Die Volksinitiative braucht ein Update
Publiziert am 13. Dezember 2024Wir sind stolz auf sie. Seit ihrer Einführung im Jahr 1891 konnte das Schweizer Stimmvolk 234 Mal über eine Volksinitiative befinden, im Durchschnitt also etwa zwei Mal pro Jahr. Sie brachten immer wieder lange, intensive, manchmal auch gehässige Debatten in die Stuben und Sääle. Das ist ein wichtiger Teil.
Diese Woche hat der Ständerat die ersten Weichen gestellt, damit Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden digital gesammelt werden können. Dieser Entscheid steht unter dem Eindruck des Skandals, der im September bekannt worden war. Kommerzielle Sammler hatten mutmasslich Tausende von Unterschriften gefälscht. Das ist Gift für das Vertrauen in die Demokratie.
Die Skepsis gegenüber dem digitalen Sammeln von Unterschriften ist weiterhin gross. Doch es geht nicht nur um Sicherheit und Datenschutz. Das Sammeln würde einfacher, was zu noch mehr Volksinitiativen führen kann. Unter den Strich wäre das positiv, wenn die Begehren echte Debatten anstossen und die Demokratie so revitalisiert wird. Die kritische Betrachtung: Volksinitiativen treiben das Parlament und das Volk vor sich hin, was zu Politik-Müdigkeit führt.
Zu Beginn war die Volksinitiative das Instrument der Opposition, also der SP und der Katholisch-Konservativen. Sie brachten regelmässig Grundsatzfragen aufs Tapet. In den Neunzigerjahren begann sich der Charakter der Volksinitiative zu verändern. Inzwischen ist sie oft ein Marketing-Vehikel, listig formuliert und emotional aufladbar. Es geht um Aufmerksamkeit, Spenden und Mitgliederwerbung. Zuweilen wird sie verwendet als Druckmittel oder Drohkulisse. Die Vordenker des modernen Bundesstaats würden sich im Grab umdrehen, wenn sie mitbekämen, was aus ihrer Volksinitiative geworden ist.
Ursprünglich brauchte es für das Zustandekommen 7,6 Prozent der Stimmberechtigten, inzwischen weniger als 2 Prozent. Diese Hürde ist tief – zu tief, finde ich. Doch die Diskussion darüber wollen die Akteure nicht führen, weil niemand als «Abbauer der Volksrechte» gebrandmarkt werden will. Vor zehn Jahren regte ich in einem Gastbeitrag in der «Handelszeitung» an, die Unterschriftenzahl moderat zu erhöhen. Anstelle der statischen Zahl 100‘000, die in der Bundesverfassung steht, würde man besser eine dynamische Zahl verwenden, zum Beispiel 2,5 Prozent. Bei 2,5 Prozent der Stimmberechtigten bräuchte es zurzeit 137‘000 gültige Unterschriften, bei 3 Prozent wären es 165‘000 Unterschriften. Die Schweiz mutierte deswegen nicht zur Plutokratie, es geht um ein pragmatisches Update.
Die Volksinitiative ist das wertvollste Instrument der Schweizer Politik. Wird es inflationär genutzt, verliert es einen Teil seines Wertes.
Ergänzend, zum Thema «Initiativenflut», eine Grafik von Swissinfo. Sie zeigt, dass im Jahr 2011 insgesamt 24 Volksinitiativen ergriffen wurden – bislang ein Rekordwert.
Foto: Stefan Lanz/20 Minuten