Du wirst bezahlt, um zu lügen
Publiziert am 22. Dezember 2024Am 19. Juli 2024 traten Patent Ochsner zum 9. Mal am Gurtenfestival auf. Wer dabei war, erinnert sich an die langen Warteschlangen und dass es vor der Hauptbühne so eng war wie nie zuvor. Die nackten Zahlen, die erst jetzt publik wurden, zeigen: 32’500 Menschen befanden sich an jenem Freitagabend auf dem Berner Hausberg, obwohl die Obergrenze bei 25’000 liegt. (Hier eine Zusammenfassung der Nachrichtenagentur Keystone-sda.)
Zwei Gedanken.
Erstens: aus der Sicht der Öffentlichkeit
➡️ Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie wichtig unabhängige Medien sind. Sie fungieren als «Watchdogs». Um ihrer Rolle gerecht zu werden, braucht es Hartnäckigkeit, Ressourcen und eine Chefredaktion mit Rückgrat. Kudos für Christoph Albrecht von der Redaktion «Bund»/BZ für diese Recherche (Bezahlschranke), ohne daraus einen Skandal zu machen.
Zweitens: aus PR-Sicht
➡️ Dieser Fall wirft einen Schatten auf unsere Branche. Als Berufsmann werde ich in meinem Umfeld immer wieder herausgefordert: «Du wirst also bezahlt dafür, zu lügen.» Der Vorwurf kommt manchmal augenzwinkernd, manchmal ernsthaft.
Seit vielen Jahren begleite ich Unternehmungen, Institutionen, zuweilen auch Einzelpersonen in schwierigen Phasen. Zur Checkliste, die wir noch vor der Vertragsunterzeichnung durchgehen, gehört ein zentraler Punkt: «Was wir sagen, ist wahr.» Das «Wir» benutze ich bewusst.
Für mich ist Wahrheit und Wahrhaftigkeit ein berufsethischer Grundsatz. Wenn ich abends vor dem Spiegel stehe, will ich mir in die Augen schauen können. Auch die Auftraggeber fahren meiner Meinung nach letztlich besser, wenn sie sagen, was ist. Wer transparent und glaubwürdig kommuniziert, geniesst Vertrauen. Um es mit den Worten von Patent Ochsner zu sagen: «Für immer uf di.»
Wer hingegen lügt und dabei überführt wird, hat ein Reputationsproblem. So nehme ich den Leuten der Gurten Festival AG nicht einmal mehr ab, dass es sich bei den zusätzlich herausgegebenen Tickets mehrheitlich um «Freikarten aus den Kontingenten für unsere Partner» handelt.
Printscreen: «Der Bund»/21. Dezember 2024