Die Juso und das Plakat: “Bloody beginners” erweisen SP einen Bärendienst
Publiziert am 20. Oktober 2009Provokationen gehören zum politischen Geschäft. Provokative Plakatsujets sind nichts Neues unter der Sonne. In den 1920er und vor allem den 1930er-Jahren wurden so die Gegner heftig diffamiert. Anfang der 1990er-Jahre wurde dieser alte Stil wieder entdeckt und “salonfähig” gemacht. Von SVP-Werber Hans-Rudolf Abächerli.
Seit Abächerlis Messerstecher-Sujet anno 1993 sind wir uns einiges gewohnt. Nebst den Kreationen von ihm und seinem Nachfolger entstanden praktisch immer Plagiate. Unlängst wieder bei der Minarett-Verbots-Initiative. Es gab aber auch immer wieder Versuche von anderen politischen Lagern, ebenfalls auf Provokationen zu setzen. Besonders aktiv in diesem Bereich der Politwerbung sind die Juso (Jungsozialisten). Ihr neuster Anlauf:
Der Versuch der Juso, für die Abstimmung über die Kriegsmaterial-Initiative von Ende November im grossen Stil mediale Aufmerksamkeit zu generieren, wird kläglich scheitern. Eine lange Debatte im redaktionellen Teil gibt das nicht, und schon gar keine separate “Arena”. Dafür fehlt dem Plakat schlicht der Nährboden, es verpufft in der Oeffentlichkeit nach spätestens 72 Stunden. Ganz im Gegensatz zum Sujet der Minarettverbots-Initiative; dafür legte Nationalrat James Schwarzenbach mit seiner ersten Ueberfremdungsinitiative vor 40 Jahren die Basis. Sein Assistent hiess übrigens Ulrich Schlüer, heute der geistige Vater der Minarett-Initiative.
Was das Plakatsujet auslösen wird:
– Gehässige Leserbriefe von SP-Mitgliedern
– Es wird Ausstritte aus der SP geben
– Juso-Chef Cedric Wermuth und anderen Mitgliedern der SP-Parteispitze wird das Sujet um die Ohren geschlagen – von den eigenen Leuten. Die SP befasst sich also wieder einmal mit sich selbst.
Statt mit programmatischer Arbeit und glaubwürdig zu kämpfen, musste offenbar ein solches Sujet her. Es ist nicht bloss primitiv, es ist dumpf und dumm. Zudem ist es handwerklich schlecht gemacht. Die “Masterminds”, die dahinterstecken, entpuppen sich als “bloody beginners”, als blutige Anfänger in Sachen Kampagnenarbeit. Sie erweisen der SP einen Bärendienst.
So gewinnt man keine Abstimmung, man gewinnt auch keine Wähleranteile hinzu, das Image der Mutterpartei leidet, die Politverdrossenheit steigt.
Cedric Wermuth ist rhetorisch talentiert, ein begabter Debattierer und Provokateur und deshalb bei den Medien gefragt. Womöglich kriegt seine Karriere mit dem jüngsten Juso-Plakat einen Dämpfer, möchte er an diesem Wochenende doch in das Stadtparlament Badens gewählt werden. Das dürfte zu Streichaktionen auf der SP-Liste führen.
Mark Balsiger
Habe ich zu schnell gelesen oder enthält der Post kein einziges Argument, um die dargelegte Position zu stützen? Es wird bewertet und behauptet, aber sicher keine Überzeugungsarbeit geleistet. Mir ist das zu plakativ.
Dabei hatte es mit dem Panzer aus Käse und dem Slogan «Wir haben besseres zu exportieren» so gut angefangen: Originell, kreativ, witzig. Ein Hingucker, der zum Nachdenken anregen kann.
Es wäre ein flotter Zug und auch ein Zeichen an die Minarett-Initianten, das Sujet zurückzuziehen und sich bei BR Leuthard zu entschuldigen.
@ hoselose
Braucht das plakative Bild oben noch Argumente?
Das waren wohl die selben Dilettanten, die schon dieses Plakat – siehe http://blog.jacomet.ch/?p=421 – verbrochen haben. Im SP-Blog wunderten sich damals die BetreuerInnen allen Ernstes, warum über Form statt Inhalt debattiert wird. Schade, wenn sowas 2009 immer noch passiert. “Unprofessionell” ist für so einen Fauxpas ein glatter Euphemismus, auch wenn ich in der Sache genau der Ansicht bin wie die Urheber des Plakates.
Cedric Wermuth hats geschafft: Er wurde gestern in das Parlament der Stadt Baden gewählt. Mit dem drittbesten Resultat auf der SP-Liste. Die Streichaktion, die ich vermutete, blieb also aus.
Die Wahl durch das Stimmvolk ist für Wermuths weitere Laufbahn wichtig, bloss parteiintern aufwärts zu klettern, reicht irgendeinmal nicht mehr.
Vor zwei Jahren war Wermuth Nationalratskandidat, im letzten Frühjahr schaffte er den Sprung in den Grossen Rat (Kantonsparlament) nicht, was viele überraschte. Jetzt steigt er ein, wo die allermeisten Politisierenden einmal beginnen: auf kommunaler Ebene.
Cedric Wermuth wurde nicht nur nicht gestrichen. Er erhielt überdurchschnittliche Unterstützung aus verschiedenen Lagern: Bei den eigenen Wählern erhielt er am viertmeisten Stimmen. Und auch bei den anderen Parteien holte er vergleichsweise viele Panaschierstimmen: Von den «Team Baden»-Wählern erhielt kein anderer SP-Kandidat so viele Stimmen wie Cédric. Bei der FDP war er der immerhin noch der viertpopulärste SP-Kandidat, bei der SVP lag er auf Rang fünf. Und selbst bei der CVP-Wählerschaft kam er unter den SP-Kandidaten auf Rang 6.
Das ist bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass er auf dem Listenplatz 28 startete. Und wohl ein Zeichen dafür, dass die Empörung über das Plakat längst nicht so gross war, wie uns eine Handvoll Journalisten und Blogger weismachen wollen.
(Panaschierstatistik als PDF)
Am Parteitag der CVP von heute brauchte Präsident Christophe Darbellay markige Worte. Cedric Wermuth sei ein “Sektenpräsident”.
Der ganze Artikel:
http://bit.ly/4ngjyr
«Sektenpräsident» ist ein reichlich seltsames Schimpfwort aus dem Munde eines Sprechers einer mit der Kirche verbandelten Partei…
Aber inhaltliche Kongruenz scheint Darbellays Stärke ohnehin nicht zu sein. Gleichzeitig «green jobs» einzufordern und die Kriegsindustrie zu unterstützen geht irgendwie schlecht auf.
‘@ Andreas Kyriacou
Sie schreiben von einer “Handvoll Journalisten und Blogger”, die sich über das Juso-Plakat empörten.
Ich erinnere mich an Hunderte von Kommentaren in Foren und Blogs. Eine grösse Relevanz hat der Umstand, dass selbst Juso-intern eine steife Bise aufkam. Vor Wochenfrist forderte die Juso-Sektion Neuenburg wegen des Sujets den Rücktritt der Juso-Parteileitung.
Der Juso sei die interne Debatte gegönnt. Der Neuenburger Antrag hatte meines Wissens übrigens mindestens so sehr mit der Forderung nach einer klaren Trennung von Staat und Kirche zu tun – amüsant, dass dies ausgerechnet für eine Sektion ein Unding ist, deren Kanton dies längst verwirklicht hat.
Womöglich haben sich auf 20min tatsächlich Hunderte Empörter finden lassen. Das ist dort ja auch Kult.
Mich jedenfalls empören die illegalen Waffenlieferungen und der Leuthardsche Schwachfug «Saudiarabien hat eine demokratisch gewählte Regierung», «der Kaschmirkonflikt ist ein innerstaatlicher Konflikt zwischen Indien und Pakistan» weitaus mehr als ein polemisches Plakat.
‘@ Andreas Kyriacou
Das dachte ich mir aufgrund Ihrer bisherigen Kommentare. Es ist parteiübergreifend stets dasselbe: Man ist sehr, seeeehr milde gestimmt, wenn die eigenen Leute irgendeinen Mist bauen. Wenn es aber der politische Gegner tut, wird kräftig auf die Tube gedrückt.
Ich finde es schade, wenn man mit dummen Provokationen Aufmerksamkeit generieren will. Langfristig zahlt sich das nicht aus.
Auch wenn ich’s hier nicht kommentiert habe: Ich habe mich aber anderweitig gegen ein Verbot des SVP-Plakates geäussert. Wenn schon hätte man die Minarettinitiative selbst für rechtswidrig einstufen sollen. Die Debatte beim Plakat abwürgen zu wollen halte ich für ein unsinniges Unterfangen.
Ich halte die Stimmberechtigten für durchaus in der Lage, selbst entscheiden zu können, ob sie Form und Inhalt einer Botschaft getrennt beurteilen wollen. Dafür braucht’s weder moralinsaure Stadträte noch Feuilletonisten. Auch wenn die Vertreter beide Berufsgruppen selbstredend eine persönliche Meinung haben dürfen und diese auch mitteilen können sollen.
Nachtrag: Es würde mich freuen, wenn all die Schnellempörten angesichts der – excuse my French – Verarschung durch das seco ebenso entsetzt aufschrien. Was sich das Departement Leuthard leistet, ist skandalös. Und dass sich die Wirtschaftsministerin nicht zu blöd ist, die saudische Regierung verharmlosend als «vom Volk gewählt» zu bezeichnen finde ich den weitaus grösseren Skandal als ein grafisch lausig umgesetztes Plakat.
Aber das Plakat hat für die Freunde des Kriegsgeschäftes natürlich einen Vorteil: Man muss nun nicht mehr über diese eigentlichen Skandale sprechen.
‘@ Andreas
Die JUSO hat die Diskussion über die Form – statt den Inhalt – selber provoziert…
Und sie hat dabei eine Form gewählt, welche zu einer persönlichen Attacke gegen BR Leuthard verkommt. Das halte ich für die Sache an sich ungeschickt, denn es geht bei dieser Vorlage nicht um die Person Doris Leuthard, sondern um die schweizerische Gesetzgebung und deren Umsetzungpraxis, welche eben solche Exporte zulässt. Es ist nicht von Belang, ob BR Leuthard schliesslich die politische Verantwortung für die Tätigkeiten des SECO zu tragen hat.
Statt einen Kreuzzug gegen eine Person zu führen, welche bei der Bevölkerung allgemein populär ankommt (ob zurecht oder nicht ist eine andere Frage) hätte man bildlich wohl besser dargestellt, dass wir alle Blut an den Händen haben, wenn wir die Vorlage am 29. November bachab schicken.
Ich kann Titus Sprenger nur beipflichten. Und wie naiv muss man denn sein, wenn man weiss, dass man eine “dumme Provokation” (Mark Balsiger) begeht – und sich dann wiederholtermassen wundert, dass man über Form statt Inhalt spricht? Bei der SVP wundert mich das nicht weiter – aber wenn eine Partei, die mir Nahe steht, sowas tut, überlege ich mir bei den nächsten Wahlen kaum mehr, ob ich nicht andere VertreterInnen aus dem linken Spektrum wähle; ich tu’s einfach.
‘@Titus
Sorry, das ist mir etwas zu billig. Es geht sehr wohl um Doris Leuthard. Sie ist Departementschefin und es ist ihre Führungsaufgabe, dafür zu sorgen, dass im seco die Gesetze eingehalten werden. Doch dort werden – so die NZZ am Sonntag von heute – illegale Waffenlieferungen hemmungslos u.a. wie folgt begründet: “Zudem gehe es in diesen Fällen meist um Systeme, «mit denen keine Menschenrechtsverletzungen begangen werden».”
Die Desinformation bezüglich Lieferungen nach Pakistan und Saudiarabien hatte System: “Dass diese Sonderregelungen der Öffentlichkeit vorenthalten wurden, erklärt das Seco mit der Vorgabe – mitunter aus Rücksicht auf die Vertragspartner –, die Kommunikation in diesem Bereich aufs Wesentliche zu beschränken. Dem Bundesrat hat laut Baldegger vor allem daran gelegen, «die grundsätzliche Praxisänderung, also die Nichtgenehmigung neuer Gesuche für Exporte nach Ägypten, Saudiarabien und Pakistan» mitzuteilen.” – Das seco und der Bundesrat haben die Bevölkerung also willentlich an der Nase herumgeführt.
Und wenn Leuthard den Kaschmirkonflikt als «innerstaatlichen Konflikt» zwischen Indien und Pakistan, der «seit Jahren kein Problem» darstelle bezeichnet oder behauptet, die saudische Erbmonarchie sei «vom Volk gewählt», zeigt sie entweder unglaubliches Unvermögen oder grenzenlose Gleichgültigkeit. Beides finde ich weitaus unerträglicher als das Plakat.
Ich weiss nicht, was geschmackloser ist, das unbeholfene Juso-Inserat oder Doris Leuthards Unschuldslächeln, wenn sie behauptet, es sei bei den Rüstungsexporten alles in Butter.
‘@ Andreas
Diesen Artikel hatte ich noch nicht gesehen und stellt – einmal mehr – die Informationspolitik des Bundes in Frage. Wenn sich somit BR Merz darüber beklagt, dass er sich von den Medien «verraten» fühle, dann sind solche manipulativen Mitteilungen sicher nicht ganz unschuldig am Gebahren der Medien.
Ungeachtet dessen bin ich jedoch der Ansicht, dass das SECO die Gesetze einhält – nur dass diese eben derartige Hintertürchen offen lässt, welche dann auch «hemmungslos» ausgenutzt werden – mit dem Segen des bürgerlich geprägten Bundesrats. Solche Praktiken sind ja mitunter ein Grund für diese Initiative.
Aber eben, der Gesamtbundesrat verabschiedet solche Anträge, weshalb – wenn schon – alle so wie oben BR Leuthard dargestellt werden müssten.
Was das Plakat anbelangt, bleibe ich der Meinung, dass dieses ungeschickt ist. Die wenigsten der Stimmenden wissen überhaupt, was BR Leuthard mit den Waffenexporten zu tun hat und wie sowie nach welchen Regeln das mit der Ausfuhr von Kriegsmaterialien und anderen Gütern abläuft…
“Tages-Anzeiger” und “Bund” bringen heute ein ganzseitiges Interview mit Cédric Wermuth. Er ist wieder dort, wo die Sozialdemokraten in den 1920er Jahren schon einmal waren: bei der Hoffnung, den Kapitalismus zu überwinden.
http://bit.ly/20L24f
‘@Titus
Inzwischen hat sich wohl herumgesprochen, dass Doris Leuthard ganz konkret die Hauptverantwortung für unhaltbare Bewilligungen trägt und dass sie in einer seltsamen Parallelwelt lebt, in der Saudiarabien eine Demokratie, Indien und Pakistan friedlich vereint und Munitionsgeschosse «Ersatzteile» sind.
Als ob es noch eines weiteren Fallbeispiels für das Peter-Prinzip bedurft hätte…
[…] Kultur in unserem Land ist vor allem die SVP verantwortlich. Wenn aber die politische Linke zu denselben Methoden greift – im Diskurs wie in der Werbung – ist das genauso dumpf. Und hilflos […]
[…] irgendwie am Desktop herumgebastelt. Dieses Mal war ein Profi am Werk. Das kontrastiert mit dem werberischen Schrott, den die Juso in früheren Jahren produzierte. Damals galt offensichtlich die Losung: provozieren […]
[…] – zu spielen. Einmal wurde Bundesrätin Doris Leuthard wegen der Kriegsmaterial-Initiative mit blutigen Händen abgebildet, ein anderes Mal die Ospels, Grübels und Vasellas als halbnackte Abzocker. Das waren […]