“Die SP hat zu lange die Augen vor diesem Problem verschlossen”
Publiziert am 10. Juli 2008GAST-BEITRAG
Von Thomas Christen*
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Die interne Mitgliederumfrage der SP nach der Wahlniederlage war deutlich: 70 Prozent der knapp 4000 Teilnehmenden forderten die Parteileitung auf, das Thema öffentliche Sicherheit stärker als bisher zu betonen. Bei keinem anderen Thema wurde so häufig ein Nachholbedarf identifiziert. Die Umfrage bestätigte damit, was in Zuschriften, Kommentaren, Leserbriefen immer wieder zum Ausdruck kommt. Die SP hat zu lange die Augen vor einem Problem verschlossen, das die Leute beschäftigt. Und die SP hat mit dem Hinweis auf Kriminalitätsstatistiken die Bedeutung des subjektiven Sicherheitsgefühls vieler negiert.
Man kann jetzt einwenden, dass Mitgliederumfragen und Sorgenbarometer für eine Partei nicht die alleinige Grundlage für die Ausrichtung ihrer Politik sein dürfen. Damit mag man recht haben. Aber auch die Frage nach den Gründen für das subjektive Gefühl der Unsicherheit muss die Linke dazu führen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Es braucht einen starken Staat
Globalisierung, Sparpolitik und neoliberaler Abbau haben in den letzten Jahren dazu geführt, dass sich die Menschen nicht mehr sicher fühlen. Und darum braucht es einen starken Staat. In der Sozialpolitik, um den Menschen Perspektiven zu schaffen, sie zu befähigen, sich den sich ändernden Herausforderungen zu stellen. Und um die grossen Lebensrisiken wie Alter, Krankheit und Arbeitslosigkeit abzusichern. Es braucht aber auch einen starken Staat, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Denn gerade in diesem Bereich zeitigt eine weitere Schwächung des Staates verheerende Folgen.
Nicht nur bei der Privatisierung des Gesundheitsbereichs bietet der Blick nach Amerika negativen Anschauungsunterricht. Was bedeutet es für einen Staat, dass es in den USA schon heute dreimal mehr Angestellte privater Sicherheitsfirmen gibt als Polizisten? Wenn die Tendenz steigend ist – und das ist sie – wo erreicht ein Staat den Punkt, an dem Sicherheit vor Verbrechen zur Ware wird? Zu einer Ware, die sich, wie andere Waren auch, einige leisten können, viele aber nicht? Und was bedeutet es für einen Staat, wenn sich die privaten Sicherheitsfirmen vorab gestützt auf Lohndumping durchsetzen und so im Bereich der Sicherheit unqualifiziertes Personal zu Hungerlöhnen arbeitet? Wird mit dem (neoliberalen) Rütteln am Gewaltmonopol nicht am Fundament des Staates gerüttelt?
Polizei ist Teil des Service Public und damit ein SP-Anliegen
Die öffentliche Polizei muss – wie die Schule oder der öffentliche Verkehr – für die ganze Bevölkerung da sein. Eine hoch qualifizierte, vielfältig zusammengesetzte und ausreichend entlöhnte Polizei ist Teil des Service Public und damit ein sozialdemokratisches Anliegen. Öffentliche Sicherheit bedeutet neben den präventiven Massnahmen deshalb auch die Stärkung der einer demokratischen Kontrolle unterstellten öffentlichen Polizei – auf Kosten von mit Lohndumping am Markt auftretenden privaten Sicherheitsfirmen. Kurz: Polizisten, denen man vertrauen kann, weil sie vom Staat bezahlt werden und nicht von Privaten.
Selbstverständlich muss mit einer sozialdemokratischen Politik der öffentlichen Sicherheit auch die Forderung nach Wahrung der Freiheits- und Grundrechte einhergehen. Ein durch Naivität geprägtes blindes Vertrauen in den Staat wäre verheerend. Es braucht unabhängige politische Kontrolle, Ombudsstellen, gerichtliche Beschwerdemöglichkeiten und Transparenz. Forderungen, die gerade seit Bekanntwerden neuer Schnüffelskandale weiter an Aktualität gewonnen haben. Und Forderungen, für welche eine sich an Freiheit orientierende Sozialdemokratische Partei einstehen muss. Nur: Die öffentliche Sicherheit ist demokratischer und rechtsstaatlicher Kontrolle unterworfen. Private Sicherheitsfirmen wie Broncos und Securitas kaum.
Die SP tut also gut daran, sich die Thematik der öffentlichen Sicherheit anzunehmen. Und die Diskussion über konkrete Massnahmen zu führen. Das Thema von der sozialdemokratischen Traktandenliste zu streichen, ist weder dienlich noch sinnvoll.
* Thomas Christen ist Generalsekretär der SP Schweiz. Der Haupt- und die Zwischentitel wurden von der Redaktion, also dem wahlkampflblog gesetzt.
Foto Thomas Christen: www.sp-ps.ch
Die SP widmet sich nun also mit Verve der öffentlichen Sicherheit. Und Christen als Generalsekretär bleibt nichts anders, als dies der staunenden Öffentlichkeit zu erläutern. Was durchaus eloquent und konzis daherkommt, fällt bei näherer Betrachtung als Staub auf die Bruchstücke der Vergangenheit. Da man sich per Parteidekret bis anhin nicht geirrt haben kann, wird die eigene historische Ideologieverbissenheit kurzerhand als Diskrepanz zwischen Realität (Kriminalitätsstatistik) und Wahrnehmung (subjektives Gefühl der Unsicherheit) kleingeredet. Über die (subjektiven) Gründe dieses subjektiven Gefühls mag Herr Christen nicht einmal andeutungsweise spekulieren. Schliesslich ist die Tatsache, dass z.B. verurteilte Nicht-Schweizer gegenüber verurteilten Schweizern in Gefängissen überproportional vertreten sind, eine lächerliche Marginalie, welche eine (subjektiv) grosse Partei nicht weiter zu kümmern hat.
Wie jedes andere Thema, welches die Menschen bewegt, muss auch die öffentliche Sicherheit ein Kernthema der SP sein. Ich stimme dir, Thomas, absolut zu. Jede Person wünscht sich eine möglichst hohe Sicherheit. Eine hohe Sicherheit, die aber die persönliche Freiheit möglichst wenig einschränkt. Sich wohl zu fühlen birgt mindestens eine Komponente der Sicherheit in sich. Diese zu gewährleisten verlangt wohl diejenigen Schritte, welche die SP nun in einem Grundsatzpapier anspricht.
Zum innerparteilichen “Streit”: Endlich wird wieder einmal über Positionen diskutiert. Endlich werden die Themen und Ziele der SP debattiert. Endlich ist man mit politischen Positionen in der Presse. Ist doch super. Füllt das Sommerloch und bringt uns als Partei Aufmerksamkeit.
Nach der Wahlschlappe im Oktober 2007 wurde die Erneuerung der Partei und ein besseres Themensetting gefordert.
Man solle Probleme welche die Bevölkerung beschäftigen nicht mehr einfach so den Bürgerlichen – insbesondere der SVP – überlassen.
Jetzt hat die SP-Spitze mit dem Sicherheitspapier genau diese Forderung erfüllt und schon hagelt es Kritik aus den eigenen Reihen.
Haben da einige Mühe mit ihrem Erinnerungsvermögen?
Für mich steht fest: Die SP muss sich von den ewig gleichen Themen lösen. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist mit dem Sicherheitspapier getan.
Wenn die SP so weiter macht, wird sie bereits nächstes Jahr bei den kantonalen Wahlen zu den Siegern gehören.