Ein dreistes Märchen zum Budget der Konzerninitiative

Publiziert am 20. November 2020

In Schweizer Abstimmungskampagnen kann selten mit der grossen Kelle angerichtet werden. Ausnahmen waren beispielsweise das EWR-Referendum (1992), der Betritt zur UNO (2002) oder die Weiterführung der Personenfreizügigkeit (2009). Bei der letztgenannten Vorlage wurden laut einer sotomo-Studie insgesamt 11.1 Millionen Franken ausgegeben (Pro und Contra).

«Big Money» ist auch bei der Konzernverantwortungsinitiative im Spiel, die am 29. November zur Abstimmung kommt. Die Zeitungen des Tamedia-Verbunds schreiben heute (hinter der Paywall), dass eine Rekordsumme in diesen Abstimmungskampf investiert werde (siehe Grafik unten). Laut den Additionen des Journalisten verfügen die Befürworter mit 13.25 Mio. Franken über ein deutlich höheres Budget als die Gegner mit 5.25 Mio. Franken.

Eine Zahl ist mir sofort ins Auge gestochen.

Es geht es um die Postwurfsendungen der Befürworter, in der Grafik als «Briefeinwürfe» bezeichnet, die 8 Mio. Franken verschlungen haben sollen.

Dröseln wir das auf:

In der Schweiz gibt es derzeit knapp vier Millionen Privathaushalte. Für eine Vollabdeckung braucht es gemäss der Post eine Auflage von knapp 4,4 Millionen Exemplaren. Die Zustellung kostet 639’400 Franken (siehe Printscreen am Schluss dieses Postings). Zusammen mit den Aufwendungen für den Druck kommen die 800’000 Franken, die von Tamedia genannt werden, grosszügig aufgerundet hin.

Der Journalist erwähnt aber, dass «mindestens zehn Briefwurfsendungen in der ganzen Schweiz» gemacht wurden. Man muss sich das einmal vorstellen: In den wenigen Monaten einer Abstimmungskampagne werden insgesamt zehn Mal in alle vier Millionen Haushaltungen Flyer und andere Drucksachen verteilt! Das wäre, als bekannte Referenz, zehnmal das «Extrablatt» der SVP!

Dass bei der KVI oder Unternehmensverantwortungsinitiative (UVI), wie sie auch genannt wird, Goliath gegen Goliath kämpft, ist schon seit Langem klar. Das Initiativkomitee konnte für sein Anliegen zahllose Spenden generieren. Dass es aber zehn verschiedene Postwurfsendungen in alle Haushaltungen des Landes finanzierte und durchzog, können wir als dreistes Märchen abbuchen. Nebst all den Irreführungen und Diffamierungen durch beide Lager ist das ein weiterer Tiefpunkt dieses Abstimmungskampfes.

Eine mehrfache Vollabdeckung wäre auch ausgesprochen ungeschickt gewesen: In den USA verzichtete das demokratische Präsidentschaftsduo Biden/Harris in diesem Jahr in den traditionell blau wählenden Gliedstaaten Kalifornien und New York weitgehend auf Wahlkampf. Vergleichbar präsentiert sich die Situation für das Ja-Lager der KVI: Die Westschweiz und Basel-Stadt sind «safe». Dort müssen die Stimmbürgerinnen und -bürger nicht mehr intensiv massiert werden. Vielmehr sind wegen dem Ständemehr «Swing Cantons» wie Basel-Landschaft oder Solothurn zentral.

Was in der Auflistung der Tamedia-Zahlen auch nicht stimmen kann, sind die Agenturkosten. Die genannten 200’000 Franken pro Lager sind ein schlechter Treppenhauswitz.

Die echten Kosten für alle Budgetposten könnten rechererchiert werden; mir fehlt die Zeit dazu.

5 Replies to “Ein dreistes Märchen zum Budget der Konzerninitiative”

  1. Also ich wohne im “safen” Kanton Basel-Stadt und habe über die letzten Jahre seit Lancierung der Initiative diese 10 Briefsendungen erhalten.

  2. ‘@Luca Urgese

    Zunächst bedarf es einer Klärung Ihrer Rolle für alle, die hier mitlesen. Sie sind Präsident der FDP-Kantonalsektion Basel-Stadt und Gegner der KVI/UVI.

    Nun zu Ihrem Punkt: Es geht um die Kosten der Abstimmungskampagnen. Diese dauern in der Regel zwei oder drei Monate. Im Fall der KVI/UVI waren es deutlich mehr, stimmt. Während der Unterschriftensammlung zur Volksinitiative gab es mehrere Postwurfsendungen, klar. Die Kosten dafür dem Abstimmungsbudget zuzuschlagen ist unredlich.

  3. ‘@ Mark Balsiger

    Solange man auf beiden Seiten dasselbe miteinander vergleicht, sehe ich kein Problem darin, die ganze Kampagne darzustellen und nicht bloss die letzten 2-3 Monate. Die Abstimmungskampagne selbst ist nur der abschliessende Teil einer mehrjährigen Kampagne, die von den Befürwortern seit Jahren betrieben wird. Und ich meine da nicht die Unterschriftensammlung. Jedes Mal, wenn die Initiative im Parlament behandelt wurde, folgte anschliessend ein Kampagnenbrief.

    Und da die Ja-Kampagne fälschlicherwesie suggeriert, die Gegner würden mit einer millionenschweren Kampagne operieren, während die Befürworter der kleine David seien, darf man die tatsächlichen finanziellen Verhältnisse schon mal ins rechte Licht rücken und diesen von den Initianten bewusst vermittelten Eindruck korrigieren. Ich kann darin nichts Unredliches erkennen.

  4. ‘@Luca Urgese

    Es ist seit vielen Jahren Standard, wie die Kosten für Abstimmungs- und Wahlkampagnen erhoben werden, völlig egal, ob es sich um Behördenvorlagen, Volksinitiativen oder Referenden handelt. Das wissen Sie auch. Nur so lassen sich auch Vergleiche anstellen.

    Wir können ausnahmsweise natürlich den Zeitraum seit 2016 berücksichtigen. Dann schlagen aber die Kosten für das stetige Lobbying während des jahrelangen Prozesses im Parlament heftig zu Buche. Die Ansätze, die FurrerHugi und die Konsulenten dafür fakturieren, sind Ihnen sicher bekannt. Die im Tamedia-Artikel genannte Summe von 200’000 Franken präsentiert sich in diesem Licht umso lächerlicher.

    Zur Abrundung: Ich zähle nicht zum Ja-Lager. Stand heute werde ich am 29. November «leer» einlegen.

  5. OK, die Auflistung oben ist also falsch. Wie würde sie denn konkret richtig ausschauen (am liebsten auch in Auflistungsform)?

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