Die FDP und die Weissgeldstrategie

Publiziert am 03. April 2010

Die FDP ist ein vielstimmiger Chor. Dieser Befund ist zwar alles andere als neu, er zeigt sich aber im Kontext mit den Diskussionen über den Finanzplatz geradezu exemplarisch. Weil die Gesangsproben in der Öffentlichkeit abgehalten werden, vertreibt das die Passanten. Kakophonie gehört zur Fasnacht, nicht zu den Gründern des modernen Bundesstaats.

Vor vier Wochen schob Nationalrätin Doris Fiala (ZH) wegen dem Kauf von Steuerdaten-CDs eine Staatsklage gegen Deutschland an. Parteikollegen bezeichneten dies postwendend als “Schnapsidee” oder “verfrühten 1.-April-Scherz”. Der Frauenfurz war SF Anlass genug, ihm am 5. März geschlagene 80 Minuten Sendezeit zu widmen.

Vor drei Wochen überraschte FDP-Präsident Fulvio Pelli mit einer spektakulären Kehrtwende in Sachen Bankkundengeheimnis. Freund und Feind wurden von diesem Coup überrascht. Dann geschah das “Massaker” von Bern (Sozialgeograf Michael Hermann): Bei den kantonalen Wahlen am letzten Wochenende verlor die FDP 6 Prozent oder einen Drittel ihrer Wählerschaft.

Mit ein Hauptgrund für das katastrophale Ergebnis: die Nähe der FDP zur Hochfinanz, die sich in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit festgesetzt hat. Der abtretende Präsident des Berner Freisinns, Johannes Matyassy, entwarf dazu eine Art mathematische Formel: “FDP = Abzocker.”

Mitunter helfen Schocks, um wieder zu wissen, was oben und unten, und vorne und hinten ist. Die FDP soll noch bis zur Delegiertenversammlung von Ende April öffentlich streiten, was sie unter “Weissgeldstrategie” versteht. Laut Medienberichten von heute ist selbst die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung nicht vom Tisch. (Ich halte sie für semantische Haarspalterei und glaubte, dass zumindest dieses Thema längst abgehakt ist.)

Am 24. April sollten die freisinnigen Chören sich allerdings entscheiden, ob sie Arien von Verdi, ein Remake von “The Who’s” Rock-Oper Tommy, bodenständige Kost aus dem Muothatal oder Klassiker der Punk-Ära zum Besten geben wollen. “Should I stay or should I go” zum Beispiel (“The Clash”).

Die FDP ist in einer der schwierigsten Phasen ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte. Kann sie bei der Finanzmarktproblematik glaubwürdige Positionen einnehmen, die über Jahre hinweg gültig bleiben, liegt der Turnaround drin. Schafft sie das nicht, wird sie elektoral weiter abgestraft und dürfte nach den eidgenössischen Wahlen 2015 nahe der 10-Prozent-Marke kleben.

Medienspiegel zum Thema vom 4. April 2010:

“Weissgeld ist zentral für FDP” (“Sonntag”, Othmar von Matt; PDF)
Die FDP leidet an ihrer neuen Finanzmarktstrategie (NZZ am Sonntag/Benjamin Tommer; PDF)

3 Replies to “Die FDP und die Weissgeldstrategie”

  1. Eigentlich könnte ich mich ja über das Gschtürm bei der FDP freuen, bleibt der SP so doch ein Thema erhalten.

    Was mich fasziniert ist, dass da offensichtlich immer noch eine grosse Anzahl PolitikerInnen an die Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug als erfolgreiches Geschäftsmodell für Schweizer Banken glaubt. Oder täusche ich mich da und es geht schlicht um das eigene Portemonnaie?

  2. FDP-Nachwuchshoffnung Christian Wasserfallen (Nationalrat, BE) wird zu einem überzeugten Verfechter der Weissgeldstrategie in seiner Partei. In der “NZZ vom Sonntag” spricht er Klartext:

    “Es ist eigentlich asozial, Steuern zu hinterziehen. Jeder Bürger wird heute für kleinste Verfehlungen vom Staat gebüsst. Wer aber Millionen am Fiskus vorbeischmuggelt, kommt ungeschoren davon. So geht es nicht. Man darf nicht in steuerrechtliche Exkurse verfallen, um die Wähler vom Gegenteil zu überzeugen. Es braucht eine klare Botschaft. Die Weissgeldstrategie ist so eine klare Botschaft.”

    Und spezifisch zu den Verflechtungen der FDP mit Interessengruppen sagt Wasserfallen:

    “Die FDP muss zur Volkspartei werden. Unsere Positionen müssen einer viel breiteren Schicht zugänglich gemacht werden. Dazu muss unsere Botschaft so klar sein, dass sie jeder versteht. Ein weiteres Problem sind die starken Bindungen der FDP an Interessengruppen. Die Verstrickungen verschiedener Köpfe im Parlament mit Interpharma, Economiesuisse oder der Bankiervereinigung werden uns zum Verhängnis.”

  3. ‘@ Harald Jenk

    Bei mir kommt gar keine Freude auf: Wenn mit der FDP und der SP die beiden Parteien, die seit den 1930er-Jahren am meisten am Fundament dieses Landes gearbeitet haben, kontinuierlich verlieren, ist das einfach schlecht.

    Aber eben: beide Parteien haben einiges verpasst. Ich werde bald en détail darauf zurückkommen.

    Dass der SP dieses Thema (Finanzmarktplatz) bleibt, wage ich übrigens zu bezweifeln. Punkten konnte ihre Partei damit nicht.

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