Die grüne Regierungsrätin, drei Asylbewerber aus Schwarzafrika und viel, viel Neid
Publiziert am 04. August 2013Während viele Regierungsräte derzeit in den Ferien sind, macht Susanne Hochuli Schlagzeilen. Auf dem Bauernhof der Aargauer Gesundheitsdirektorin in Reitnau lebt seit Kurzem eine dreiköpfige Asylbewerberfamilie. Mit dieser Tat als Privatperson erntet die Politikerin Lob und Kritik. Der Vorwurf der Inszenierung ist realitätsfremd.
Im Spätherbst 2011 haben Heckenschützen und die SVP zum Halali auf die grüne Regierungsrätin geblasen. Susanne Hochuli trug die Idee des Bundes mit, in der 550-Seelen-Gemeinde Bettwil eine Asylunterkunft für 140 Menschen zu eröffnen. Die Wogen gingen hoch, der Widerstand war schnell gebündelt, Hochuli wurde kritisiert, diffamiert und bedroht. Immer wieder bekam sie zu hören, sie solle doch gefälligst bei sich zu Hause Asylbewerber aufnehmen.
Genau das hat Hochuli nun getan. In einer separat zugänglichen Wohnung ihres umgebauten Bauernhofes wohnt seit Kurzem eine Frau aus Angola mit ihren beiden Kindern. Die junge Familie ist seit zehn Monaten im Asylbewerbungsprozess.
Jede Schweizer Gemeinde muss nach einem Verteilschlüssel, der sich an der Einwohnerzahl orientiert, Asylbewerber aufnehmen. Kommt sie dieser Bestimmung nicht nach, muss sie bezahlen. Hochuli entlastet also mit ihrer Entscheidung die Gemeinde Reitnau finanziell. Dass sie aber einen marktüblichen Mietzins für die Wohnung verlangt, die der kantonale Sozialdienst entrichtet, ist richtig. Jeder andere Anbieter von Wohnraum tut das auch.
In Leserbriefspalten und Online-Foren wittern viele Kritiker, etliche davon mit einem wüsten Vokabular, Orthografiefehlern und anonym, eine “PR-Aktion der mediengeilen Regierungsrätin”. Man kratzt sich verwirrt am Kopf und fragt: Profilierung, wozu? Die nächsten Regierungsratswahlen sind erst im Herbst 2016, Ständerätin wird Hochuli nie, Bundesrätin sowieso nicht. Die Grünen sind weit davon entfernt, einen Sitz in der Landesregierung zu ergattern.
Gestern bemühte die “Aargauer Zeitung” in einem Kommentar ein bekanntes Sprichwort, das auch oft als PR-Formel herhalten muss: “Tue Gutes und sprich darüber”. Die gute Tat sei gleichzeitig auch eine “Inszenierung”, moniert der Journalist, Hochuli hätte besser nicht darüber gesprochen.
Hochuli wurde für viele Leute zu einer Projektionsfläche
Mit Verlaub, aber diese Forderung ist realitätsfremd: In einem Dorf bleibt nicht lange unbemerkt, wenn eine bekannte Politikerin unter dem eigenen Dach Asylbewerber aufnimmt. Ist diese Politikerin zudem verantwortlich für das Asyldossier und für viele Menschen eine Projektionsfläche, hat ein solcher Fall Newswert erster Güte. Hätte Hochuli ihre temporären Mieter aus Schwarzafrika verschweigen wollen, wäre sie von den Medien an den Pranger gestellt worden. Aus diesem Grund wählten die Regierungsrätin und ihr Kommunikationschef wohlweislich die pro-aktive und dosierte Form der Information.
Hochuli vermische Privates und Berufliches, kritisieren verschiedene Politikerinnen. Das stimmt zweifellos, entspricht aber ihrem Naturell. Sie ist kein Gutmensch, sondern eine Pragmatikerin, die sich von ihren Überzeugungen leiten lässt. Im Kleinen des Privatlebens wie im etwas Grösseren der Politik will sie gestalten – auch wenn sie damit aneckt oder die eigene Partei vor den Kopf stösst wie im Frühling beim überzeugten Einstehen für die Aslygesetzrevision.
Die Aargauerin weiss um die symbolische Wirkung ihrer jüngsten Geste: Die Asylproblematik wird damit nicht gelöst, aber sie geht alle etwas an, und das erschöpft sich nicht beim Verfassen von gehässigen Online-Kommentaren.
Die heftige Kritik an Hochuli hat noch einen anderen Grund: Neid – viel Neid. Im letzten Jahr versuchten Heckenschützen und die SVP, sie aus dem Amt zu drängen – mit dem Schlagwort “Bettwil”. Der Coup misslang gründlich: Thomas Burgherr, Präsident und Sprengkandidat der Aargauer Volkspartei, hatte bei den Regierungsratswahlen keine Chance. Hochuli liess ihn mit 24’000 Stimmen Differenz hinter sich, und das mit einer 7,5-Prozent-Partei im Rücken. Burgherrs SVP kommt auf 32 Prozent.
Mark Balsiger
Printscreen: Aargauer Zeitung / Beitrag Tele M1
Weitere Beiträge aus der Sonntagspresse von heute:
– Asyl bei der Sozialchefin (NZZ am Sonntag)
– Auf dem Hof der Regierungsrätin entscheiden die Frauen (SonntagsZeitung)
– Mutter Courage und ihre Flüchtlingsfamilien (Schweiz am Sonntag)
– “Platzierungen bei Privaten – das ist der total falsche Weg”
(Schweiz am Sonntag)
Der Artikel aus dem SonntagsBlick ist online nicht verfügbar.
Kritik kommt auch von einer NGO. Gestern veröffentlichte “Solidarité sans frontières” einen offenen Brief an Regierungsrätin Susanne Hochuli. Auslöser ist das Verbot für Asylbewerber in Bremgarten (AG), die dortige Badi besuchen zu dürfen. Hochuli solle “gesunden Menschenverstand” zeigen, fordert die NGO:
http://bit.ly/1cCOSzj
In der Tat absurde Kritiken an Regierungsrätin Hochuli.
– 1) kann Sie ihre Wohnung vermieten, an wen sie will;
– 2) ist es ihr gutes Recht und sogar ihre Aufgabe als Politikerin, für ihre Anliegen und Ansichten auch öffentlich einzutreten.
Vielmehr zeugt es von Mut, dass sie über ihre Ansichten zur Asylpolitik nicht nur spricht, sondern auch persönlich danach lebt. Das verleiht ihr eine besondere Glaubwürdigkeit. Es wäre zu wünschen, dass sich mehr PolitikerInnen an dieser Haltung ein Beispiel nehmen.