Der Fall von Anita Thanei

Publiziert am 17. Juni 2011

Ein Drama in fünf Akten bei der Zürcher SP. Erster Akt: Die Jungsozialisten agitieren gegen die altgedienten Nationalratsmitglieder; diese sollen ihre Sitze räumen. Zweiter Akt: An der Nominationsversammlung schafft Anita Thanei den Sprung nicht mehr auf die Nationalratsliste. Statt Blumen und präsidialen Dankesworten gibt es Tränen. Dritter Akt: Teile der SP-Basis solidarisieren sich mit Thanei und verlangen, dass ihr die Partei eine zweite Chance gibt. Vierter Akt: Die Parteispitze willigt schliesslich ein. Fünfter Akt (Stand heute): Thanei verzichtet nun doch darauf, beim zweiten Anlauf nominiert zu werden.

Der Fall sorgt bei den Sozialdemokratinnen für rote Köpfe und mehr. Ich rolle ihn auf eine andere Art auf. In Form eines Interviews, das bereits vorliegt, aber nur teilweise verwendet wurde. Die Fragen stammen von “Newsnetz”-Redaktorin Tina Fassbind, die Antworten von mir.

Rund fünf Wochen lang dauerte das Gezerre um den Listenplatz von Frau Thanei. Wie gross ist der Flurschaden für das Image der Partei?

Die SP erlitt bei den Nationalratswahlen vor vier Jahren eine historische Schlappe: Minus 3,8 Prozentpunkte schweizweit, sogar minus 5,8 Prozent im Kanton Zürich. Umso wichtiger wäre es nun für die Partei, dass sie die Erosion stoppen kann. Das Hüsch und Hott in der Causa Thanei erinnert an die Dramen von Shakespeare. Die potenzielle Wählerschaft kriegt den Eindruck, dass die SP sich vor allem mit sich selbst beschäftigt – wenige Monate vor den Wahlen.

Wie wird sich dieses Hickhack auf die Basis auswirken?

Es hinterlässt Blessuren, womöglich wurden dieser Tage auch langjährige Freundschaften beendet. Das Absingen wüster Lieder kann Teile der Basis demotivieren, die breite Bevölkerung ist irritiert.

Die Parteileitung wurde frontal angegriffen. Sind die Angriffe gerechtfertigt?

Kritiker sagen, es mangle ihr an Leadership. Die Spielregeln für die Nomination wurden weit im Voraus festgelegt. Zuweilen benehmen sich langjährige Spitzenpolitiker wie kleine Könige – oder Königinnen –, das Wohl der Partei stellen sie hinter ihre eigenen Interessen. Entsprechend bräuchte es Autoritäten in der Parteispitze. Kantonalpräsident Stefan Feldmann hat diese Durchsetzungskraft vermutlich nicht.

Hat sie auf die Angriffe richtig reagiert?

Nein, während dem Spiel ändert man die Regeln nicht mehr, auch wenn Teile der Parteibasis aufheulen. Die Parteileitung hätte den demokratisch gefällten Entscheid nicht mehr infrage stellen dürfen. Eine Nicht-Nomination ist eine Nicht-Nomination.

Was muss die Partei tun, um dieses Kapitel mit Würde zu beenden?

Der Schaden ist angerichtet, er ist gross, und ich sehe keine prima vista keine Option, wie dieser Fall ein gutes Ende nehmen könnte. Die SP sollte sich stattdessen mit ihren Kernthemen profilieren, Personaldiskussionen und -knatsch sind Gift.

Thanei sagt, sie wolle mit diesem Entscheid dem Debakel ein Ende setzen, damit die Partei wieder weiterkommt. Was sagen Sie dazu?

Diese Einsicht kam spät, aber immerhin: sie kam.

Sie meint auch, dass der Schaden für die Partei nicht gross sei. Teilen Sie diese Meinung?

Gerade in einem Wahljahr wäre es essentiell, dass eine Partei selbstbewusst, geeint und mit zugkräftigen Themen auf sich aufmerksam macht. Der Knatsch der letzten Monate, den sich die SP leistet, dürfte bei vielen Leuten haften bleiben.

Thanei meint, dass sie nur mit einem Listenplatz in der oberen Hälfte (Platz 17 und drüber) eine Wahlchance hätte. Ist das so?

Im Kanton Zürich ist es vorentscheidend für die Wahl, einen guten Listenplatz zu haben. Es wäre ein merkwürdiges Signal gewesen, die anderen Bisherigen vorne aufzulisten, Thanei aber auf Platz 17, 28 oder sogar 34.

Anita Thanei wollte sich nach 16 Jahren Politik nicht so einfach abservieren lassen. Was meinen sie dazu?

Diese Kaltstellung ist in der Tat unschön. Thanei ist eine bekannte Politikerin, die in den ersten Jahren als Nationalrätin enorm populär war. Wegen ihrem Bisherigenbonus hätte man sie erneut nominieren müssen. Gleichzeitig hätte die SP-Spitze die Vereinbarung mit ihr treffen müssen, dass sie nach zwei Jahren ihren Sitz abgibt und neuen Kräften Platz macht. Eine Partei, die mit dem Rücken zur Wand steht, sollte alles unternehmen, ihren Wähleranteil zu konsolisieren. Dazu gehört, Bisherige diskussionslos wieder zu nominieren. Diese Aussage steht nicht im Widerspruch mit der Überzeugung, dass eine demokratisch entschiedene Nicht-Nomination nicht mehr verhandelbar sein sollte.

Mark Balsiger

Foto Anita Thanei: 20min

6 Replies to “Der Fall von Anita Thanei”

  1. Im Nachhinein sind alle gescheiter. Die SP hat das Nominationsverfahren zum ersten Mal auf diese demokratische Art und Weise durchgeführt. Bei einem solchen Verfahren sind Vereinbarungen, wie Sie es vorschlagen, praktisch nicht möglich. Niemand hat im Vorfeld damit gerechnet, dass ausgerechnet die Presse soviel Mühe hat mit der Demokratie.

    Für uns Mitglieder der SP ist aber ein Mitspracherecht bei der Listengestaltung wichtig, damit Politiker der Parteibasis verbunden bleiben.

  2. Norbert Wey sagt es richtig. Offenbar sind die Medien so sehr damit überfordert, dass bei der SP keine Parteileitung oder das Budget die Wahllisten entscheidet, sondern die Demokratie. Der Parteileitung kann man lediglich vorwerfen, dass sie sich nicht klar hinter dem demokratischen Entscheid gestellt hat und das überhebliche Verhalten von Thanei (Sie ist Mieterverbandspräsidentin und schon 16 Jahre im NR!) nicht klar als undemokratisch abtat.

    Ich bin überzeugt, dass die SP mit der JUSO in den nächsten Monaten dennoch einen guten Wahlkampf führen wird und wieder zulegen kann.

  3. ‘@ Norbert Wey & Petar Marjanovic

    Ich erkenne die Problematik und hoffe, das in meinem Beitrag bzw. mit meinen Antworten auch klar herausgeschält zu haben. Ist ein Entscheid einmal gefällt, gibt es kein Zurück mehr. Das hätte für die Parteileitung wie Frau Thanei gelten sollen.

    @ Petar Marjanovic

    Die Medien in dieser Causa zu kritisieren finde ich erstaunlich. Und der Verweis auf das Budget ist ein Schuss ins eigene Knie: Haben Sie mitbekommen, dass die Gewerkschaften bis zu 12’000 Franken von Kandidierenden der SP Bern verlangen? Hier:

    http://www.20min.ch/news/schweiz/story/14272077

  4. Es ist erstaunlich, und das ist das erstaunliche. Als Mitglied einer Wahlliste einer Partei erhält man viel Unterstützung. Ich profitiere von einem Sekretariat, welches für mich Inserate schaltet und Helfer organisiert. Meine Partei zahlt mir einige Flyer, Plakate, und Versände. Und ob eine Partei für einen Kandidaten so viel investieren soll, muss entschieden werden. Nicht nur des Geldes wegen, auch weil eine Liste nun mal eine beschränkte Anzahl Linien hat.

    Offenbar haben die SP-Delegierte an dieser Versammlung das Zeichen setzen wollen, dass die Partei eine Erneuerung braucht. Und bei Anita Thanei hat es nicht gereicht: Ihr wollten die Delegierten und die Träger der Partei bei einer jüngeren Person investieren. Anita Thanei muss diesen Entscheid akzeptieren. Und die Medien müssen das auch akzeptieren und keine riesen Geschichte über ihre Mimöselei machen.

    Und wie gesagt: Die Investition einer Partei in einen Kandidaten muss irgendwie auch retourniert werden. Bisherige Ratsmitglieder zahlen in der Regel an die Partei eine Mandatssteuer, und erstatten die Unterstützung der Partei. Neukandidaten müssen auch etwas der Partei zurück geben, damit die Kandidatur nicht «vergebens» ist. Die Lösung in Bern ist vielleicht nicht die Vernünftigste. Wermuth hat mit der Partei abgemacht, dass ein Teil seiner Spendengelder direkt an die Partei geht.

    Aber gut, ich gebs zu: Touché. Nobody is perfect. Aber im Vergleich mit den 50’000 bei der FDP sind das Welten. Ebenso ist der demokratische Entscheid der SP nicht mit dem de facto Absolutismus bei einer SVP; bei der im voraus schon bekannt ist, wer auf der Liste ist. Gewissen Parteien täte es gut, mehr Demokratie zu wagen und die Partei zu öffnen.

  5. ‘@Mark Balsiger

    Die Kantonalparteien der SP können das Nominationsverfahren selber bestimmen. Vielleicht ändert die Berner SP ihr Verfahren in vier Jahren. In diesem Fall hätten sicher die Medien etwas dazu beigetragen. Welches Verfahren das Beste ist muss sich noch zeigen.

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