Claudine Esseiva ist für die Berner FDP die Chance für eine Neupositionierung
Publiziert am 06. November 2014Erstaunt rieb man sich gestern Nacht die Augen, als die Berner FDP ihre Kandidatur für den Ständerat bekanntgab: Die rund 150 Delegierten hievten mit Claudine Esseiva jemanden auf den Schild, der erst seit einem Jahr im Kanton Bern wohnt und kein politischen Mandat innehat. Die 35-jährige Generalsekretärin der FDP-Frauen erzielte im zweiten Wahlgang 86 Stimmen und liess die beiden Mitbewerber Peter Flück und Adrian Haas mit 34 resp. 32 Stimmen weit hinter sich. Ganz offensichtlich wollten die Freisinnigen den beiden gestandenen Grossräten keine weitere Chance geben und stattdessen einmal etwas Anderes wagen.
Esseiva muss im Herbst nächsten Jahres nicht gewählt werden, sondern die Fahne der Berner FDP hochhalten und der Partei ein frisches Gesicht geben. Die Befähigung dafür hat sie, selbstbewusst, unkonventionell, keck und energisch wie sie ist. Ihre Wahlchancen tendieren gegen Null, ihre Kandidatur ist aber eine Chance für die FDP, die bei Wahlen seit vielen Jahren kontinuierlich Wählerprozente und Sitze verloren hat, so 2003 den traditionellen Ständeratssitz (an SP-Frau Simonetta Sommaruga) und 2006 den zweiten Regierungsratssitz. Erreichte die Berner FDP bei den eidgenössischen Wahlen 1999 noch 17.2 Prozentpunkte, lag dieser Wert 2011 noch bei 8.7 – ein schmerzhafter Schrumpfprozess.
Ständeratskandidatin Esseiva ist nach eigenen Angaben eine Feministin, und sie ist gesellschaftsliberal. Der gesellschaftsliberale Flügel des Freisinns hat in den letzten Jahren massiv an Kraft verloren, was ein Erklärungsversuch für den Krebsgang dieser Traditionspartei liefert. Esseiva wird sich die nächsten elf Monate kaum verbiegen, sondern ihre Überzeugungen markig vertreten. Damit kann die FDP eine Neupositionierung einleiten, die sie nötig hat, wenn sie junge Parteimitglieder und neue Wählerschichten gewinnen will.
Esseiva und die Kandidatin der Grünen, Grossrätin Christine Häsler, haben das Potential, über sich hinauszuwachsen und den Ständeratswahlkampf aufzumischen. Aufs Podest wird es ihnen am 18. Oktober 2015 allerdings nicht reichen. Die ersten drei Plätze machen die beiden Bisherigen, Werner Luginbühl (BDP; sein “Go” für eine erneute Kandidatur ist eine Formsache) und Hans Stöckli (SP), sowie SVP-Kampfkandidat Albert Rösti unter sich aus.
Foto Claudine Esseiva: NZZ
Die frischgebackene Ständeratskandidatin bleibt auch am Tag nach ihrer Nomination im Gespräch. Es sei für sie jetzt ganz wichtig, mit ihrer Kandidatur aufzuzeigen, dass die FDP neue Wählersegmente erschliessen könne, erklärt Esseiva im Interview mit dem “Bund”.
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