Stephan Hügli wird kampflos geopfert

Publiziert am 28. Januar 2008

dsc00072.jpgZuweilen ist es hoch interessant, für ein paar Stunden den Puls des Parteivolkes zu spüren. Heute Abend war ich als Zaungast bei der FDP der Stadt Bern, der Saal bis auf den letzten Platz besetzt, die Stimmung angespannt. Die Freisinnigen hatten über die Listengestaltung für die Gemeinderatswahlen (Exekutive) von Ende November zu befinden.

Winkelzüge, Kommunikationspannen und Gespräche in den eigenen Reihen, aber auch Verhandlungen mit den möglichen Bündnispartnern SVP und CVP waren dieser Nominationsversammlung vorausgegangen. Die Parteileitung verständigte sich schliesslich auf eine 3er-Liste (1x FDP, 1x SVP, 1x CVP). Mithin beugte man sich also dem Druck der beiden anderen Parteien und wollte Polizeidirektor Stephan Hügli kampflos opfern.

In den letzten Tagen hätte man auf Grund der Berichterstattung in den lokalen Medien den Eindruck erhalten können, der Vorschlag der Parteileitung müsse nur noch durchgewinkt werden. Weit gefehlt: Es entzündete sich eine Debatte mit vielen Schattierungen und Einwänden, Ermahnungen und Seitenhieben. Ein Votant fragte beispielsweise rhetorisch, ob man dem Kandidaten der SVP, Beat Schori, das Amt eines Gemeinderats überhaupt zutrauen könne.

Aus der Versammlung heraus wurden zwei Anträge gestellt:
– Die FDP solle sich für eine bürgerliche 5er-Liste stark machen
– Die FDP solle nur ihre beiden bisherigen Gemeinderatsmitglieder Barbara Hayoz und Stephan Hügli nominieren, also den Alleingang wagen

Mit einigem Unmut musste das Parteivolk zur Kenntnis nehmen, dass es nebst der 3er-Liste nur den Alleingang hätte beschliessen können. Alle anderen Vorschläge wären nur auf einen Auftrag zuhanden der Parteileitung hinausgelaufen, mit der SVP und der CVP neue Verhandlungen aufzunehmen. Mit einem derartigen Entscheid hätte die Basis die Parteileitung allerdings desavouiert.

fdp_huegli.jpgNach einer engagierten Diskussion setzte sich der Antrag für eine 3er-Liste durch, mit 68:51 Stimmen überraschend knapp. Stephan Hügli, den die FDP vor einem Jahr bei der Ersatzwahl für den verstorbenen Kurt Wasserfallen ins Rennen geschickt hatte, wird also definitiv fallengelassen. Wenn er konsequent sein will, tritt er nun aus der FDP aus.

Hügli erklärte vor der versammelten Parteibasis, dass er sich bis zum Anmeldeschluss Ende Sommer die Option einer wilden Kandidatur offen halten werde. Damit würde er seinen Sitz nicht retten, weil die Stadtberner Exekutive im Proporzverfahren erkoren wird. Entscheidend sind folglich die Stimmen, die eine Liste erziehlt. Auch wenn Hügli eine “Fun-Liste” mit Bronco Jimmy Hofer einreicht, wird es nicht für einen Sitz reichen. Aber Hügli, schwer enttäuscht und mit vielen Messern im Rücken, kann mit einer wilden Kandidatur seiner Partei und der bürgerlichen Liste im Allgemeinen schaden. Vor vier Jahren hat Ursula Begert gezeigt, was eine wilde Kandidatur bewirken kann.

Stephan Hügli verantwortet seine Nichtnomination allerdings weitgehend selber. Im Nachgang der Ausschreitungen vom 6. Oktober in der Stadt Bern verscherzte er seine Sympathien. Seine Art zu kommunizieren kann in die Lehrbücher eingehen – als Beispiel, wie man es nicht machen sollte.

Schliesslich: Die Nominationsveranstaltung der FDP kam um Monate zu spät. Aus der heutigen Sicht ist es nur schwer nachvollziehbar, weshalb die Parteibasis nicht schon im November an einer ausserordentlichen Versammlung befragt wurde. So hätte man die Parteileitung gestärkt und mit einem präzisen Auftrag in die Verhandlungen mit SVP und CVP schicken können. Diese Vorgehen hätte parteiintern die Reihen vermutlich eher geschlossen.

Mark Balsiger

Fotos: bal/www.bernatmetdurch.ch

9 Replies to “Stephan Hügli wird kampflos geopfert”

  1. hügli, das bauernopfer der fdp im spiel der svp? sehe ich auch so. und dies nicht zum ersten mal. hügli hat sich im zusammenhang mit der svp demo am 6. oktober, der einschätzung der dimension der gegenveranstaltung, der strategie des polizeieinsatzes und wohl auch im bezug auf zeitpunkt und inhalt der kommunikation auf seinen stab verlassen. böse zugen behaupten, er hätte dem “eingeschleusten svp apparatschnik gabi” etwas blauäugig vertraut. herr gabi hat, sozusagen als fachmann die interessen der svp voll und ganz umgesetzt. der stimmenzuwachs, aufgrund der “kravalle” kann er als erfolg abbuchen. hügli hat dafür grad zu stehen, bzw wird dafür gegangen. was geschieht mit gabi?
    sollte die rechung der svp aufgehen, um schori im dreierticket gewählt werden wirds erst spannend. schori gilt gemeinhin als inkompetent und in der sache schnell überfordert. die svp wird sich mit ihm nicht profilieren können. wenn die fdp mit frau hayoz kandidatur scheitern sollte, was anznehmen ist, hat die anbiederung mit der svp einmal mehr nur schaden gebracht. tja.

  2. Wie ich sehe, setzt sich die FDP recht ein für eine weitere Legislatur RGM. Was ich ja ganz nett finde 😉
    Äusserst fragwürdig, wie da ein amtierender Gemeinderat abgeschossen wird! Über Hüglis Fähigkeiten htte sich die Partei bereits vor dessen Wahl Gedanken machen sollen. Aber die angewendete Version “schicken wir den einfach mal ins Rennen, wenn er’s nicht packt, sind ja in einem Jahr Neuwahlen” war relativ schlecht!
    Hüglis Handeln um den 6.Oktober 07 war schlecht. Das momentane Handeln der FDP ist ebenso schlecht. Der Parteiaustritt Hüglis scheint mir daher eine nachvollziehbare Konsequenz. Seine Wahlchancen waren wohl vorher schon begraben.

  3. Die Geschichte “FDP und Stephan Hügli” wird weitergeschrieben. Wie der “Bund” heute berichtet, ist seine Gattin nun ebenfalls aus der FDP der Stadt Bern ausgetreten. Die Kurzmeldung im Wortlaut:

    © Der Bund; 05.02.2008; Seite bu23

    Auch Hüglis Ehefrau gibt den Austritt bei der FDP

    Nachdem Stephan Hügli wegen seiner Nichtnomination als Gemeinderatskandidat aus der FDP ausgetreten ist, gibt auch seine Ehefrau Christine Schaad Hügli ihr Parteibuch zurück. In einem Schreiben an die Freisinnigen kritisiert sie die «revolvermässige Personalpolitik» der Partei. Sie bezichtigt Parteichef Thomas Balmer der Lüge, da dieser behauptet hat, Stephan Hügli habe den Verzicht auf eine wilde Kandidatur erklärt. Der Umgangston in der Partei sei inzwischen frei von Anstand, Stil und Würde. Sie lege ihre Parteiämter sofort nieder, schreibt Hüglis Ehefrau. (mdü)

  4. ‘@ J.C.

    Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt, war/ist Christine Schaad Hügli Präsidentin der Sektion Bern-Länggasse. Von weiteren Ämtern weiss ich nichts. – Allgemein wird spekuliert, dass weitere Parteiaustritte folgen werden.

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