Die Kandidatenschwemme verwässert das Profil der Parteien

Publiziert am 06. März 2014

Die meisten Parteien setzen bei Parlamentswahlen auf eine grosse Anzahl Kandidatinnen und Kandidaten. Die Grossratswahlen im Kanton Bern von Ende März sind ein exemplarisches Beispiel dafür. Rund 1900 Personen stellen sich zur Verfügung. Auf dem Papier. Im Wahlkampf sieht und spürt man allerdings viele von ihnen nicht. Die Kandidatenschwemme ist ein Unding.

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Ich staunte nicht schlecht: Kurz nach sechs Uhr fingen mich letzte Woche beim Eingang des Berner Hallenbads “Wyler”, wo ich jeden Morgen trainiere, zwei Personen ab. Eingepackt in dicke Jacken, Halstücher und Kappen, trotzten sie dem garstigen Wetter und sprachen mich an. Sie sammelten Unterschriften für eine Volksinitiative, die ein zusätzliches Hallenbad fordere, beschieden mir die junge Frau und der Mann im mittleren Alter. Beide kandidieren für den Grossen Rat. „Potzblitz, das ist Einsatz!“, dachte ich und unterschrieb. Eine Anekdote aus dem Berner Wahlkampf 2014.

Es gibt sie, die Kandidatinnen und Kandidaten, die unentwegt für ihre Partei werben, in Fronarbeit und mit viel Aufwand Wahlkampfkonzepte entwickeln, Leserbriefe schreiben, Podien organisieren, auf Social-Media-Kanälen Diskussionen anzetteln oder stundenlang in den Quartieren unterwegs sind, um Flugblätter in alle Briefkastenschlitze zu stecken. Sie tun dies bei Wind und Wetter, und oftmals auch, obwohl sie selber keine Wahlchancen haben. Vor diesen Leuten ziehe ich meinen Hut, sie sind die wahren Heldinnen und Helden. Allerdings gehören sie zu einer Minorität.

Rund 1900 Personen kandidieren am 30. März auf nicht weniger als 127 verschiedenen Listen für den Grossen Rat. Für jeden der 160 Sitze gibt es also mehr als zehn Bewerberinnen und Bewerber. In den grössten Wahlkreisen treten zwischen 220 und 350 Kandierende an. Aufgrund solcher Zahlen könnte man den Eindruck gewinnen, dass es einen wahren Sturm auf das Berner Rathaus gibt. Weit gefehlt: Bei vielen erschöpft sich der „Wahlkampf“ mit der Bereitschaft, den eigenen Namen zur Verfügung zu stellen. Ansonsten machen diese Leute nicht mit, wie mir Funktionäre verschiedener Parteien zugetragen haben: Weder an internen Veranstaltungen, noch auf Social Media, geschweige denn bei Standaktionen auf der Strasse. Zudem sind diesen Kandidaten die Positionen der eigenen Partei zu wenig bekannt. Für die engagierten Wahlkampfleiter in den Regionen ist all das demotivierend.

Grossratswahlen sind in erster Linie Parteiwahlen. Für eine Partei ist es evident, dass möglichst viele Kandidierende aktiv mitwirken und so die Chancen auf ein gutes Abschneiden der eigenen Liste erhöhen.

Die Parteien setzen auf viele Köder, um mehr Stimmen an Land zu bringen. Entsprechend sind Unterstützerlisten en vogue. Sie bestehen beispielsweise aus Senioren, KMU-Vertretern oder jungen Parteimitgliedern. Bei Lichte betrachtet haben die Unterstützerlisten nur einen Zweck: Sie sollen zusätzliche Stimmen an die mit ihnen verbundenen Hauptlisten abliefern. Ein Beispiel: Vor vier Jahren holte im Seeland eine solche Unterstützerliste einen Wähleranteil von 0,1 Prozent bzw. 722 Stimmen. Nicht zu vergessen: Die Kandidatenschwemme fordert auch die Wählerinnen, die nächste Woche mit einem dicken Couvert mit Werbematerial eingedeckt werden. So stehen in der Stadt Bern 356 Kandidierende zur Verfügung – bei 20 Sitzen. Die Wahl wird zur Qual.

Natürlich können genau solche „Nullkommaöppisprozäntli“ den Ausschlag für ein Restmandat geben, das der Hauptliste zufällt. Dass der Wahlkampf aber mit unmotivierten Kandidierenden und vielen Unterstützerlisten verwässert wird, schleckt keine Geiss weg. Ein solches Je-mu-ka (Jeder muss kandidieren) schwächt das Profil der Parteien.


Mark Balsiger

Foto: mallorca_services_es

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