Bundesratswahlen: Hearings sind Rituale
Publiziert am 11. September 2009Königsmacherin am nächsten Mittwoch ist die SP, wenn es darum geht, den Nachfolger von Pascal “le roi” Couchepin zu bestimmen. Das wissen wir seit drei Monaten, und die SP-Spitze spielte mehrheitlich gekonnt mit den Muskeln.
Seit geraumer Zeit sagt Fraktionschefin Ursula Wyss (BE), dass aufgrund des praktisch gleich grossen Wähleranteils von FDP und CVP nicht die Parteizugehörigkeit, sondern die Persönlichkeit im Vordergrund stünde. Die SP-Fraktion wird am Vorabend der Wahlen, also am Dienstag, 15. September, entscheiden, wenn sie offiziell unterstützt.
Die Entscheidung fällt unmittelbar nach den Hearings mit den offiziellen Kandidaten. Diese Hearings sind seitens des einladenden Gremiums – bei diesem Beispiel also die SP-Fraktion – nicht zu vergleichen mit einem gut vorbereiteten Stellenbewerbungsgespräch oder gar einem Assessment. Gute Fragen wechseln sich mit eher belanglosen ab, die Befragung dauert meistens nicht einmal eine Stunde. Alle wissen: die Antworten sind nicht verbindlich, im realpolitischen Alltag nach dem Wahlen haben sie kein Gewicht mehr.
Mit anderen Worten: Hearings sind ein Ritual. Im Falle von Didier Burkhalter (fdp, NE) und Urs Schwaller (cvp, FR) wissen die Mitglieder der SP-Fraktion genau, wenn sie vor sich haben. Beide Kronfavoriten wurden 2003 ins eidgenössische Parlament gewählt. Sie bestritten seither mehr als 300 Sessionstage und zweifellos noch mehr Kommissionssitzungen.
In dieser Zeitspanne wurden mit ihnen Kompromisse geschmiedet und zahllose Gespräche in der Wandelhalle geführt, man scherzte und trank gemeinsam Kaffee. Die Parlamentarier wissen, wie Burkhalter und Schwaller positioniert sind, sie kennen ihre Stärken und Schwächen. An den Hearings kann nur etwas geschehen: die gemachten Meinungen werden bestätigt. Eine gute Tagesform oder ein gelungener, lies: authentischer Auftritt kann den Kandidaten “feinstoffliche” Pluspunkte einbringen – mehr nicht.
Auf die Wahlempfehlungen hat das in der Regel keinen Einfluss. Die Fraktionen entscheiden taktisch. Sie sind sich bewusst, was ihre offizielle Unterstützung auslöst und wägen entsprechend sorgsam ab. Mehrheitsfähig wird nicht, was für den Moment am besten wäre, sondern was der eigenen Partei mittel- und langfristig am meisten nützt.
Ein aktuelles Beispiel: Sollte sich die SP-Fraktion für den Deutschfreiburger Urs Schwaller aussprechen und ihn tags darauf auch wählen, muss sie damit rechnen, dass ihre Basis in der Westschweiz verägert reagiert. Diese gewichtet die sprachregionale Vertretung vermutlich höher.
Zudem würde die Fraktion ihren welschen Aushängeschildern, Ständerat Alain Berset und SP-Parteipräsident Christian Levrat, die Chancen verbauen, einmal Micheline Calmy-Rey (GE) zu ersetzen. Zwei Freiburger im Bundesrat, das ist unrealistisch, auch wenn die Kantonsklausel inzwischen abgeschafft wurde.
Wenn die Hearings als entscheidendes Momentum bezeichnet werden, ist das also vor allem etwas: eine gut getarnte Entschuldigung, die Katze so lange wie möglich im Sack zu behalten. Schliesslich will man sich möglichst lange alle Optionen offenhalten. Bleibt die Vermutung, dass es bei Bundesratswahlen primär um “Games” geht.
Mark Balsiger
Die letzte Zauberformel beruhte auf relativ stabilen und/oder gleichmässigen Kräfteverhältnissen. Inzwischen sind aber einige neue Parteien wie die GPS oder die GLP auf den Plan getreten, sodass die Luft dünner wird, seine bisherige Sitzzahl weiterhin zu verteidigen. Plötzlich sind neue Mehrheiten denkbar und möglich, was sich bisher auch in Form von zwei Bundesratsabwahlen äusserte.
Unter diesem Kontekt der «dünneren Luft» lassen einige Parteiexponenten nichts unversucht und spannen ein neues taktisches Mittel vor den Karren: Die Medien.
Bundesratswahlen waren wohl noch nie so mediatisiert wie die hier anstehende Wahl. Und: Es gab wohl noch nie soviele Widersprüche wie bei dieser Wahl, ohne dass diese irgend ein Medium aufgreift…
So war die Sprachenfrage (Broulis) meines Wissens noch nie ein wirklich ernsthaftes Kriterium bei den Bundesratswahlen. Oder hatte sich die eidg. Bundesversammlung wirklich die Frage gestellt, ob Otto Stich französisch kann, bevor sie ihn überraschenderweise wählte? War die Frage überhaupt schon einmal bei einem Deutschschweizer BR-Kandidaten relevant? Eben.
Auf der anderen Seite ist da die Ist-er-ein-echter-Romand-Frage. Diese Frage wird deshalb als relevant betrachtet, weil bis anhin die «Berücksichtigung aller Landesteile» – eines der wenigen tatsächlich zählenden Kriterien für Bundesratswahlen – sich bis anhin einzig über die Sprachgrenze definierte.
Das ist m. E. völlig falsch. Sobald das Tessin ins Spiel kommt, spricht man vereinfacht von «aus der lateinischen Schweiz». Hätte Fulvio Pelli kandidiert und wäre er gewählt worden, dann hätte kein Hahn danach gekräht, dass nicht zwei Bundesräte aus der Romandie stammen. Die Ist-er-ein-echter-Romand-Frage ist somit irrelevant.
Relevant ist die Frage der Landesteil-Vertretung – egal welche Sprache da gesprochen wird. Und da erstaunt es, dass mit Brunschwig-Graf und Lüscher gleich zwei Kandidaten aus dem gleichen Kanton wie Calmy-Rey aufgestellt werden und niemand diesen Widerspruch aufgreift, auch wenn die Kantonsklausel nicht mehr gilt. Wann ist eigentlich einmal der «Landesteil Jura» an der Reihe?
Es sind tatsächlich Spielchen – mit tatkräftiger Unterstützung gewisser Medien, welche relativ unkritisch alles mitmachen, was man ihnen vor die Füsse wirft.
Übrigens, der Wahlkampf 2011 hat hiermit definitiv begonnen…
[…] im Vorzimmer” des Bundesrats angelangt sei. Am letzten Freitag schliesslich vertrat ich hier die Meinung, dass Hearings bloss Rituale seien und keinen Einfluss auf die Wahlempfehlungen […]