Hans-Rudolf Merz fasste sich ein Herz und sichert der FDP so den zweiten Sitz

Publiziert am 06. August 2010

Die Rücktrittsankündigung von Moritz Leuenberger vor genau vier Wochen war ein Coup, der den Medienminister sichtbar freute. Der Rücktritt seines Bundesratskollegen Hans-Rudolf Merz (Bild), den dieser zur Unzeit (von 11.30 bis 12.15 Uhr; Radiostationen beginnen ihre Informationssendungen um 12 oder 12.30 Uhr) bekanntgab, ist die logische Konsequenz. Aufgrund dieser neuen Konstellation kann die FDP ihren zweiten Bundesratssitz verteidigen und sich dank dem Nachfolgekarussell, das nun angedreht wird, in einem positiven Licht präsentieren.

Die Führungsspitze der FDP mit Fulvio Pelli (Parteipräsident), Gabi Huber (Fraktionschefin) und Stefan Brupbacher (Generalsekretär) wurde seit Wochen nicht müde zu betonen, Merz bleibe bis Ende 2011. Es war dieses gebetsmühlenartige Wiederholen einer eigentlich realitätsfremden Sprachregelung, die hellhörig machen musste.

Hinter den Kulissen setzten freisinnige Kantonalsektionen und Parlamentarier verstärkt Druck auf, weil: mit Bundesrat Merz, der seine Glaubwürdigkeit und nach eigenen Aussagen auch sein Gesicht verloren hat, wäre die FDP im eidgenössischen Wahljahr 2011 nicht vom Fleck gekommen. In einer durch und durch medialisierten Öffentlichkeit sind die Bundesräte die wichtigsten Schlachtrösser für ihre Parteien.

Hans-Rudolf Merz hing trotz der Dauerkritik an seinem Amt, fasste sich aber offenbar in der Sommerpause ein Herz. Sein Rücktritt kommt gerade noch zum richtigen Zeitpunkt – für ihn, für seine Partei und für die Landesregierung. Die FDP wird am 22. September diesen Sitz problemlos verteidigen können. Die CVP hat keine Kandidatur in der Pipeline, die SP setzt auf die gegenseitige Unterstützung für die Leuenberger-Nachfolgeregelung im Dezember, die Grünen sind chancenlos.

Weitere Spielvarianten, die jetzt herausposaunt werden, sind irrelevant. Natürlich wird die SVP für die Ersatzwahlen vom 22. September einen Sprengkandidaten aufstellen. Er bringt es auf die 66 Stimmen aus der eigenen Fraktion – business as usual. Das war schon bei den Sprengkandidaturen von Christoph Blocher (Gesamterneuerungswahlen 1999) und Toni Bortoluzzi (Ersatzwahl für Ruth Dreifuss 2002) nicht anders.

Entscheidend ist, dass die erneuerte Landesregierung aus fähigen Mitgliedern besteht, die sich finden und als Gremium an Glaubwürdigkeit und Durchschlagskraft zurückgewinnen.

Nachtrag von 18 Uhr:

Bei Bundesratswahlen ist die regionale Verortung einer der wichtigsten Faktoren. Deswegen wurde Hans-Rudolf Merz im Dezember 2003 überhaupt gewählt. Nach der Abwahl von Ruth Metzler herrschte in der Vereinigten Bundesversammlung ein Tohuwabohu wie selten zuvor. Für die Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus der Ostschweiz war klar, dass sie ihrer Region einen Sitz sichern wollen – quer durch alle Fraktionen.

Auch deswegen obsiegte Merz über die als Favoritin gehandelte Berner Ständerätin Christine Beerli. Dass deswegen vorübergehend nur noch eine Frau in der Landesregierung vertreten war, wurde in Kauf genommen. Gerade auch von den Ostschweizer Frauen im Parlament.

Die Ostschweiz stellt traditionell einen Sitz – die letzten Vertreter:

– Hans-Rudolf Merz (fdp, AR): 2004 – 2010
– Ruth Metzler (cvp, AI): 1999 – 2003
– Arnold Koller (cvp, AI): 1987 – 1999
– Kurt Furgler (cvp, SG): 1971 – 1986

Foto Hans-Rudolf Merz: keystone

8 Replies to “Hans-Rudolf Merz fasste sich ein Herz und sichert der FDP so den zweiten Sitz”

  1. Damals herrschte noch die direkte Kommunikation statt der elektronischen – eine kleine Schar illustrer Gäste beim nachmaligen Blogger am Zmorge und gemeinsamen Zusehen, wie Christoph Blocher und Hans Rudolf Merz gewählt wurden.

  2. ‘@ Andi

    Es gibt kaum etwas spannenderes, als Bundesratswahlen mit ein paar anderen Interessierten zu gucken. I do remember the good old times. Kein Vergleich mit den heavy blogging mornings oder Aufenthalten in kalten Radiostudios, die die Bundesratswahlen mit sich brachten.

    @ RM (das Outing hinter den Kulissen folgt noch, oder? Ist so Usus auf diesem Blog, deshalb auch meine Mail “hindedüre”.)

    Weshalb sollen nicht beide gewählt werden? Johann Schneider-Ammann und Simonetta Sommaruga? Zürich ist seit Ende 2003 auch mit zwei Bundesräten vertreten – bei einem Unterbruch von einem Jahr (2008).

    Damit untergrabe ich meine These, dass die Ostschweiz geschlossen für “ihren” Sitz kämpfen wird.

  3. Ich denke schon, dass der Kanton nach wie vor eine Rolle spielt, auch wenn diese Regel heute offiziell nicht mehr gilt. Dass mit Leuenberger und Maurer zwei Zürcher im Bundesrat sitzen ist eben auch den Umständen von damals zuzuschreiben, welche man ausnahmsweise und zugunsten der Konkordanz in Kauf nahm.

    Bei der offiziellen Kür der KandidatInnen durch die FDP-Fraktion wird man aber bestimmt auch in Richtung der zu diesem Zeitpunkt bereits bekannten SP-Kandidaten schielen.

    Die FDP wird sich nämlich schon vor der Nachfolge-Wahl von Merz die Frage stellen müssen, welche SP-Kandidatin oder welcher SP-Kandidat ihnen genehmer ist, um dieser Person die Chancen nicht durch die eigenen Kandidaten zu schmälern.

    Oder einfacher gesagt: Würde Johann Schneider-Ammann kandidieren und dann gar gewählt, sinken die Chancen für Simonetta Sommaruga.

    Ihre Chancen würden zwar auch sinken, wenn eine FDP-Frau gewählt würde, allerdings wohl weniger als wenn bereits ein Vertreter des Kantons Bern im Bundesrat sitzt (die Schweiz wurde ja lange genug auch nur von Männern regiert, da dürften auch fünf Frauen im Bundesrat kein Problem sein).

  4. ‘@ Titus

    Die Kantonsklausel wurde 1999 aus der Bundesverfassung gestrichen. In den Phasen von 2004 – 2007 sowie 2009 bis heute gab und gibt es zwei Bundesräte aus dem Kanton Zürich. (Leuenberger/Blocher, Leuenberger/Maurer).

    Diese Tatsache könnte dafür sprechen, dass auch einmal ein anderer Kanton 2 Bundesratsmitglieder stellt. Johann Schneider-Ammann und Simonetta Sommaruga wären durchaus möglich.

    Dass die FDP sich überlegt, wie ihre Nominationen die SP-Auslese beeinflussen könnte, ist klar. Entscheidend werden aber solche Überlegungen nicht sein. Jede Fraktion/Partei schaut zuerst für sich.

    Es liegt an der Vereinigten Bundesversammlung Reife zu zeigen und die besten und wägsten Kandidierenden zu wählen. Das Lamento über überforderte, lethargische und einzelgängerische Bundesratsmitglieder stammt ja insbesondere aus dieser Gilde.

  5. Wie wäre folgendes Szenario:
    Die SP lobbyiert erfolgreich bei TessinerInnen und RomandEs für die Wahl von Dick Marty, der nicht nur ein Liberaler im besten Sinne des Wortes ist, sondern auch eine sprachliche Minderheit vertritt. Mit den Stimmen des geschlossenen linken Lagers sowie einer klaren Mehrheit der bürgerlichen VertreterInnen der romanischen Schweiz könnte der Coup gelingen; Karin Keller-Sutter würde verhindert – und der Weg für die Wunschkandidatin Simonetta Sommaruga wäre frei.

  6. ‘@ Matthias

    Ein kecker Gedanke. Der Schwachpunkt: Dick Marty ist bereits 65-jährig und ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dass es ihn gelüstet, in den den Bundesrat gewählt zu werden.

  7. Der Sitz der FDP ist noch lange nicht im Trockenen. Die CVP hätte es in der Hand, die Konkordanz wieder herzustellen und sich selbst längerfristig einen zweiten Sitz zu sichern: Sie müsste lediglich der SVP zu ihrem zweiten Sitz verhelfen und dann 2011 die BDP in die Fraktion holen.

    Bei einem späteren Rücktritt wäre der Sitz dann in Händen der CVP, die ja in letzter Zeit immer mit der Fraktionsgrösse argumentiert hat. Dazu müsste die CVP allerdings über ihren eigenen Schatten springen und
    a) eingestehen, dass sie sich eigentlich nicht von der BDP unterscheidet und
    b) der SVP zu einem zweiten Sitz verhelfen, was dem linken CVP-Flügel schwer fallen wird. Trotzdem wird es spannend um die Merz-Nachfolge, falls sich die Grünen nicht rechtzeitig vor dem letzten Wahlgang zurückziehen.

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