NZZ-Chefredaktor Eric Gujer im No-Billag-Modus
Publiziert am 17. Dezember 2017NZZ-Chefredaktor Eric Gujer brachte am Samstag die Schrotflinte in Anschlag – zum wiederholten Mal. Schon der Titel seines Leitartikels knallt: «Die Schweiz braucht keine Staatsmedien». Gujer schiesst scharf auf die SRG. Kritik ist legitim und wichtig: Die SRG hat in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht, klar. Ein paar Schlüsselfiguren wünschte man mehr Empathie und Demut. Doch darum geht es hier nicht.
Gujer übernimmt in seinem Text weitgehend Rhetorik und Logik der No-Billag-Initianten. Aus staatspolitischer und publizistischer Sicht ist das bedenklich. Er suggeriert, das Volk könne am 4. März nächsten Jahres Ja stimmen, das Parlament fände hernach einen kreativen Weg, die Initiative umzusetzen. Entweder hat Gujer den Initiativtext nicht gelesen oder er pokert.
Als Ergänzung zum Blog-Posting von Diego Yanez, dem Direktor der Schweizer Journalistenschule, bringe ich hier eine Replik zu vier Punkten aus Gujers Elaborat.
1. Die SRG ist ein Staatssender
Gujer war einmal Korrespondent in Moskau. Er weiss also genau, dass Staatssender zensurieren und nur die genehme Meinung verbreiten. Schweizer Radio und Fernsehen hingegen hat keine Abhängigkeiten. Die Vereinsstruktur der SRG mit ihren 24’000 Mitgliedern ist typisch für unser Land: Das Unternehmen gehört dem Volk, zwei von neun Verwaltungsratsmitgliedern werden vom Bundesrat bestimmt.
Die SRG-Journalisten beobachten die Arbeit der Behörden in der Regel genau und mitunter kritisieren sie hart. Als Beispiel dient der investigative Journalismus der Magazine «Espresso», «Kassensturz» und «Rundschau». Zudem zeigt die «Samstagsrundschau» von Radio SRF1 Woche für Woche, wie man den Mächtigen aus Politik und Wirtschaft gut vorbereitet und professionell auf den Zahn fühlt. Wir merken: Schweizer Radio und Fernsehen bietet unabhängigen Journalismus.
2. Die SRG ist ein Dinosaurier und verändert sich nicht
SRF4 News ist nur eine von vielen Innovationen des Hauses. Der Sender bringt rund um die Uhr gut aufbereitete Nachrichten. Morgens von 6 bis 9 Uhr wird im Halbstundentakt «Heute Morgen» ausgestrahlt, ein zehnminütiges Journal auf vergleichbarem Niveau wie das «Echo der Zeit». Die SRG befindet sich im Wandel zu einem digitalen Medienunternehmen: Inhalte werden dort angeboten, wo ein Teil des Publikums heute ist – auf Instagram, Youtube, Facebook und Twitter. Die App «Politbox», für Junge konzipiert, holte 2015 einen internationalen Preis. Unlängst kreuzten bei Radio SRF1 Befürworter und Gegner der No-Billag-Initiative für eine Stunde die Klingen. Das Publikum brachte sich ein – via Telefon und Social Media. Wir merken: Die SRG ist unterwegs und macht publikumsnahe Sendungen.
3. Die SRG verzerrt den TV-Markt Schweiz
Trotz neuer Technologie: In der kleinen Schweiz mit ihren vier Sprachregionen spielt der TV-Markt nicht. Die Fixkosten für eine Informationssendung oder einen Spielfilm sind ähnlich hoch, ob sie nun für 5,5 Millionen Menschen in der deutschen Schweiz gemacht werden oder für 82 Millionen in Deutschland.
Rainer Stadler, seit mehr als 25 Jahren Medienredaktor bei der NZZ, ist ein genauer und unbestechlicher Beobachter – und ein Kritiker der SRG. Am letzten Freitag schrieb er: «Es verwundert, dass einige Exponenten weiterhin behaupten, eine private SRG könne sich künftig als Abonnementssender behaupten. Wer solches sagt, ist unredlich, oder er hat keine Ahnung von medienökonomischen Zusammenhängen. Ein Blick in die Nachbarländer genügt, um zu erkennen, dass das nicht funktioniert.» Wir merken: Bei der NZZ wird nicht der profunde Kenner konsultiert, wenn es um Medienthemen geht.
4. Das «Lagerfeuer» Fernsehen gibt es nicht mehr
Als Gujer noch ein Teenager war, lud Kurt Felix jeweils zur grossen Unterhaltungsshow «Teleboy». Strassenfeger gibt es heute noch: Den Dokumentarfilm über Bernhard Russi – ein berührendes Porträt – schauten 850’000 Menschen, die neue Krimiserie «Wilder» brachte Quote und gute Kritiken im Feuilleton, wichtige Spiele der Schweizer Fussballnationalmannschaft, das Lauberhornrennen oder der Historienfilm «Gotthard» kratzten an der 1-Millionen-Grenze. Die Hauptausgabe der «Tagesschau» verfolgen im Durchschnitt 620’000 Leute, und zwar linear. Wir merken: Das Fernsehen ist weiterhin ein Massenmedium.
Fazit: Gujers Leitartikel ist unrecherchiert, faktenfremd und teilweise demagogisch. Viele seiner Arbeitskollegen an der Falkenstrasse werden sich fremdschämen. Es ist nicht das erste Mal. Um es auch mit Polemik zu versuchen: Ohne starken Kaffee am Samstagmorgen hätte ich womöglich geglaubt, Ulrich Schlüers «Schweizerzeit» und nicht die NZZ vor mir zu haben. Was Gujer (Pressefoto unten) mit diesem Stück Konzernjournalismus bewirken will, bleibt sein Geheimnis. Wir erinnern uns aber, was er bei seiner Ernennung im März 2015 sagte: «Das, was wir machen, versuchen wir besonders gut zu machen.»
Dieses Posting erschient zuerst bei «Persönlich», dem Portal der Kommunikationsbranche.
Interessenbindungen des Autors: Mark Balsiger ist Kampagnenkoordinator des Komitees «NEIN zum Sendeschluss», das gegen die No-Billag-Initiative kämpft. Mandate der SRG hat er keine.
Jetzt hat das Nachbeben zu Eric Gujers Leitartikel in der NZZ eingesetzt: Bei «Persönlich», dem Portal der Kommunikationsbranche, stellt sich der NZZ-Chefredaktor den Fragen von Matthias Ackeret.
Für die Analyse dieses Interviews sorgt Publizist Matthias Zehndner: «Gujer setzt sein gefährliches Spiel fort.»
[…] diesem Beispiel aufzeige. Einzelne Verfehlungen griff ich auf, etwa von der «Sonntags-Zeitung», der NZZ, der «Schweiz am Wochenende» oder der […]