Christophe Darbellay, der falsche Doppelgänger
Publiziert am 08. Dezember 2009GAST-BEITRAG
Von Michael Hermann*
Der Wirbel, den Christophe Darbellay letzte Woche mit der Forderung nach einem Verbot von Separatfriedhöfen und den folgenden überschwänglichen Entschuldigungsgesten auslöste, zeigt idealtypisch, wie der CVP-Präsident seine politische Arbeit versteht: Hauptsache agieren, Hauptsache auffallen. In einer fehlgeleiteten Logik versteht er Politik als ein Spiel, das gewinnt, wer am meisten in den Medien erscheint und dort egal wie für Aufmerksamkeit sorgt.
Für Popstars und Ex-Missen mag dieses Rezept verfangen, für all jene, die nicht bloss sich selbst, sondern ein Produkt wie zum Beispiel eine Partei vermitteln müssen, zielt dieser Ansatz jedoch fatal daneben. Talentierte politische Kommunikatoren wie Barack Obama erkennt man daran, dass sie authentisch und glaubwürdig etwas verkörpern – im Fall von Obama ein wärmeres und offeneres Amerika – und mit eiserner Disziplin an der Entwicklung ihrer öffentlichen politischen Identität arbeiten.
Erst schiessen, dann überlegen
Einst wurde Darbellay zum Nachfolger von Doris Leuthard gewählt, weil man in ihm, dem jungen, attraktiven und mediengewandten Agronomen, den männlichen Doppelgänger der Erfolgspräsidentin vermutete. Doch während Leuthard als Parteipräsidentin es schaffte, die moderne Frau der gesellschaftlichen Mitte zu verkörpern, die bürgerliche Grundwerte mit sozialer und ökologischer Aufgeschlossenheit verbindet, verkörpert Darbellay vor allem eins, nämlich sich selber, den Husarenreiter, der in der Regel erst schiesst und dann überlegt, wohin er zielen will.
Für keine Schweizer Partei wäre eine identitätsstiftende Führungsfigur wichtiger als für die CVP, die aufgrund ihrer historisch bedingten Uneinheitlichkeit und ihrer Position in der Mitte des politischen Spektrums eh schon schwer zu fassen ist. Doch genau das schafft Darbellay mit all seinem Aktivismus nicht. Er wird zwar wahrgenommen. Weil man bei ihm zumindest gegen aussen keinen festen Wertekompass erkennen kann, stiftet er aber keine Identität. Statt wie einst Leuthard nach Mitte-rechts und zugleich nach Mitte-links als positive Identifikationsfigur wahrgenommen zu werden, schafft es Darbellay, dass ihn weder die eine noch die andere Seite als einen der Ihren sieht.
Zuversicht der CVP verflogen
Dass die grosse Zuversicht, die in der Partei unter Leuthards liberal-sozialem Aufbruch herrschte, verflogen ist, hat verschiedene Gründe. So tummeln sich in der Mitte mit den Grünliberalen und der BDP zwei neue Parteien, die im selben schmalen Teich nach Wählern fischen. Ebenso kann sich die CVP seit der Blocher-Abwahl nicht mehr so leicht als bürgerliche Alternative präsentieren. Doch ein wichtiger Anteil an der Krise geht direkt auf Darbellay zurück: Mit seinem selbstgefälligen Auftritt bei der Fernseh-Doku zur Blocher-Abwahl hat er seine Partei in den Stammlanden auf die Abschussliste gebracht, und mit seinem Vorpreschen nach dem Rücktritt von Couchepin trieb er sie bei der Bundesratswahl in die Falle. Dass der Walliser trotz seiner vergaloppierten Ausritte als Präsident noch immer fest im Sattel sitzt, macht klar, dass er mit seinem Verständnis von politischer Kommunikation in seiner Partei nicht alleine ist. Der Glaube ans Prinzip «Hauptsache wahrgenommen werden» ist dort weit verbreitet. Dass die Medien relativ glimpflich mit ihm umgehen, hat dagegen damit zu tun, dass er ein Garant für gute Stoffe ist.
Wie unheilvoll das Wertevakuum im Zentrum der christlichen Wertepartei ist, wird gerade im Nachgang zur Minarettabstimmung überdeutlich. Wie vom Blitz getroffen, kippten CVP-Exponenten nach allen Seiten um – zuallererst ihr Präsident. Sicher ist dabei nur eins, nämlich, dass so an der Basis sowohl jene, die gegen, als auch jene, die für die Initiative waren, vor den Kopf gestossen werden. Dabei wäre gerade jetzt, da sich das Land wieder einmal in zwei unversöhnliche Lager zu spalten droht, eine Stimme für all jene wichtig, die ein Unbehagen mit dem Islam haben, die das Ja aber genau als das und nicht als Aufruf zu einem Kreuzzug gegen die Religionsfreiheit verstanden haben wollen.
* Michael Hermann ist Sozialgeograf und Leiter der Forschungsstelle Sotomo an der Universität Zürich. Sein Text ist im “Tages-Anzeiger” und “Bund” von heute erschienen. Die Übernahme im Wahlkampfblog erfolgt nach Rücksprache mit dem Autor.
Zum Thema:
Christophe Darbellay: Auch seine Karriere ist auf Sand gebaut
(7. Juni 2008, wahlkampfblog)
Nachtrag vom 29. Januar 2010:
Jean-Martin Büttner befasst sich in “Bund” und “Tages-Anzeiger” auch mit Christophe Darbellay:
Wie ein Flipperkasten lässt er die Kugeln tanzen (29.01.2010; PDF)
Foto Michael Hermann: unipublic-uzh.ch
Perfekte Analyse! Es ist ein beunruhigender Trend, die Partei-Meinungen zu Themen nicht mehr nach der politischen Mission der Partei zu definieren, sondern reflexartig auf den grössten zu erwartende Zuspruch im «Markt» abzustimmen. Parteipolitik zum reinen Selbstzweck!