Hans geht ins Stöckli, Adrian Amstutz wieder zurück in den Nationalrat
Publiziert am 20. November 2011Dass Werner Luginbühl (bdp) die Wiederwahl als Ständerat locker schafft, war schon seit Wochen klar. Völlig offen präsentierte sich der Zweikampf zwischen Adrian Amstutz (svp; links) und Hans Stöckli (sp). Überraschend holte nun der ehemalige Bieler Stadtpräsident rund 21’000 Stimmen mehr als der bisherige SVPler. Entscheidend waren die Mitte und das Image Amstutz’.
Gewonnen hat heute auch die Fairness: So gratulierte der SVP-Kantonalpräsident Rudolf Joder in den elektronischen Medien den Siegern Werner Luginbühl und Hans Stöckli. Und auch der abgewählte Adrian Amstutz war in den vielen Interviews, die ich im Berner Rathaus mitlauschte, ein Verlierer, der stets den richtigen Ton traf.
Der Coup für die SP wurde im strukturell klar bürgerlich wählenden Kanton Bern möglich, weil im ersten Wahlgang vom 23. Oktober kein Kandidat das absolute Mehr erreicht hatte. Ein Ausstich wie im letzten März bei der Sommaruga-Ersatzwahl hätte erneut zu einem Fotofinish geführt. Zwei leere Zeilen eröffneten den Wählerinnen und Wählern dieses Mal mehr taktische Möglichkeiten.
In einer Erstanalyse lässt sich feststellen, dass der bisherige Werner Luginbühl nicht nur die eigene Partei und die FDP, sondern auch die kleinen Mitteparteien und den rot-grünen Block hinter sich hatte. Diese breite Allianz macht ihn mit fast 50’000 Stimmen Vorsprung auf Stöckli zum grossen Sieger des Tages. Die Umarmung der SVP nicht zu erwidern, erwies sich als richtig: Ein Päckli Amstutz-Luginbühl hätte viele Mitte-links-Wähler abgeschreckt.
Hans Stöckli – mit dem Slogan Hans ins Stöckli angetreten – kriegte nebst Rot-Grün die Unterstützung aus der Mitte und von vielen liberalen Freisinnigen. Adrian Amstutz hingegen konnte sein Wählerpotenzial gegenüber dem ersten Wahlgang nur noch sehr bescheiden ausbauen (+ 3.9%) – ganz im Gegensatz zu Luginbühl (+ 25.5%) und Hans Stöckli (+ 14.4%).
Quelle: Staatskanzlei des Kantons Bern / Zahlen ohne Gewähr / Grafik: wahlkampfblog
Die Wahl von Luginbühl und Stöckli ist auch als resolutes Votum gegen den SVP-Kandidaten zu interpretieren. Die Anti-Amstutz-Allianz ist in den letzten Wochen kräftig gewachsen.
Amstutz machte sich mit einem klaren Profil und einer scharfen Rhetorik landesweit bekannt. Das geht zulasten der Mehrheitsfähigkeit, die es für eine Wahl in den Ständerat braucht. Nach dem ersten Wahlgang vor vier Wochen versuchte Amstutz eine Image-Korrektur, um so Mitte-Wähler ansprechen zu können. Die SVP entschied sich im zweiten Wahlgang für das Ticket Amstutz-Luginbühl. Das war eine völlig überraschende Volte, der die Glaubwürdigkeit abging.
Image-Korrekturen brauchen in der Regel jahrelang, bis sie beim Publikum ankommen und sich festsetzen – gerade in der Politik. Adrian Amstutz bekam das heute schmerzhaft zu spüren. Nach einem kurzen Abstecher ins Stöckli politisiert er von nun an wieder im Nationalrat. Wegen seiner Abwahl dürfte er als Bundesratskandidat nicht in Frage kommen.
Eine Anekdote aus dem Berner Ratshaus, deren Symbolik für das Resultat des zweiten Wahlgangs steht: SRF-Bundeshausjournalist Hanspeter Forster bat Adrian Amstutz um ein Interview. Dieser machte sich bereit und fragte, ganz Profi, ob seine Kleidung in Ordnung sei. Die Fernsehcrew Forsters wies auf die Krawatte hin, die nicht mehr ganz sass. Amstutz verschwand in der Toilette, und ich raunte Forster zu: ” Der Krawattenknopf hing rechts, nicht?” Das In-die-Mitte-Rücken hätte schon vor vier Jahren geschehen müssen.
Mark Balsiger
Fotomontage Adrian Amstutz und Hans Stöckli: drs.ch
was nur heisst heute “bürgerlich”? svp, bdp, fdp, cvp, evp? erstens hat es heute mindestens 5 parteien, die das etikett beanspruchen könnten. zweitens reicht ihr weltanschauliches spektrum von nationalkonservativ oder sozialliberal bis zu säkular oder christlich und zurück.
ich glaube nicht, dass es da noch viel inhaltiche gemeinesamkeiten gibt (personenfreizügikeit und atomausstieg als ausdruck der beiden neuen, fundamentalen cleavages wie ökologie und europäisierung), und der organisatarische überbau in form des hiv zeigt, dass er wirkungslos geworden ist.
der begriff der bürgerlichen politik ist in den 20er jahren des 20. jahrhunderts entstanden, um angesichts der pluralisierung des parteiensystems (mit evp und bgb) eine gemeinsame stossrichtung gegen links aufzuzeigen. getrennt marschieren, vereint schlagen war das diktum aus der zeit des bürgerlichen schulterschlusses. irgendwo denke ich, ist genau da spätestens mit der heutigen wahl wiederlegt worden, weil es nur noch in gedanken spielt, nicht mehr in der politischen realität.
‘@ zoonpoliticon
Ich habe dieses Thema in meinem Blog auch schon einmal knapp angerissen. Im Gegensatz zu “Magazin”-Redaktor Daniel Binswanger glaube ich allerdings nicht, dass sich das Bürgertum bereits auflöst. Es hat aber keine Kohärenz mehr.
Viele SVP-, FDP- und CVP-Leute hängen immer noch am Begriff “bürgerlich”. Zuweilen dünkt es mich, dass sie sich nach den guten alten Zeiten sehnten, als es noch den homogenen Bürgerblock und die SP gab.
ja, das bürgertum im sinne des 19. jahrhunderts gibt es nicht mehr, einen bürgerliche mittelschicht indessen schon. doch das ist eine soziologische analyse. die frage ist ja, ob sich das transformiert in die politik. meines erachtens nicht mehr, denn der politische elan hat nachgelassen, das milizsystem im traditionellen sinne trägt nicht mehr, und wo es zu repolitisierungen kam, sind wertfragen, sachfragen und imagefragen wichtiger geworden. darob ist die einheitlichkeit zerfallen. hinzu kommen die führungskämpfe, weg von der fdp, hin zur svp oder zur neuen mitte.
mir fällt auf, dass in veschiedenen analysen zu kantonalen und nationalen wahlen die rede war vom ende der alten spaltung. nicht nur das. mein kollege daniele caramani an der hsg hat ein grosses projekt lanciert, das den gründen der neuformierung des politischen lager in ganz europa nachgeht. er kommt zum vorläufigen schluss, dass die oekofragen einerseits, die globalisierung anderseits die traditionelle konfliktlinie zwischenr rechts und links ziemlich flächendeckend überlagert haben, die formulierung politischer alternativen erschwert oder zu einer neuaufmischung von allianzen führt.
das habe ich übrigens im bund-inteview von heute versucht, in alltagssprache zu übersetzen.
‘@ zoonpoliticon
Die Übersetzungsarbeit ist dir in diesem Interview gut gelungen. Der Link dazu:
http://bit.ly/s0R5Uh
Eine Frage drängt sich allerdings bei deiner letzten Antwort in diesem Interview auf: Du sagst, dass die Wahl von Amstutz im März eine grössere Überraschung war als seine Abwahl vom letzten Sonntag. Das erschliesst sich mir nicht, zumal im März der Ausgang des Ausstichs Amstutz/Wyss völlig offen war.
das ist richtig.
indes, die wahl eine hardliners in den ständerat ist ja nicht einmal von der svp richtig erwartet worden. es war eine überraschung, dass es gelang, mindestens intern. gehofft hatte man, gerechnet hatte man nicht wirklich.
die interpretation, dass die hardliner nun salonfähig geworden sind, war denn auch am sonntag der wahl kaum präsent, beherrschte das feld jedoch am montag nach der wahl, weil es gut zur strategie der svp (sturm aufs stöckli) passte.
darauf bezieht sich meine aussage.
nach dem scheitern der ganzen svp riege von baader, rime über parlemin, lag auch das scheitern von amstutz in der luft. in den letzten 14 tage vor der wahl, als man die lage der svp realisiert hatte, wurde dieses szenario durchaus realistisch.
insofern überraschte das ergebnis weniger, es erfreut die amstutz-gegner jedoch …