ausnahme: Obama. Praktisch alle Senatoren sind Multimillionäre, und ohne viel, viel Geld in der eigenen Schatulle kann jeder Gelüste für das Präsidium gleich begraben.

  3. Die “SonntagsZeitung” publiziert heute eine Umfrage zu den Bundesratswahlen – befragt wurden rund 1000 Menschen in diesem Land.

    “Wählen” dürften diese getrennt, so wie die 246 Mitglieder der Vereinigten Bundesversammlung am nächsten Mittwoch auch wählen können.

    Bei der SP schwingt Simonetta Sommaruga deutlich obenaus, bei der FDP macht Johann Schneider-Ammann das Rennen.

    Mehr: http://bit.ly/d80KOA
    (früher oder später endet dieser Link im Nirgendwo, eine Unart der “SonntagsZeitung”)

  4. Dieses neue Modell hat seine Feuertaufe nicht bestanden, bei einer Ersatzwahl lag ich falsch.

    An den 17 Kriterien, die ich herausdestillierte, kann es kaum liegen. Die Punkteskala für die vier verschiedenen Kategorien dürfte auch nicht gravierend daneben sein.

    Die Operationalisierung hat allerdings einen grossen Schwachpunkt: ich alleine bestimmte die Punkte. In Zukunft müssten entweder alle 246 Parlamentarier eine Benotung vornehmen, am besten kurz vor dem Wahltermin. Optional könnte man zum Beispiel 20 Politbeobachter bitten, dasselbe zu tun.

    Ich lasse das Modell vorläufig ruhen, dürfte aber einen neuen Anlauf versuchen. Wie schon mehrfach erwähnt: es war ein Versuch. Ergänzend zu den TED-artigen Umfragen auf etlichen Onlineportalen und dem Wir-halten-den-nassen-Finger-in-die-Luft ist dieses Modell alleweil ernsthafter.

    Besten Dank für die Inputs, die ich hinter den Kulissen erhalten habe.

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