Die Berner FDP entdeckt eine alte Qualität: die Eigenständigkeit
Publiziert am 03. Februar 2007Die morgendliche Lektüre des „Bund“ zerstreut die letzten Zweifel:
“FDP will den Alleingang”
prangt auf der Front. Die Überraschung ist perfekt. Schon vier-, fünf- oder sogar sechsmal hat die FDP-Spitze des Kantons Bern in den letzten Jahren angekündigt, sich von der SVP emanzipieren zu wollen. Allein, schliesslich fand sie sich stets im Rucksack der grossen Volkspartei wieder – meistens zwar schimpfend.
Dieses Mal hat es der Freisinn geschafft. Er steigt alleine in die Ständeratswahlen 2007 – eine Abkehr der Tradition, besetzten FDP und SVP bis 2003 doch stets die beiden Sitze im „Stöckli“. Parteipräsident Johannes Matyassy wurde seit Monaten nicht müde, den Alleingang in der Öffentlichkeit und parteiintern zu propagieren. Dabei lehnte er sich weit aus dem Fenster und riskierte, vom Parteitag in Biel desavouiert zu werden. Das brauchte Rückgrad, chapeau! Mit diesem Erfolg stärkt er, der früher der FDP Schweiz ein guter Generalsekretär war, seine Position innerhalb der Partei.
Die Kommentatoren monieren zwar, dass „ein Alleingang noch kein Programm“ sei. Das stimmt zweifellos. Bloss: Es sind dieselben Kommentatoren, die viel lieber und oft über Wahltaktik und Personalentscheidungen der Parteien schreiben als über die Niederungen der Tagespolitik im Grossen Rat. Ergo ist der Alleingang der FDP ein wichtiges Signal, das auf grosse Resonanz stösst.
Freisinn muss auch auf Listenverbindung verzichten
Wenn die FDP nun auch noch den Mut haben wird, bei den Nationalratswahlen auf die traditionelle Listenverbindung mit der SVP zu verzichten, macht sie einen weiteren wichtigen Schritt vorwärts. Eigenständigkeit gibt Profil. Wer Profil hat, wird interessanter für das Elektorat.
Natürlich gibt es für die beiden Parteien viel mehr Gemeinsames als Trennendes. Schliesslich entsprang die SVP der freisinnigen Grossfamilie. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg wars, als sich die Bauern und Gewerbetreibenden vom Freisinn nicht mehr genügend vertreten fühlten – und im „Bierhübeli“ Bern die SVP (damals Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei BGB) aus der Taufe hoben.
Mit dem deutlichen Entscheid für den Alleingang, haben aber nicht nur der Freisinn gewonnen, sondern auch die Wählerinnen und Wähler. Am 21. Oktober eröffnet sich uns die Gelegenheit, unter vier profilierten Kandidierenden unser Duo für den Ständerat zu bestimmen: Simonetta Sommaruga (SP), Werner Luginbühl (SVP), Dora Andres (FDP, noch nicht nominiert) und Franziska Teuscher (grüne).
Vier unterschiedliche Temperamente, vier verschiedene Lebensentwürfe, vier verschiedene Ausrichtugen, aber, und das ist das Entscheidende: alle vier sind wählbar. Alle sind fähig zum Kompromiss. Alle vier haben das Zeug, gute Vertreterinnen und Vertreter des Standes Bern zu werden. Das wird ein spannender Wahlkampf, der zwar eine klare Favoritin für den Wiedereinzug und einen Favoriten für den zweiten Platz kennt, aber: der Match ist noch lange nicht entschieden.
Mark Balsiger