Die zweite Nagelprobe für die BDP

Publiziert am 17. Mai 2014

ijon_domenic_parolini_300_bdp_info_mage_crop.phpBei den Nationalratswahlen 2011 war die BDP zusammen mit der GLP die Siegerin. Sie erreichte aus dem Stand 5.4 Prozentpunkte; das ist für Schweizer Verhältnisse ein Erdrutsch. Er gab der jungen Partei viel Schub. Seither konnte die BDP in allen kantonalen Wahlen zulegen – mit einer gewichtigen Ausnahme: Bern. Dort brach sie vor sieben Wochen regelrecht ein: minus 4.8 Prozent bzw. minus 11 Sitze. (Dafür verteidigte sie den Regierungsratssitz von Beatrice Simon mit einem Glanzresultat.)

Diese Ohrfeige widerhallte in der ganzen Schweiz. Vereinzelt wurde die Partei bereits als „todgeweiht“ bezeichnet. Das ist selbstverständlich übertrieben. Aufschluss über den Formstand der BDP dürften die Wahlen von morgen Sonntag im Kanton Graubünden geben. Dort hat sie seit ihrer Gründung 2008 eine mächtige Stellung, wechselten doch von zwei Ausnahmen abgesehen (Ständerat Christoffel Brändli und Heinz Brand) alle Schlüsselfiguren von der damaligen SVP zur BDP. Bei den Nationalratswahlen 2011 verlor sie allerdings ihren zweiten Sitz – an SVP-Brand.

Bei den Parlamentswahlen geht es der BDP darum, ihre Position zu verteidigen. Im 120-köpfigen Grossen Rat hat sie derzeit 26 Sitze und ist damit hinter der FDP (40) und der CVP (32) die drittstärkste Kraft. Gewählt wird in Graubünden weiterhin nach dem Majorz, ein Wechsel zum Proporz wurde an der Urne abgelehnt. Das Majorzsystem bevorzugt bekannte und konsensorienterte Köpfe, die Stimmen von rechts und links auf sich vereinen können. Das dürfte der BDP helfen. Ein Absturz wie im Kanton Bern wäre eine saftige Überraschung.

Spannend wird es bei den Regierungsratswahlen: Der bisherige Hansjörg Trachsel (BDP) muss aufgrund der Amtszeitbeschränkung von 12 Jahren seinen Platz räumen. Drei Männer wollen ihn beerben: SVP-Nationalrat Heinz Brand, BDP-Parteipräsident Jon Domenic Parolini (Foto oben) und Jürg Kappeler (GLP). Letzterer ist chancenlos, um im „Grauen Haus“ – so heisst das Regierungsgebäude in Chur – einzuziehen. Bleibt also der Zweikampf Brand vs. Parolini.

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Brand (58, Foto), der die kantonale SVP-Sektion präsidiert, will es zum zweiten Mal nach 2010 wissen. Damals erreichte er lediglich Platz 7. Jetzt ist seine Ausgangslage viel besser: Seit seinem Einzug in den Nationalrat 2011 mauserte er sich schnell zu einem Schwergewicht in der SVP-Fraktion. Beim Thema Asyl, das für die Volkspartei zentrale Bedeutung hat, ist der ehemalige Chef des kantonalen Amtes für Polizeiwesen Wortführer und Fachmann. Dank dieser Rolle erlangte er nationale Bekanntheit und ein starkes Profil.

Parolini (54) lag Anfang Mai bei einer repräsentativen Umfrage drei Prozentpunkte vor Brand. Der Gemeindepräsident von Scuol ist seit vielen Jahren Mitglied im Grossen Rat. Verpasst er neben der unbestrittenen Barbara Janom Steiner den zweiten BDP-Sitz, hat seine Partei auch die zweite Nagelprobe nicht bestanden. Gerade für eine bürgerliche Partei ist es evident, ihren ambitionierten Spitzenleuten Karriereoptionen zu ermöglichen. Dazu gehören Mandate im eidgenössischen Parlament und Regierungsämter.

Ausserhalb der Kantone Bern (11.2 Prozentpunkte), Graubünden und Glarus (16.6%), wo am 1. Juni gewählt wird, hat die BDP keine Hochburgen. Umso wichtiger wäre es für sie, am Sonntag den zweiten Bündner Regierungsratssitz halten zu können. Verpasst sie dieses Ziel, dreht sich die Negativspirale weiter. Und das erhöht den Druck auf Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Sollte sie Ende 2015 aus dem Bundesrat zurücktreten, wäre das Gastspiel der BDP in der Landesregierung vorbei. Ohne Kühlerfigur hätte sie es ungleich schwerer, sich weiter zu entwickeln.

Mark Balsiger

Die aktuelle Mandatsstärke der BDP:

– 1 Bundesrätin (EWS)
– 1 Ständerat (Werner Luginbühl, BE)
– 9 Nationalräte (4 BE, 2 ZH, 1 AG, 1 GL, 1 GR)
– 4 Regierungsräte (2 GR, 1 BE, 1 GL)
P.S.  Optionaler Ausgang bei den Bündner Regierungsratswahlen: Brand und Parolini werden beide gewählt; zulasten des bisherigen SP-Mannes Martin Jäger.

Fotos:
– Jon Domenic Parolini: bdp.info
– Heinz Brand: news.ch


Update von Montag, 19. Mai 2014, 8 Uhr:

Bei den Regierungsratswahlen konnte sich die BDP ihren zweiten Sitz sichern. Parolini distanzierte SVP-Kampfkandidat Brand um fast 5000 Stimmen.  Der Zieleinlauf:

– Barbara Janom Steiner (BDP, bisher)  32’666 Stimmen
– Mario Cavigelli (CVP, bisher)  32’057
– Christian Rathgeb (FDP, bisher)  27’009
– Jon Domenic Parolini (BDP, neu)  22’575
– Martin Jäger (SP, bisher)  25’309

– Heinz Brand (SVP, neu)  20’619
– Jürg Kappeler (glp, neu)  9218
– Einzelne  4710 Stimmen

absolutes Mehr: 17’417 Stimmen. Brand erreichte dieses locker, ist als Überzähliger aber dennoch nicht gewählt.


Zu den Grossratswahlen – die neue Sitzverteilung:

– BDP 27 (+ 1 im Vergleich zu den GR-Wahlen 2010)
– CVP 31 (- 2)
– FDP 32 (- 6)
– SVP 8 (+ 4)
– SP 15 (+ 3)
– GLP 2 (–)
– Parteilose 2 (- 3)

Die BDP konnte ihre Position als drittstärkste Kraft also konsolidieren; die SVP hat neu Fraktionsstärke. Fünf Sitze im 120-köpfigen Parlament konnten noch nicht vergeben werden; es kommt zu einem zweiten Wahlgang.

6 Replies to “Die zweite Nagelprobe für die BDP”

  1. Also neben der Exekutive gibt es immer auch eine Legislative, die beide morgen in Graubünden neu bestellt werden. Der zweite BDP Regierungsratssitz ist nicht das allein entscheidende. Wenn die BDP morgen Sitze im Parlament und Wähleranteile verliert, wie in Bern, dann ist das auch schon ein wichtiges Signal. Der Kanton Graubünden alleine betrachtet ist hier wenig aussagekräftig, der Kanton Bern mit seiner viel grösseren Bevölkerung schon viel entscheidender. Und da war die BDP-Niederlage schon ein wichtiger Hinweis. Außerdem finden morgen auch im Kanton Glarus Wahlen statt, was Herr Balsiger unterschlagen hat.

    Ich gehe mal davon aus das die BDP in einem der zwei Kantone Wähleranteile und Sitze verlieren wird, analog zu Bern, in Graubünden womöglich ihre Regierungsratssitze halten kann, so wie Frau Simon für die BDP in Bern, aber die Resultate im Grossrat den Erfolg merklich schmälern könnten. Die BDP scheiterte zudem schon grandios bei der letzten Ständeratseratzwahl im Kanton Glarus. Bei den Wahlen zuvor waren ihre Zugewinne ( u.a im AG) nur noch gering.

  2. ‘@swissness

    Die Glarner Landratswahlen finden nicht morgen, sondern am 1. Juni statt. Von “Unterschlagen” also keine Spur.

    Zu den Parlamentswahlen äussere ich mich im Posting auch, vielleicht haben die diesen Abschnitt überlesen.

    Spannend ist die Ausgangslage ja auch für Ihre Partei, die SVP. Bislang musste sich mit 4 Mandaten im Grossen Rat begnügen, konnte folglich keine eigene Fraktion bilden.

  3. Also von heute bis zum 1 Juni dauert es gerade einmal zwei Wochen. Für den Fortbestand der BDP sind eben alle Wahlen in nächster Zeit enorm wichtig, nicht nur die Wahlen in Graubünden und schon gar nicht die Regierungsratswahl in Graubünden alleine, was bei so einer Analyse schon noch relevant wäre.

    Im weiteren muss noch gesagt werden, dass die SVP in GR zwar nur 4 Sitze im Grossrat hat, aber dafür einen Wähleranteil von 24,5%, mehr als jede andere Partei, die 4 Sitze aber aus dem Majorz resultieren, der im Grunde genommen klar rechtswidrig ist!!

    http://www.srf.ch/news/regional/graubuenden/buendner-majorz-ist-nicht-verfassungskonform

  4. ‘@ swissness

    Verfassungswidrig nicht, ausserdem ist es eh bedenklich, wenn das Bundesgericht sich in Wahlgesetze einmischt wie z.B. im Aargau, wo man dem Kanton eine eher unnötige Wahlreform aufgedrückt hat. Zusätzlich hat sich gezeigt, das z.B. der doppelte Pukelsheim auch nicht das gelbe vom Ei ist! Aber es ist schon schlecht, wenn ca. in einem 1/4 der Wahlkreise nur so viele Kandidaten vorhandenen sind wie Sitze und bei vielen anderen Kreisen es nur 1 Kandidat mehr gibt als Sitze (z.B. Disentis 5 Sitze 6 Kandidaten).

    Und es ist klar, diese Wahl im Kanton Graubünden sagt, so gut wie, nichts aus über den Formstand der BDP, egal wie auch die Regierungsratswahlen ausgehen. Interessanter sind die Ständeratswahlen heute im Glarus (wohl 2. Wahlgang), die Abstimmungen von heute und dann die Parlamentswahlen am 1. Juni im Glarus sind die wirklich interessanten Ergebnisse, welche uns den Weg bis Jahresende weisen werden.

  5. so so, auf der anderen Seite ist es dann gar kein Problem, wenn das Bundesgericht Volksentscheide in Obwalden für verfassungswidrig erklärt, während dann der Majorz in Graubünden legal seil soll, nur weil das Parlament das nachträglich so beschließt?? Das ist demokratisch sehr fragwürdig. Das wäre so, wie wenn jemand auf dem Uetliberg illegal Bauten erstellt, die dann im nachhinein legalisiert werden.

    Das Majorzsystem bei Legislativwahlen ist nicht verfassungskonform, weil es gewisse Teile der Wählerschaft nicht berücksichtigt. Das heutige Majorzwahlsystem privilegiert nicht nur grosse Parteien, es widerspricht auch klar dem Prinzip der Stimmkraftgleichheit, das sich aus dem wichtigen Verfassungsgrundsatz der Rechtsgleichheit ableitet. Die kleinen Parteien werden hier klar diskriminiert.

    Und noch etwas, in GR finden heute auch noch Grossratswahlen statt, die einiges mehr über die BDP aussagen, als die Regierungsratswahlen, da es schliesslich um 120 Sitze geht!!

  6. ‘@swissness

    Sie verwechseln Rüebli mit Bündner Nusstorte: Die SVP hat bei den Nationalratswahlen 2011 sehr wohl 24.5 Prozentpunkte erreicht. Nur waren das Proporzwahlen, und der Kanton Graubünden ein einziger Wahlkreis.

    Bei den Grossratswahlen gilt auch nach mehr als einem halben Dutzend Versuchen, das System zu ändern, Majorz, und zwar in insgesamt 39 Wahlkreisen.

    Die Wahlen werden jetzt juristisch angegriffen, siehe:

    http://www.suedostschweiz.ch/politik/angriff-auf-majorzsystem-trotz-wahlerfolg

    Und noch mehr zur Beschwerde, die eingereicht werden soll:

    http://www.suedostschweiz.ch/politik/beschwerde-gegen-die-wahlergebnisse

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