Die Irrtümer der politischen Mitte

Publiziert am 09. Mai 2010

Dank einer Selects-Studie wissen wir, dass 40 bis 50 Prozent der Schweizer Stimmberechtigen sich zur politischen Mitte zählen. Addiert man die Wähleranteile der Mitteparteien, wird allerdings eine markante Differenz erkennbar: CVP (Nationalratswahlen 2007: 14,5%), FDP (15,8%) und BDP (2007 noch nicht existent, geschätzt: 2 bis 3%) erreichen zusammen einen Wähleranteil von etwa 33 Prozent.

CVP und FDP gewinnen seit Jahrzehnten die meisten Abstimmungen an der Urne und im eidgenössischen Parlament. Die Erfolgsquoten liegen zwischen 70 und rund 90 Prozent. Keine anderen Parteien sind auch nur annäherend so erfolgreich. Tatsache ist aber, dass CVP und FDP seit 1983 elektoral stetig an Terrain einbüssen:

– CVP:  1979:  21,3%, 2007: 14,5% = minus 6,8%
(Zur Präzision: 2007 konnte sich die CVP erstmals wieder stabilisieren und gewann 0,2% hinzu)
– FDP:  1979: 24,0%, 2007: 15,8% = minus 8,2%
(Sieben Mal in Folge Wählerprozente eingebüsst)

Gegen diese Entwicklung – bei Abstimmungen Siegerparteien, bei Wahlen stets auf der Verliererstrasse – fanden CVP und FDP bis heute kein Rezept. Schuld seien etwa die Medien, die lieber den lärmenden Polparteien SP und SVP vermehrt Beachtung schenkten, wird seit langem moniert.

Wie die “SonntagsZeitung” heute berichtet, fanden in den letzten Wochen mehrere Treffen der Parteispitzen von CVP, FDP und BDP statt. Ziel ist eine “liberale Allianz”, die mit einer engeren Zusammenarbeit und 2011 mit einer gemeinsamen Wahlplattform sowie Listenverbindungen in allen Kantonen aufwarten soll. Zudem will man so die vier Bundesratssitze der Mitteparteien sichern.

Beginnen wir bei Letzerem: Gemeinsam erreichen die Fraktionen von CVP/EVP/glp, FDP und BDP derzeit 104  Sitze (Nach den Wahlen 2011 werden es vermutlich weniger sein, wenn einerseits glp – derzeit 4 Sitze – und die EVP – im Moment 2 – eine eigene Fraktion bilden, andererseits weitere Verluste Tatsache werden). Für die sichere Wahl eines neuen Bundesrats (Nachfolge von Hans-Rudolf Merz) oder der Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf bräuchte es aber mindestens 124 Stimmen. Da müsste also noch einiges an Dynamik und Sukkurs anderer Parteien aufkommen, um diese Sitze zu sichern.

Ein Pakt der Macht nimmt mit dem, was die Sonntagspresse verbreitet, also kaum Gestalt an. Im Weiteren fehlt mir der Glaube, dass die Mitglieder von drei Parteien im entscheidenden Moment geschlossen stimmen. Vielmehr dürfte es einige Abweichler geben, die der SVP näher stehen als dieser Allianz. Schliesslich wäre dieses Vorgehen eine Absage an die arithemtische Konkordanz, die in der Schweiz seit 1959 Gültigkeit hat. Die SVP als klar stärkste Partei hätte nach diesem ungeschriebenen Gesetz vom Dezember 2011 an wieder Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat.

Regelmässige Absprachen unter Parteien sind nichts Neues unter der Sonne.  Sie erhielten dann eine neue Qualität, wenn Eckpunkte in einzelnen Politikfeldern verbindlich festgelegt und eingehalten würden. So weit wird es kaum kommen, und falls doch, nützten klar Vereinbarungen wenig: das politische System der Schweiz kennt keinen Fraktionszwang. Listenverbindungen wiederum haben – auch unter bürgerlichen Parteien – seit Jahrzehnten Tradition.

Was bleibt wäre also eine gemeinsame Wahlplattform. Gerade im Wahlkampf ist es für Parteien evident, die Differenzen und Schwerpunkte zu betonen. Die Spitzenpolitiker von CVP, FDP und BDP begingen einen gravierenden Fehler, wenn sie ihre Parteien nun näher zusammenrücken liessen. Es entstünde eine breiige Masse in der Mitte, die auf den Durchschnittswähler wenig Anziehungskraft vermittelte.

Für den Moment scheint es, dass in der politischen Mitte Irrtümer Konjunktur haben. Anderes wäre vonnöten:

– von Fall zu Fall eine verlässliche Zusammenarbeit im realpolitischen Alltag (notabene ohne ebendiese Partner regelmässig in der Öffentlichkeit anzuschwärzen)
– Positionen, die Bestand haben und nicht laufend korrigiert oder gar über den Haufen geworfen werden
– für jede Partei separat: ein klares eigenständiges Profil
– für jede Partei separat. ein komplett eigenständiger Wahlkampf

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