Drei Frühstarter und eine Innovation
Publiziert am 23. Mai 2011Vor vier Jahren war Barbara Schmid-Federer die erste Nationalratskandidatin im Kanton Zürich, die im gekauften Raum für Aufmerksamkeit gesorgt hatte. Dieser Tage präsentierte sie ihr Plakat für die Kampagne 2011. Unten links ist ein “Kringel” zu erkennen, vergleichbar mit den Strichcodes, die beispielsweise von den Grossverteilern zum Einlesen ihrer Produkte verwendet werden.
Wer dieses Plakat mit seinem Smartphone fotografiert, erhält weitere Informationen, oder anders ausgedrückt: aus der wilden Anordnung von Pixeln werden Worte oder neue Bilder. Im Fall von Schmid-Federers Plakat wird man auf einen Youtube-Clip weitergeleitet. Voraussetzung: Das Smartphone ist mit dem notwendigen App (Kurzform für Applikation bzw. Application), einem Reader, ausgerüstet. Sonst geht gar nichts.
Das Plakat ist ein klassisches Medium, das nur die Einwegkommunikation zulässt. Vor diesem Hintergrund ist es innovativ oder zumindest einen Versuch wert, einen sogenannten QR-Code zu integrieren. In der politischen Werbung habe ich solche Strichcodes noch nie gesehen, obwohl sie in der Industrie schon seit einigen Jahren verwendet werden. Der grosse Durchbruch blieb allerdings bislang aus.
Im Kanton Bern ist Thomas Mattig (fdp) der erste Nationalratskandidat, der im gekauften Raum sichtbar wurde. Sein Farbinserat erschien zum ersten Mal am 7. Mai in der “Berner Zeitung” und im “Bund”, am letzten Samstag folgte das zweite. Der Gesundheitsspezialist mit Walliser Wurzeln brachte es auf Anfrage so einfach, wie überzeugend auf den Punkt: “Wenn ich jetzt für mich werbe, bin ich noch allein auf weiter Flur. Nach den Sommerferien buhlen Hunderte von Kandidierenden um Aufmerksamkeit.”
Die Frage ist, ob sich die Wählerinnen und Wähler am 23. Oktober noch an Mattig, der einst im Mai für sich warb, erinnern können.
Auf dieses Teaser-Plakat setzte letzte Woche ein anderer Kandidat. Er liess es u.a. beim Bahnhof Bern aushängen.
Bei der Umfrage in meinem persönlichen Umfeld – politisch durchaus interessiert – wurden die Parteien CVP, Grüne, GLP und SP als mögliche Absender genannt. Die Schrift in weissen Grossbuchstaben dechiffrierte niemand zielsicher als SP-Design. Das ist für die Macherinnen ernüchternd, wurde doch das neue Corporate Design der Sozialdemokraten vor knapp zwei Jahren eingeführt.
Hinter der Teaser-Kampagne steckt allerdings nicht die Berner SP, sondern einzig und allein ihr Kandidat Matthias Aebischer. Das Plakat ziert den Hinterkopf des ehemaligen Fernsehmannes. Dank Glück, Prominenz oder guten Verbindungen in die Redaktion von “20Minuten” wird der Teaser heute aufgelöst – ein Foto ist auch dabei.
Auch ein wandernder Blogger und ein paar Twitterer verbreiteten die News. Solche kleine Teil-Öffentlichkeiten bedeuten natürlich noch keine signifikant besseren Wahlchancen, sie können aber das Image eines Kandididaten verändern. Im Falle Aebischers heisst das: Er kann als keck und kreativ wahrgenommen werden.
Wenn Massenmedien über frühe Kampagnenstarts, Innovationen oder Teaser berichten, hat sich der Aufwand der Wahlkämpfer definitiv gelohnt.
Mark Balsiger
Sujet und Fotos:
– Plakat: schmid-federer.ch
– Teaser-Plakat: Mark Balsiger
– Matthias Aebischer: 20 Minuten/mar
P.S. Transparenz: Niemand unter den genannten Kandidierenden ist im Portfolio meiner Kommunikationsagentur. Man darf aber davon ausgehen, dass sie meine beiden Handbücher gelesen haben. Soviel Eigenwerbung dürfe sein, findet sogar Bürokollege Suppino.
[…] Hier noch die Links zu den lesenwerten Kommtaren des Wahlkampfbloggers und des […]
Mir fällt auf, dass Politiker mit Botschaften ihrer Partei werben. CVP=Familienpartei, SP=Familie, Bildung, ÖV und Nachhaltigkeit, SVP=Vaterland, Volk, Heimat und Wirtschaft usw.
Wenn ich einen wählen soll, dann interessiert mich die Botschaften seiner Partei nicht. Da kann ich ja gleich die Positionspapiere der jeweiligen Partei durchlesen.
Wenn ich einen wählen soll, dann möchte ich wissen was das für ein Mensch ist. Ist er ehrlich? Ist er fair? Ist er mir sympathisch? Welche Ausbildung hat er? Welche Berufserfahrung hat er? Was hat er bisher gemacht? Wie ist sein Leumund? usw.
Leider kommt das bei der Wahlpropaganda zu kurz. Das können auch Social-Media Apps nur begrenzt ändern. Besser als eine Weiterleitung zu einem Video wäre vielleicht eine Einblendung des Lebenslaufs, private Bilder usw. So dass man als Wähler eine Ahnung vom Menschen bekommt, der sich für ein Amt bewirbt.
Es stimmt: Individuen sind spannender als Gruppen, und vielleicht wird es eine der grossen Errungenschaften der digitalen Ära, dass die Individuen in der Politik wichtiger werden. Allein: Wenn Politikerinnen und Politiker nicht unter den Grundpositionen ihrer Parteien aufträten, wo bliebe denn das Profil der Parteien? Und: Wie könnten sich Wählerinnen und Wähler dann noch orientieren, wenn es statt einem Dutzend Grundhaltungen ein paar hundert Nuancen gäbe?
Spannend finde ich deshalb die Verknüpfung von Parteiposition und individueller Ausprägung. Was heisst Familienpolitik für Barbara Schmid-Federer? Sie kann es erklären. Sehr individuell und sehr engagiert. So wie die anderen skizzierten Kandidaten auch. So gesehen sind Plakate eine Aufforderung zum Tanz.
Barbara Schmid-Federer kommt vom personellen Auftritt her authentisch “rüber”.
Die HIntergrund-Wechsel brächten auch etwas Dynamik hinein, würde er durch das unterschiedliche Licht und die Geräuschkulisse nur nicht zu hart ausfallen. Das lenkt darum eher ab (man guckt und hört anderswo hin).
Inhaltlich hätte ich mir etwas mehr Substanz gewünscht, vor allem was die Zukunft anbelangt. Zwei Sätze mehr hätten auch von der Länge her nicht geschadet.
Am Schluss fehlte mir der Name. Der war zwar die ganze Zeit eingeblendet, aber das blendet der Zuschauer nach fünf Sekunden automatisch aus – sodass man am Schluss den Namen gar nicht mehr in Erinnerung hat.
Und was mir am Schluss vor allem fehlte: Die Angabe einer URL, eines Twitter-Accounts oder einer Facebook-Seite (eines von den dreien hätte genügt, sonst wäre es wieder überladen).
Soweit meine Eindrücke.
Ich frage mich vor allem eines: Warum hat Frau Schmid-Federer für ihr Plakat ein derart unsympathisches Kind ausgewählt? Jeder Werber könnte ihr sagen, dass dieser, ähem, speziell aussehende Bub beim Wähler für Irritationen sorgt.
Mit Herzblut für Vaterschaftsurlaub
oder
Mit Herzblut für verdeckte Ermittlung in Chaträumen
oder
Mit Herzblut für Schutz vor Cyberbulling
Man könnte diese Liste noch weiterführen, für welche Anliegen sich zum Beispiel Nationalrätin Schmid-Federer mit „Herzbluet“ einsetzt. Bei all diesen Themen ist die Familie ein wichtiger Bestandteil. Theoretisch hätte die Nationalrätin auf jedem Plakat ein anderes „Herzbluet“ erwähnen können, damit wir auch genau wissen, wofür sie sich einsetzt. Doch dann hätten Herr und Frau Schweizer (ohne Smartphone) bei Betrachtung eines einzelnen Plakates das Gefühl, dass sich Barbara Schmid-Federer in Bern beispielsweise nur für eine Modernisierung des Mutterschaftsurlaubes einsetzt. So gesehen ist ihr „Herzbluet für d’Familie“ umfassend und echt gemeint.
Auf dem Plakat von Schmid-Federer ist auf den ersten Blick das Wichtigste zu sehen: Das Hauptanliegen (illustriert mit einem Kind), eine sympathisch lächelnde Frau, eine Internetadresse, ein Parteilogo und als Zückerchen einen QR-Code, der einem zu einem Youtube-Clip weiterleitet. Das zeigt, dass Nationalrätin Barbara Schmid-Federer mit der Zeit mitgeht, unter anderem mit dem Ziel auch jüngere Schweizerinnen und Schweizer anzusprechen.