Die Zutaten für erfolgreiche Volksinitiativen

Publiziert am 09. März 2015

Sowohl die Familieninitiative der CVP wie die Energie- statt Mehrwertsteuer-Initiative der Grünliberalen erlitten gestern Schiffbruch. Etliche Medien sprechen von einem Debakel für diese Parteien. Damit wird der Blick frei auf das Instrument Volksinitiative, das seit geraumer Zeit vor allem als Wahlkampfvehikel zum Einsatz kommt.

Doch was braucht es, um an der Urne ein Ja zu einer Volksinitiative zu erringen? Diese Frage diskutierte ich heute Morgen mit Felix Schindler, Redaktor beim “Tages-Anzeiger”. Nach einer halben Stunde waren wir bei fünf Zutaten angelangt. Et voilà – sein integraler Artikel dazu:

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Derzeit sind 28 Initiativen hängig. Gibt es so etwas wie eine Garantie, dass eine scheitern wird? Oder positiv gefragt: Was ist das Geheimnis erfolgreicher Initiativen?

Erste Zutat: Emotionen

Stipendieninitiative und Erbschaftssteuerreform kommen demnächst vors Volk. 14 Initiativen sind bereits zustande gekommen und sind entweder beim Bundesrat oder beim Parlament hängig. Für die restlichen läuft derzeit die Sammelfrist. Eine Vorhersage, welche davon angenommen werden, will Politikberater Mark Balsiger nicht wagen. Dafür sieht er einen Nenner, den alle erfolgreichen Initiativen in den letzten 124 Jahren gemeinsam hatten. «Sie hatten ein enormes Potenzial, Emotionen auszulösen», sagt Balsiger. Sei es die Masseneinwanderungsinitiative (2014), die Minarettinitiative (2009) oder das Gentech-Moratorium (2005). Die Initiativen waren – selbst wenn sie in der Umsetzung kompliziert waren – mit einer einfachen Botschaft vermittelbar. Ein paar Sätze, die jeder versteht, eine Frage, die fast jeder intuitiv mit Ja beantwortet. So war es auch bei der ersten Initiative, die das Schweizer Stimmvolk angenommen hatte. Am 20. August 1893 hatte der Souverän über das Schächtverbot abgestimmt. Vier Monate später war es untersagt, Tiere ohne Betäubung durch einen Halsschnitt zu töten.

Zweite Zutat: Sündenböcke

In einigen Fällen erwuchs aus den Emotionen eine regelrechte Aufregung, etwa bei der Pädophileninitiative (2014), der Abzockerinitiative (2013) oder der Verwahrungsinitiative (2003). Balsiger nimmt an, dass das Empörungspotenzial dann besonders gross ist, wenn der Vorstoss einen Verantwortlichen für einen Missstand ins Visier nimmt – dieser Missetäter war bei der Abzockerinitiative bereits im Namen genannt, ebenso bei der Pädophileninitiative. Die Fokussierung auf Kinderschänder und Vergewaltiger verwandelte die Empörung gar in Wut – einen geeigneten Treiber für Kontroversen, Debatten und intensive Abstimmungskämpfe. Welche enorme Dynamik diese Themen auslösten, zeigt etwa die Tatsache, dass die Initiativen auch ohne die Hilfe von politischen Parteien erfolgreich waren.

Dritte Zutat: Glaubwürdige Initianten

Die Verwahrungsinitiative wurde von der Rheintalerin Anita Chaaban und ihrer Schwester lanciert, die sich aus einer persönlichen Betroffenheit engagierten (Chaabans Patentochter wurde entführt und vergewaltigt). Hinter der Abzockerinitiative steht der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder – der bis 2011 kein politisches Amt bekleidete. Damals war er einfach der Chef eines KMU mit rund 20 Angestellten, das in Neuhausen Zahnpflegeprodukte herstellt. Die Pädophileninitiative stammt aus der Küche des Vereins Marche Blanche, der mit der Verjährungsinitiative schon zuvor erfolgreich war. Diese Beispiele zeigen, dass jede Initiative einen Absender braucht, der als glaubwürdig wahrgenommen wird.

Vierte Zutat: Fleissige Unterschriftensammler

Diese Erfolge sind umso bemerkenswerter, wenn man die vierte zwingende Zutat einer erfolgreichen Initiative berücksichtigt: ein Heer von Sympathisanten, die tadellos organisiert sind und ohne Lohn in ihrer Freizeit Unterschriften sammeln. Deshalb ist die Unterstützung einer politischen Partei ein wichtiger Faktor für den Erfolg einer Initiative. In der Vergangenheit scheiterten bereits 109 Initiativprojekte an der Hürde von 100’000 Unterschriften, zuletzt die drei Initiativen der Autopartei: «Ja zu vernünftigen Tempolimiten», «Strassengelder gehören der Strasse» und «Freie Fahrt statt Mega-Staus». Der serbelnden Autopartei dürfte es nicht nur an der nötigen Glaubwürdigkeit gefehlt haben, sondern auch an Logistik, Manpower und Disziplin, um Woche für Woche 1400 Unterschriften zu sammeln, 18 Monate lang. Doch auch die FDP brachte für ihre Anti-Bürokratie-Initiative nicht genügend Unterschriften zusammen und musste das Projekt 2012 beerdigen.

Bei der Einführung der Initiative 1891 brauchte eine Volksinitiative noch 50’000 Unterschriften, das waren damals knapp 8 Prozent der Stimmberechtigten. Heute braucht es nur noch rund 1,5 Prozent der Stimmberechtigten, um eine Initiative an die Urne zu bringen. Balsiger sagt, mindestens zwei Drittel der Unterschriften müssten auf der Strasse gesammelt werden. Im besten Fall können grosse Parteien und Verbände auch über Versand, Magazine und andere Medien Sympathisanten mobilisieren. Doch mehr als 35’000 Unterschriften gebe es so nicht zu holen.

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Fünfte Zutat: Das richtige Themengebiet

Doch selbst wenn diese Hürde geschafft ist, bleiben die Chancen für einen Exploit an der Urne gering. Seit 1891 ist über 198 Initiativen abgestimmt worden – gestern ist die Zahl von gescheiterten Projekten auf 176 gestiegen. Nur 22 Initiativen wurden angenommen, gerade mal 11 Prozent. Vergleicht man diese Initiativen, stellt man fest, dass die Grünliberalen eigentlich auf das richtige Thema setzten. Ihre Initiative hatte jene Ingredienz, die mehr Initiativen zum Erfolg verholfen hat als jede andere: Umweltschutz. Sieben der angenommenen Initiativen verfolgten ein Umweltanliegen. Dazu gehörten etwa die Zweitwohnungsinitiative, die Alpenschutzinitiative, die Rothenthurm-Initiative oder das Gentech-Moratorium.

Insgesamt fünf der angenommenen Initiativen stellten einen Bezug zu Ängsten gegenüber Ausländern und Fremden her, vier nahmen sich des Themas Kriminalität an. Und trotz des Erfolgs der Masseneinwanderungsinitiative: Initiativen, die eine Senkung des Ausländeranteils oder eine Reduktion der Zuwanderung zum Ziel hatten, kamen beim Volk nicht an. 1970 wurde die Schwarzenbach-Initiative mit 54 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt, 2002 die Asylmissbrauchsinitiative der SVP mit 51,1 Prozent, vergangenen November die Ecopop-Initiative mit 74,1 Prozent.

Eine Initiative scheiterte schon vor der Lancierung

Gibt es so etwas wie eine Zutat, die jedes Projekt zwingend scheitern lässt? Von den hängigen 28 Initiativen wird eine mit aller Garantie scheitern. Und dies war schon klar, bevor sie überhaupt lanciert wurde: Die Initiative «Ausschaffung krimineller Männer» ist vielmehr ein politischer Scherzartikel als ein tatsächliches Initiativprojekt. Ansonsten kämpfen alle übrigen Vorstösse mit demselben Problem: Von Lancierung bis Abstimmung vergehen rund vier Jahre. «Es ist unmöglich, vorauszusehen, wie sich die Chancen einer Initiative in dieser Zeit verändern», sagt Balsiger.

In der Tat sah die Situation für die Grünliberalen vor vier Jahren noch ganz anders aus. Damals sammelte die aufstrebende Kleinpartei innert 18 Monaten 108’000 gültige Unterschriften. Auf den ersten Blick schien die Idee so einfach wie effektiv, um die Umwelt zu entlasten und die Ressourcen zu schonen. Nur drei Monate nach der Lancierung der Initiative holte die Partei neun zusätzliche Sitze im Nationalrat und wurde so etwas wie ein Synonym für politischen Erfolg. Niemand hätte damals vorhersagen wollen, dass ihr Prestigeprojekt einen Ja-Anteil von weniger als 10 Prozent erreicht.

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Fotos: watson, 20min, SRF

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