Eine Auswahl, die auf den zweiten Blick keine ist
Publiziert am 20. November 2015Es ist ein Gerücht, dass heute Abend aus dem Bundeshaus weisser Rauch aufstieg, als die SVP-Fraktion nach vielen Stunden des Diskutierens schliesslich ihre Bundesratskandidaten erkohr. Auf das Dreierticket schafften es vor wenigen Minuten Thomas Aeschi (ZG), Lega-Mann Norman Gobbi (TI), der vor zwei Wochen die SVP-Mitgliedschaft für 30 Franken kriegte, und Guy Parmelin (VD). Diese Nomination ist keine Überraschung.
Dass Gobbi am 9. Dezember gewählt wird, können wir ausschliessen. Man kennt ihn in Bundesbern viel zu wenig, Aufsehen erregte er bislang mit rüppelhaften Äusserungen, zudem repräsentiert er faktisch eine 1,0-Prozent-Punkte-Partei. Das ist ein Affront gegenüber gestandenen SVP-Grössen und wird von diesen kaum geschluckt. Die Aufgabe des Tessiners war und ist es, eine Flanke der SVP zu sichern. Nationalrat Parmelin, zwar deutlich bekannter, muss dasselbe tun. Störmanöver aus dem Tessin und der Romandie sind aufgrund dieser Konstellation unwahrscheinlich.
Auf den zweiten Blick ist der Dreiervorschlag der SVP-Rennleitung keine echte Auswahl: Sie will einen Deutschschweizer im Bundesrat, auch wenn sie das Gegenteil behauptet, und Aeschi hat, Stand heute, sehr gute Wahlchancen. Die beiden Kandidaten aus der lateinischen Schweiz sind Feigenblätter, die Strategie der Führungsriege dürfte aufgehen.
Der 36-jährige Aeschi (Foto) hat einen rasanten Aufstieg hinter sich. 2010 schaffte er die Wahl in den Kantonsrat, ein Jahr später in den Nationalrat, wobei er seinen Parteikollegen Marcel Scherer verdrängte. Aeschi ist zuzutrauen, dass er als Bundesrat in seinem Departement die richtigen Fragen stellen könnte. Ob er aber die nötige Autorität hat, um sich durchzusetzen, ist offen. Kritiker zweifeln an seiner Sozialkompetenz, er sei selbstbezogen und beratungsresistent, behaupten sie. Tatsache ist, dass er ein Jünger des SVP-Übervaters ist. Mit Aeschis Einzug in die Landesregierung wäre Christoph Blocher wieder im Vorzimmer. Mindestens.
Die Suche nach einem Sprengkandidaten
Es liegt auf der Hand, dass nun für Strategen, “Strategen” und Spielernaturen die hohe Zeit erst recht beginnt. Sie werden Petarden zünden und intrigieren, Medien anfüttern und Verbündete suchen. Wenn SP und Grüne die offiziellen Kandidaten nicht einmal zu Hearings einladen werden, dürften aus diesen beiden Fraktionen auch nur wenige Stimmen kommen. Ob eine solche Verweigerung mittel- und langfristig klug ist, dürfen wir bezweifeln.
Gut möglich, dass die Linken einen SVP-Sprengkandidaten lancieren werden – am Morgen des Wahltags selber. Im Vordergrund stehen populäre Figuren, die nicht ganz linientreu sind. Da wäre Peter Spuhler, der Thurgauer Ex-Nationalrat und grossartige Unternehmer, ein Liebling der Medien, der vor ein paar Wochen vom “Blick” angeschoben wurde. Ein weiterer Papabili wäre der Schaffhauser Ständerat Hannes Germann, der in diesem Herbst nicht zum ersten Mal kandidierte, es aber erneut nicht auf das Ticket schaffte.
Wenn am 9. Dezember ein SVP’ler ausserhalb des offiziellen Trios gewählt werden sollte, greift die Ausschlussklausel und der neue SVP-Bundesrat wäre subito ein Ex-SVP-Bundesrat. Es wäre ein Zeichen der Souveränität, wenn die Volkspartei diese unsinnige wie undemokratische Bestimmung aus den Statuten kippen würde – jetzt.
Mark Balsiger
Nachtrag vom 24. November 2015:
Die NZZ kommt einen Tag später auf einen praktisch identischen Befund wie ich, sogar der Titel ist gleich… Hier:
Eine Auswahl, die keine ist (Neue Zürcher Zeitung, 20. November)
Die Kritik am Dreierticket der SVP wächse, kommentiert Fabian Renz. Die Vereinigte Bundesversammlung müsse die Kandidaten prüfen, nicht nur eine Partei. Der Bundeshauschef der “Bund”- und “Tages-Anzeiger”-Redaktion empfiehlt deshalb:
Parlamentarier, schaut gut hin (24. November)
Foto Thomas Aeschi: svp.ch
Mit der Wahl von zwei Personen aus dem Kanton Bern hat die Bundesversammlung schon einmal gegen die Bundesverfassung verstossen (BV Art. 175 Abs. 4 BV). Sie würde es mit der Wahl eines Westschweizers oder Tessiners erneut tun.
Darum kann ich gar nicht verstehen, wie man überhaupt auf die Idee kommt, einen Westschweizer oder Tessiner aufzustellen. Nur weil Levrat und Darbellay dies gefordert hatten? Seit wann hört denn die SVP in dieser Frage auf die Präsidenten anderer Parteien?
Für mich ist klar, dass dieses sprachliche Dreierticket nur eine Nebelpetarde ist um abzulenken. Allerdings ist mir noch nicht klar, wovor die SVP ablenken will. Etwa um vor der Diskussion um “linientreu” oder “nicht linientreu” abzulenken? Oder vor der unbequemen Frage nach Kandidatinnen, schliesslich ist die SVP die einzige Bundesratspartei, welche immer noch keine Bundesrätin stellte? Oder vor etwas anderem?
‘@Titus Sprenger, die Bundesversammlung hat nicht gegen die Verfassung verstossen, als sie 2 Berner in den Bundesrat gewählt hat, schliesslich hat das Volk die Kantonsklausel abgeschafft und durch das schwammige Versprechen geändert, das alle Regionen nach Möglichkeit vertreten sein sollen. Also auch z.B. das Berner Mittelland und der Oberaargau, die Verfassung wird vollständig eingehalten! Zusätzlich ist ihre Aussage das die SVP noch NIE eine Bundesrätin gestellt hat auch nicht sehr Sachlich. 2000 hat die SVP Rita Furrer als ihre TOPKANDIDATIN aufgestellt, die Bundesversammlung ist schuld, dass sie den nicht nominierten Schmid gewählt hat und EWS war ja ganz kurz Bundesrätin und SVP-Mitglied.
Ausserdem haben sich die Parteispitzen der CVP und der SP selber ein Ei gelegt, als z.B. Nordmann ausdrücklich auch den Wunsch am Radio geäussert hat, dass die SVP eine Auswahl bieten müsse z.B. auch ein Westschweizer. Jetzt hat die SVP dies gemacht (die Vorgabe der SP erfüllt), und nun ist es ist Herr Balsiger und Herr Sprunger sowieso nicht recht.
@Balsiger: “Es wäre ein Zeichen der Souveränität, wenn die Volkspartei diese unsinnige wie undemokratische Bestimmung aus den Statuten kippen würde – jetzt.”
Man muss der Tatsache ins Auge schauen, insbesondere die neuen Mitglieder der SVP-Fraktion (und hiervon gibt es Einige, 25 von ca. 55 Neugewählten sind in der SVP), sind schlicht nicht bereit z.B. Hannes German zu akzeptieren, als IHR BUNDESRAT. Aus ihrer Sicht wäre dies ein Einknicken vor der Bundesversammlung, im Klartext eine Kapitulation. Die Leute sind stark geprägt von der Abwahl von Christoph Blocher, deshalb kommt dies nicht in frage.
‘@ Titus Sprenger
Da hat Bernhard Moser in der Tat recht: Bei der Revision der Bundesverfassung von 1999 ist die Kantonsklausel tatsächlich gefallen.
@ Bernhard Moser
Ich sehe das entspannter: Die Vereinigte Bundesversammlung ist seit 1848 das Wahlorgan für den Bundesrat. Von der Volkswahl des Bundesrats wollte eben dieses Volk im Juni 2013 mit 76 Prozent Nein nichts wissen.
http://www.wahlkampfblog.ch/das-volk-will-keine-volkswahl/
Am Wahltag vom 9. Dezember muss niemand einknicken, sondern es gilt demokratisch zu klären, wen man als Bundesrat möchte. Zur Erinnerung: Jeder fünfte Bundesrat war nicht offiziell nominiert. Das zeigt der Blick in die Statistik.
‘@ Bernhard Moser
Um bei der von Ihnen geforderten Sachlichkeit zu bleiben: In der heutigen BV ist die Rede von “Landesgegenden und Sprachregionen”. Über die Definition von “Sprachregionen” brauchen wir uns kaum zu unterhalten, da dürften wir uns wohl einig sein. Diskutabel ist der Begriff “Landesgegend”.
Mit den BR Sommaruga, Schneider-Ammann und Leuthard ist die Landesgegend “Mittelland” sehr gut vertreten. Die Zentralschweiz und die Südschweiz, letzteres auch noch Sprachregion, sowie die Genfersee-Region (15 % der Bevölkerung), sind hingegen gar nicht vertreten. Folgt auf BR EWS nicht wieder ein Ostschweizer, wird auch diese Landesgegend keinen Vertreter mehr im Bundesrat haben. Und Sie wollen mir nun erklären, die Bundesversammlung hätte bei der Wahl von drei Vertretern aus dem Mittelland – insbesondere von zwei Vertretern aus dem Kanton Bern – die Bundesverfassung nicht verletzt oder zumindest “strapaziert”?
Mit der alten BV wäre es möglich gewesen, dass ein Bundesrat aus Lengnau (BE) und ein anderer aus dem benachbarten Grenchen (SO) kommt. De jure alles korrekt, de facto aber auch nicht befriedigender. Da scheint mir “Landesgegend” doch besser zu sein, vorausgesetzt man hält sich daran… Nebenbei: Verfassungen haben es an sich, nur die Grundzüge einer Sache zu umschreiben. Da das Parlament gesetzgebende Instanz (und zugleich auch noch Wahlköper) ist, läge es in seiner Kompetenz, beispielsweise im Parlamentsgesetz die Formulierung “Landesgegend” zu klären.
Zur Frage der Kandidatinnen bzw. SVP-Bundesrätinnen: Nun hat uns die SVP jahrelang versucht zu erklären, dass BR EWS keine SVP-Bundesrätin sei und Sie erklären uns nun wieder das Gegenteil?
Dass Rita Furrer seinerzeit nicht gewählt wurde, erachte ich in Bezug auf die Geschlechterfrage als positiv. Es zeigt sich darin nämlich, dass jemand nicht mehr wegen des Geschlechts, sondern aus anderen Gründen (insbesondere wegen seinen Qualifikationen) gewählt wird. Das bedeutet aber nicht, nicht weiterhin um einen Ausgleich bemüht zu sein. Dass der Frauenanteil im Parlament immer noch zu tief liegt und dass nun ein rein männliches Dreier-Ticket aufgestellt wurde, macht dies deutlich.
Offen gesagt ich war gegen die Abschaffung der Kantonsklausel und bin für (obwohl) chancenlos für die Volkswahl des Bundesrates. Warum und wieso will ich jetzt nicht diskutieren (sprengt den Rahmen).
Das mit EWS war eher ein Joke. Und spricht auf die Leute an die immer sagen die SVP hat 2 Vertreter im Bundesrat eine sei EWS. Ein wenig anders sehe ich dies bei Rita Furrer, sie wurde als Regierungsrätin mehrfach bestätigt, ausserdem hatte die Bundesversammlung auch die Möglichkeit einen Thurgauer zu wählen. Aber man hat den einen halben Bundesrat gewählt.
Hätte man Rita Furrer gewählt, wäre Blocher NIE Bundesrat geworden und wir hätten heute nicht diesen Schlamassel (glaube ich). Die andere Möglichkeit ist selbstverständlich es sich auch einfach zu machen, und grundsätzlich zu sagen die SVP hat eh keine guten Kandidaten und braucht nicht angemessen im Bundesrat zu sein oder zuerst zu sagen es kommt nicht auf Frau/Mann an sondern die Qualifikation, aber wenn man keine Frau präsentieren kann (weil aus Sicht der Partei) diese weniger qualifiziert sind ist es auch nicht recht. Da habe ich nur noch ein Vorschlag, kandidieren Sie selber für die SVP.
Es ist richtig das 20% der Bundesräte keine offiziellen Kandidaten von den Parteien waren, aber damals wurde meist nur immer ein Einervorschlag präsentiert, doch seit 1993 wurden eigentlich immer ein Doppelvorschlag gemacht und deshalb ist die Quote bei Ersatzwahlen auf unter 10% gesunken (einmal in 22 Jahren bei der Wahl von Schmid). Ich sehe dies nicht so entspannt, denn ich glaube, das dann die Kompromisse innerhalb des Parlamentes schwieriger zu erzielen sind und eine Partei wie die SVP erst recht mittels Volksrechte das Land blockieren kann. Wie gesagt meine bescheidene Meinung, man sieht es an der MEI oder der Bekämpfung der Asylgesetzrevision oder den Durchsetzunginitiativen. Wenn die Bundesversammlung diese Macht wieder will, dann soll sie wieder nichtnominierte Kandidaten wählen, ich würde einfach nicht gerade am 9.12.15 bei der SVP beginnen, sondern bei den andern Parteien, dann wird die Ausschlussklausel bei der SVP schnell fallen.