Der Wahlk(r)ampf mit Social Media

Publiziert am 07. Juni 2011

Internet und Social Media sind noch nicht richtig in den Köpfen der Schweizer Politiker angekommen. So lautet eine alte These von mir. Inzwischen ist sie zur Gewissheit geworden, und ich habe Verständnis dafür. Beobachtungen eines Pendlers zwischen zwei Welten.

Gestern Abend, Kongresshotel Einstein, St. Gallen. Im Plenum sitzen rund 60 Mitglieder des kantonalen Parlaments, einige unter ihnen kandidieren für den Nationalrat. Dabei sind auch ein paar Parteisekretäre, die Stimmung ist aufgeräumt, man hört aufmerksam zu. Ich stoppte dort auf meiner kleiner Tournee in Sachen Wahlkampf und Social Media.

Der Name Facebook ist allen geläufig, zwei Drittel aller Kantonsräte haben ein persönliches Profil, etwa zehn von ihnen sind bei Twitter dabei, jeder Dritte hat eine eigene Website. Der Respekt vor den neuen Medienkanälen ist aber gross, das ist förmlich spürbar. Dasselbe gilt für die Zweifel.

Eine kleine Auswahl der Fragen, die gestellt wurden:

– Wieso sollte ich nebst meinem persönlichen Profil noch eine Facebook-Page bewirtschaften?
– Was bringt mir Twitter?
– Muss man bei Twitter dabei sein, um die Tweets lesen zu können?
– Wieviel kostet ein ganzes Paket: Website, Blog, Facebook und Twitter?
– Hole ich dort zusätzliche Stimmen?

Das grösste Hindernis für die Etablierung von Social Media ist offenbar die fehlende Zeit. In den ersten Monaten täglich eine halbe Stunde oder mehr aufzuwenden liegt für die allermeisten Politisierenden nicht drin. Ihre Tage – und Abende – sind sonst schon lang genug, die Agenden voll, die Verpflichtungen vielfältig. Ein radikaler Umbau der Ressourcen will kaum jemand vornehmen. Eine Beobachtung, die ich auch bei der Zusammenarbeit mit einzelnen Kandidierenden, für die meine Agentur arbeitet, mache.

Auch Spitzenkandidaten sind erst teilweise im Netz. Die fünf national bekannten Ständeratskandidaten des Kantons St. Gallen zeigen das exemplarisch:

(FB steht für Facebook; “Profil” ist der persönliche Auftritt bei Facebook, “Seite” eine offene Fan-Seite)

Wir dürften davon ausgehen, dass diese Tabelle Ende August mehr Häckchen und Zahlen aufweisen wird. Das war beispielsweise bei den Regierungsratswahlen in den Kantonen Basellandschaft, Zürich und Luzern in diesem Jahr auch so. Wer allerdings erst kurz vor dem Wahltermin in Social-Media-Kanälen aktiv wird, macht sich verdächtig. Ihm geht es gar nicht um den vielgespriesenen Dialog, sondern nur um das schnelle Abholen von neuen Wählern – so die Kritik, die nicht unberechtigt ist.

Fazit: Aus zeitlichen Gründen werden die Social-Media-Aktivitäten erst für die letzten zwei Monate hochgefahren. Kaum ist der Wahltermin vorüber, wird dieses “Online-Zeugs” auch gleich wieder vergessen. Auch dazu findet man im Kanton St. Gallen ein exemplarisches Beispiel: Beni Würth, der sich im letzten Herbst bei einer Ersatzwahl für den Regierungsrat durchsetzte, hat seinen guten Webauftritt seit Mitte Dezember 2010 nicht mehr verändert:

Diesen Eintrag findet man unter der Rubrik “Aktuelles”. Autsch.

Letzte Woche, Zürich, NZZ-Bistro: Am Social Media Gipfel referieren zwei Jungstars: Stefan Krattiger, der mit 26 bereits Gemeindepräsident der 1700-Seelen-Dorfes Aegerten bei Biel wurde, und Philipp Kutter (35), Gemeindepräsident von Wädenswil und Kantonsrat. Krattiger ist studierter Politikwissenschaftler und inzwischen Projektleiter für Kommunikation und neue Medien bei der SP Schweiz. Kutter wiederum ist Historiker und PR-Fachmann.

Diese Zusatzinformationen scheinen mir wichtig zu sein.  Krattiger sagte: “Ich habe die Faszination von Twitter noch nicht entdeckt.” Und Kutter fragte: “Twitter ist doch Einweg-Kommunikation, nicht?” Und das war nicht als Provokation gedacht.

Eine Würdigung dieses Anlasses nahm Bloggerkollege Christian Schenkel vor.

Natürlich sind Social Media mehr als Twitter, Facebook und Youtube, viel mehr. Eine der wenigen Online-Kampagnen, die Durchschlagskraft entwickelten, ist dieser Comix.

In der Schweiz unerreicht, aber in einer anderen Kategorie (nationale Abstimmungen), ist die Kampagne mit “Tagesschau”-Sprecher Charles Clerc zur Personenfreizügigkeit (Volksabstimmung im Februar 2009).

Mark Balsiger

4 Replies to “Der Wahlk(r)ampf mit Social Media”

  1. Dann nehmen wir doch einfach einmal an, die Mehrheit der Mandatsträger einer Partei setzt das von Mark Balsiger Gehörte um. Sie twittern also, sind auf Facebook aktiv, produzieren YouTube-Filmchen und haben eine eigene Webseite mit regelmässigen Blogeinträgen. Welche Folgen hat dieser Einsatz von Internet und Sozialen Medien auf die Partei?

    Je heterogener die Partei ist, desto mehr gegensätzliche Meinungen werden über die erwähnten Kommunikationskanäle kund getan. Gleichzeitig heben diese Kanäle die räumlichen Grenzen auf. Das heisst, der Wähler in Uri weiss um die unterschiedlichen Ansichten des Politikers im Wallis.

    Führt ein ausgiebiger Gebrauch von Internet und Sozialen Medien durch die Politiker dann schliesslich dazu, dass die Partei homogener und zentralistischer wird? Die Kantonalparteien an Einfluss verlieren? Es schweizweit mehr und kleinere Parteien gibt?

  2. ‘@JC
    Wir leben mitten in einem Wandel von der vertikalen Top-down-Kommunikation zur horizontalen Bottum-up-Kommunikation. Davon sind alle Organisationen und Unternehmen betroffen – nicht nur die politischen Parteien. Die Frage ist, ob man dies als Chance sieht und nutzt oder als Gefahr einstuft.

  3. ‘@ JC

    Sie bringen einen interessanten Aspekt in die Diskussion ein. Die ausgeprägt föderalistisch strukturierten Parteien haben ja ohnehin schon Mühe, Social Media könnten die Differenzen unter den Kantonalsektionen noch akzentuierter aufzeigen.

    Wenn ein “stay to the message” die Entwicklung wäre, hätte das kampagnentechnisch Vorteile. Und die Parteien würden vermutilch wieder eher verstanden, wenn in Uri und im Wallis dasselbe gesagt wird.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert