Bundesratswahlen: Ein Zwischenhoch, bevor erneut Turbulenzen aufziehen
Publiziert am 22. September 2010Wie bescheiden wir doch geworden sind. Früher verknüpften wir mit Bundesratswahlen noch grosse Erwartungen. Die Wahl von Moritz Leuenberger vor genau 15 Jahren manifestierte den Durchmarsch der “68er”; für die politische Linke war er anfänglich ein Hoffnungsträger. Mit dem Triumph von Christoph Blocher, 2003 wars, glaubte die politische Rechte, den Staat nach ihrem Verständnis formen zu können.
Heute sind wir froh, dass die Ersatzwahlen gesittet und würdevoll über die grell ausgeleuchtete Bühne gegangen sind. Die Vereinigte Bundesversammlung verdiente sich in den letzten Stunden gute Noten. Die Würfel sind vor wenigen Minuten gefallen, das Ergebnis ist sehr erfreulich, Hoffnung keimt auf.
Hier die souveräne Sachpolitikerin, dort der erfolgreiche Unternehmer – sowohl Simonetta Sommaruga (sp, Foto) wie Johann Schneider-Ammann (fdp) ist der Wechsel vom Parlament in die Landesregierung zuzutrauen. Beide sind quer in die Politik eingestiegen, nachdem sie im Konsumentenschutz und er in der Wirtschaft grosse Glaubwürdigkeit erlangt hatten. Nun sind sie als Bundesratsmitglieder gefragt, die sich als Teil einer Konsensregierung verstehen, strategisch handeln und neue Impulse geben. Für parteipolitisch gefärbtes Taktieren bleibt kein Platz, der Bundesrat ist kein Mini-Parlament.
Wenn Sommaruga und Schneider-Ammann zusammen mit Doris Leuthard und Didier Burkhalter zu einer starken Achse werden, kann die Landesregierung wieder an Ansehen und Durchschlagskraft gewinnen. Die Wahl der beiden Berner bedeutet allerdings nur ein Zwischenhoch. Die nächsten parteipolitischen Turbulenzen lassen nicht lange auf sich warten. Die SVP hat mit ihrer kontrovers diskutierten (Unter-)Vertretung im Bundesrat ein gutes Thema für das eidgenössische Wahljahr 2011. Wie bereits 2003 wird sie nicht ruhen, ihren Anspruch lautstark zu proklamieren.
BDP verliert nächstes Jahr Anspruch auf einen Bundesratssitz
Was die Zusammensetzung des Bundesrats betrifft, bleibe ich ein Verfechter des Status Quo. Die Parteien sollen nach ihren Wähleranteilen vertreten sein, insgesamt brachte dieses 1959 eingeführte System Ruhe und Stabilität. Wenn die BDP in einem Jahr nicht klar über die 10-Prozent-Marke kommt, hat sie nach Ablauf der Legislaturperiode keinen Anspruch mehr auf einen Sitz. Eveline Widmer-Schlumpf täte in einem solchen Fall gut daran, nach den Wahlen im Oktober 2011 ihren Rücktritt zu erklären.
Mit einem solchen Entscheid ginge sie als eine Art “Jeanne d’Arc” in die Geschichtsbücher ein. Und sie würde unser Land vor einer Zerreissprobe verschonen. Die Volkspartei wiederum ist aufgerufen, dannzumal mehrheitsfähige Kandidaturen zu nominieren. Erst wenn der Wechsel von Widmer-Schlumpf zu einem neuen mehrheits- und teamfähigen SVP-Bundesratsmitglied vollzogen wurde, dürften die schweren Gewitterwolken über Bundesbern abziehen.
Medienspiegel:
– Die Ruhige nach dem Sturm (Bund, Jean-Martin Büttner, 23.09.2010; PDF)
– Bundesräte als Wahlhelfer – die grosse Illusion (Basler Zeitung, Martin Furrer, 24.09.2010; PDF)
– Geläuterte Zauberlehrlinge (NZZ, Martin Senti, 24.09.2010; PDF)
– Die SVP steckt in der Falle (SonntagsZeitung, Denis von Burg, 25.09.2010; PDF)
Fotos:
– Simonetta Sommaruga: keystone
– FDP auf dem Bundesplatz: Thomas Hodel
Ich halte es für verfrüht von einem Zwischenhoch zu sprechen. Die Analyse von Sommaruga teile ich, auch ich bin mit ihrer Wahl zufrieden. Bei Johann Schneider-Ammann bin ich mir nicht so sicher. Er soll ein Etatist sein. Zweifellos war Schneider-Ammann nach dem Ausscheiden der übrigen Kandidaten der Kandidat der eher linken und Rime der Kandidat der rechten Parlamentarier.
Status Quo?
Ich bin der Meinung, die SP sollte nun mit irgendeinem fadenscheinigen Argument Simonetta Sommaruga aus der Partei ausschliessen. Sodann könnten sie bei den Grünen beitreten, die natürlich glücklich wären, endlich einen Bundesratssitz zu haben. Und die SP könnte dann bei der nächsten Vakanz bzw. den nächsten Gesamterneuerungswahlen ihren Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz geltend machen, so von wegen Konkordanz und so.
Vielleicht tritt dann (wieder) die inhaltliche Konkordanz in den Vordergrund.