Es kamen Spenden mit dem Hinweis: “Habe mein Velo für die Demokratie verkauft”
Publiziert am 23. April 2013GAST-BEITRAG von Peter Metzinger*
Die Geschichte des Wahlkampsblogs beginnt eigentlich 2003 im US-Bundesstaat Vermont: Die Präsidentschaftskampagne von Gouverneur Howard Dean und seinem Campaign Manager Joe Trippi nahm damals ihren Anfang. Letzterer tritt am 7. Juni in Zürich auf, weshalb wir die Gelegenheit nutzen, diese Geschichte kurz zu beleuchten. Sie zeigt auf, wie das Internet zum zentralen Wahlkampfinstrument wurde, lange bevor das Team von Barack Obama 2008 viele Elemente übernahm und 2012 noch perfektionierte.
Am Anfang der Kampagne standen 432 Adressen – Zetteln in Kartonschachteln – und ein Budget von nur 100‘000 Dollar. Howard Dean war wenig bekannt und hatte praktisch keine Erfahrung im Wahlkampf. Ein Jahr später hatte die Kampagne 640‘000 aktive Unterstützer zum Mitmachen bewegt und 50 Mio. Dollar in Form von Kleinspenden gesammelt. Das ganze fast ohne Print-, Radio- und TV-Werbung, wie sonst bei US-Präsidentschaftswahlen üblich. Die Kampagne sorgte weltweit für Furore. Wie schaffte Joe Trippi das?
„Nicht ich habe das geschafft. Die Community hat es geschafft“, lautet seine Antwort. Aber kann denn eine Community von sich aus so etwas schaffen?
Joe Trippi (Bild am Ende dieses Postings) – Hauptreferent am diesjährigen Campaigning Summit Zürich – ist einer der Pioniere für den Einsatz von Social Media zum Mobilisieren von Menschen; im speziellen, aber nicht nur bei US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen.
2003, als er von Howard Dean als Campaign Manager angefragt wurde, nutzte er die Chance, aus der Schwäche eine Stärke zu machen und seinen alten Traum zu verwirklichen, der durch das Internet endlich möglich geworden war. Er entwickelte eine dezentralisierte Kampagne, die sich wie Wellen auf einem See ausbreitet. Er mobilisierte Menschen mit Zielen, Botschaften und Emotionen, und stellte ihnen nützliche Tools zur Verfügung. So konnten sie sich untereinander vernetzen und lokal aktiv werden.
Howard Deans Strategie war vollkommen auf das Internet ausgerichtet
Joe Trippi setzte auf einen Blog als zentrale Dialog-Plattform und auf meetup.com als Social Network zur Vernetzung Gleichgesinnter. (Zur Erinnerung: 2003 gab es noch kein Facebook.) Die Rechnung ging auf. Ohne viel Geld für Werbung auszugeben, holte Howard Dean so den Vorsprung seiner Konkurrenten auf. Die einzig auf das Internet fokussierte Wahlkampfstrategie sorgte international für Furore, die Medien begannen sich dafür zu interessieren, die Kampagne selbst wurde zum Thema, die Eigendynamik wurde vervielfacht.
In seinem Buch „The Revolution Will Not Be Televized“ schreibt Trippi:
„Die meisten dieser frühen Interaktionen mit unseren Online-Unterstützern waren diese winzigen Momente – ein Geistesblitz hier, der andere dort. Diese Blitze gingen völlig spontan los, hunderte Male pro Tag, wie Kameras beim Super Bowl, und die Blitze funkten nicht nur zwischen Wahlkampf-Hauptquartier und Unterstützern, sondern auch hin und her zwischen den Unterstützern, durch die ganze Menschenmenge hindurch. Unsere gesamte Online-Community schien durch die Funkenbildung dieser Ideen zu leuchten. Und es war nicht so, dass die Kampagnenleitung es erlaubte, dass Ideen von unten nach oben entwickelt wurden. Die Ideen bewegten sich auf und ab, seitwärts und im Kreis herum, in drei Dimensionen. Eine Frau in Pennsylvania verkauft ihr Fahrrad für 75 Dollar und spendet das Geld an “Dean for America”, erwähnt es in einem Blog und bevor wir es merken, kommen Spenden aus dem ganzen Land mit dem Hinweis: Ich habe mein Velo für die Demokratie verkauft.“
Leider war Trippi seiner Zeit um vier Jahre voraus. Permanente Konflikte mit konventionell denkenden Beratern bremsten seine Strategie aus. Howard Dean schaffte es nicht. Stattdessen wurde John Kerry Spitzenkandidat der Demokraten – und verlor die Wahl. Dennoch setzte Trippi 2003 einen Meilenstein. Er veränderte, wie Firmen und Verbände mit ihren Zielgruppen kommunizieren. Und er legte das Fundament für den ersten Wahlerfolg von US-Präsident Barack Obama, dessen Team seine Strategie und Tools 1:1 übernahmen und dann weiterentwickelten. Man nennt sie heute die „Obama-Tools“.
Joe Trippi ist ein international gefragter Campaigner. Am 7. Juni spricht er in Zürich darüber, wie man von Social Media mit den klassischen Ansätzen strategisch integrieren sollte.
Die Referenten am Campaigning Summit Zürich 2013:
– Peter Metzinger: Campaigning – Die eierlegende Wollmichsau der Zukunft?
– Philip Maderthaner: Das Mitmach-Prinzip – Wie Sie die Kraft Ihrer Daten freisetzen.
– Markus Baumgartner: Volk gegen Abzocker – Mit Minimalbudget gegen 8-Millionen-Kampagne.
– Rinaldo Dieziger: Von 0 auf Supertext – Worte, die Menschen bewegen.
– Joe Trippi: US-Presidential Elections – Social Media die Spitze des Eisbergs?
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* Peter Metzinger ist seit vielen Jahren Campaigner und Autor mehrerer Bücher zum Thema.
Fotos Peter Metzinger und Joe Trippi: zvg