Die Mitte darbt, FDP und Grüne ziehen davon

Publiziert am 19. März 2018

Bald einmal zweieinhalb Jahre sind seit den Nationalratswahlen 2015 verstrichen. Wo stehen die Parteien, nachdem seither 15 kantonalen Wahlen stattgefunden haben? Für eine Zwischenbilanz beantwortete ich «20Minuten»-Redaktor Sandro Büchler ein paar Fragen. Das Interview in seiner ganzen Länge wird hier wiedergegeben:

15 Kantone haben seit dem 15. Oktober 2015 ihre Parlamente neu bestellt. Was hat Sie überrascht?

Mark Balsiger: Die GLP. Sie hat 2015 einen doppelten Kinnhacken erhalten: Zuerst schiffte ihre erste Volksinitiative komplett ab, ein halbes Jahr später verlor sie sieben Sitze. Doch sie ist wieder da. Inzwischen holte sie auch in Städten wie St. Gallen, Schaffhausen, Luzern und Zürich je einen Sitz in der Regierung. Dazu hat die Partei mit dem «GLP Lab», einem Politlabor, 2016 eine Innovation geschaffen, die junge Leute anzieht und neue Ideen anstösst. Das war clever!

Auf der linken Seite hat die SP, aber vor allem die Grünen Sitze gewonnen. Mit welchen Rezepten haben sie gepunktet?

Bei den Nationalratswahlen 2015 kam es zu einem Rechtsrutsch (SVP: + 2,6%, FDP: +1,1%). Das hat die linke Seite geweckt, und bei den kantonalen Wahlen beobachten wir seither ein Korrektiv. Davon profitieren vor allem die Grünen, die sich als Gegengewicht der Rechtsbürgerlichen positioniert haben. Die SP wiederum betreibt einen professionellen Wahlkampf, Stichwort: Telefonmarketing. Das zahlt sich aus.

Die CVP hat massiv Sitzverluste zu verzeichnen: Was hat diese Krise ausgelöst?

Der Verlust an Wähleranteilen und Sitzen ist seit mehr als 30 Jahren im Gang. Der katholische Glauben ist kein Wahlkriterium mehr. Damit hat die CVP die wichtigste Bindung zum Volk verloren. Deshalb versucht sie es mit einem neuen Kurs, Stichwort Wertedebatte.

Wo steht die BDP zurzeit?

Die BDP zeigt in einigen Kantonen Auflösungserscheinungen, in St. Gallen und Freiburg ist sie beispielsweise aus dem Parlament geflogen. Ihr fehlt im Gegensatz zur GLP das Alleinstellungsmerkmal, und sie geht im lauten Konzert der anderen Player unter. Die Abspaltung von der SVP und die Hexenjagd im Jahr 2008 auf die damalige Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf liegen weit zurück. Davon kann die BDP nicht mehr profitieren.

Die FDP scheint auf Kurs. Was hat zu diesen Sitzgewinnen beigetragen?

Nachdem sie auf nationaler Ebene seit 1983 immer nur verloren hat, schaffte sie 2015 den Turnaround, weil das Pendel Richtung Wirtschaftsthemen ausschlug. Das ist die Domäne der FDP, und das gab ihr Schwung und Selbstbewusstsein. Sie tritt seither anders auf und hat wieder den Anspruch, zu führen. Das macht sie für Mittewähler wieder attraktiv.

2015 war die SVP zusammen mit der FDP Siegerin bei den eidgenössischen Wahlen. Jetzt stagniert die SVP. Was ist passiert?

Sie scheiterte mit ihrem Prestigeobjekt, der Durchsetzungsinitiative – ein arger Dämpfer. Zudem reisst ihr Spitzenpersonal nicht mit: Bundesrat Guy Parmelin bleibt blass, Parteipräsident Albert Rösti geht die Volkstümlichkeit eines Toni Brunner ab, Christoph Blocher wird nicht mehr jünger.

Welche Aussagekraft haben die kantonalen Ergebnisse für die nationalen Wahlen 2019?

Erst die Wahlen in Baselland und Zürich im nächsten Frühling geben klare Anhaltspunkte über den Formstand der Parteien. Weil Zürich die Medienhauptstadt des Landes ist und dieser Kanton der mit Abstand einwohnerstärkste, haben die Zürcher Wahlen Einfluss auf die Nationalratswahlen ein halbes Jahr später. In Zürich gilt darum für jede Partei: Verlieren verboten!

Wird der links-grüne Höhenflug weitergehen?

Das links-grüne Lager erreicht jeweils 25 bis 28 Wählerprozente. Standard ist: Wenn die SP zulegt, verlieren die Grünen – und umgekehrt. Die beiden Parteien müssten sich absprechen, stärker differenzieren und so zusammen ein grösseres Wählerpotential erreichen. Eine der beiden Parteien sollte in die politische Mitte ausstrahlen.

Hat die CVP die Talsohle überschritten und geht es wieder aufwärts?

Viele Beobachter sagen, die Neupositionierung durch Präsidenten Gerhard Pfister sei gescheitert. Doch dieses Fazit kommt zu früh, man kann es nach den nationalen Wahlen 2019 ziehen. Eine bösartige Auslegung wäre, dass die CVP ihre historische Aufgabe erfüllt hat. Der Kulturkampf ist überwunden, seit den Siebzigerjahren gibt es mehr Katholiken als Protestanten. In ihren (ehemaligen) Stammlanden wie der Zentralschweiz oder in St. Gallen ist die SVP inzwischen die stärkere Kraft. Das ist bitter.

Kann die FDP ihren aktuellen Schwung mitnehmen?

Ein Rücktritt von Bundesrat Johann Schneider-Ammann innerhalb der nächsten 12 Monate wäre für die Partei ideal. Die Nachfolgeregelung sorgte für viel mediale Beachtung und Dynamik.

Was kann die BDP tun, damit sie nicht weiter verschwindet?

Als junge, bürgerliche Partei müsste sie profilierten Kandidaten Karrieremöglichkeiten eröffnen, um attraktiv zu bleiben. Das Augenmerk gilt nun Bern, einer ihren drei Hochburgen, wo am 25. März die nächsten kantonalen Wahlen stattfinden. Ihr Abschneiden hat Signalwirkung. Parteipräsident Martin Landolt spricht von einem «Heimspiel». Auch wer kein Fussballexperte ist, weiss: Bei Heimspielen sollte man gewinnen oder wenigstens Remis spielen. Ich bin gespannt, ob das der BDP am nächsten Sonntag gelingt.

Wie kann sich die SVP bis 2019 in Szene setzen?

Im Herbst dieses Jahres kommt ihre Selbstbestimmungsinitiative («Fremde Richter») vors Volk. Dann findet sie sich in ihrer Lieblingsposition wieder: Alle anderen gegen die SVP. Verliert sie, gehen die anderen Parteien gestärkt ins eidgenössische Wahljahr.

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