«Ich bin bodenlos enttäuscht vom Bundesrat»

Publiziert am 24. November 2023

Der Bundesrat will die Serafe-Gebühren für private Haushaltungen von 335 auf 300 Franken pro Jahr reduzieren, während dem Journalismus das Geld ausgeht. In einem Interview mit dem «Beobachter» führe ich aus, weshalb ich dies für den falschen Weg halte.

Mark Balsiger, in den letzten Wochen kündigten mehrere grosse Medienhäuser Sparrunden an. Wie tief steckt die Medienbranche in der Krise? 

Die Abwärtsspirale dreht seit vielen Jahren. In den letzten Wochen hat sich das mit dem angekündigten Stellenabbau bei den Medienkonzernen CH-Media und TX Group nochmals verschärft. Hinzu kommt die Halbierungsinitiative, die die Serafe-Gebühren kürzen will und bei einem Ja des Stimmvolks die SRG ausbluten liesse. Die breite Bevölkerung ist sich der dramatischen Situation nicht bewusst, weil dieser Umbruch nicht auf einen Schlag passiert. Es ist ein schleichender Prozess.

Viele Medienschaffende blicken mit Sorge auf diese Entwicklungen. Inwiefern betreffen die Sparprogramme auch die breite Bevölkerung?

Die mediale Grundversorgung mit Information ist in Gefahr. Den Medienhäusern geht das Geld aus, also reduzieren sie ihr Angebot immer mehr. Für Ressorts wie nationale Politik, Wirtschaft oder Sport wurden Stellen und Kosten markant heruntergefahren. Bei CH-Media beispielsweise beliefert eine Handvoll Medienschaffende aus dem Bundeshaus 17 Zeitungen und Newsportale mit demselben Stoff. Die so wichtige Vielfalt der Blickpunkte geht verloren. Im Lokaljournalismus ist ein solches Abbauen nicht möglich. Dort verlieren die Medien ihre Informations- und Wächterfunktion, wenn sie keine Journalisten mehr vor Ort haben. Sie verpassen relevante Themen und Entscheide, die uns alle betreffen.

Warum geht dem Lokaljournalismus das Geld aus?

Das Problem der Schweizer Medienhäuser ist, dass heute über zwei Milliarden der Werbeeinnahmen an die Tech-Giganten in den USA fliessen. Das Werbemodell von Google und Meta ist für die Werbewirtschaft attraktiver, als bei einer Lokalzeitung Banner zu schalten. Journalismus ist kein Geschäftsmodell mehr, mit dem man Geld verdienen kann. Zudem sind viele Leute nicht mehr bereit, Geld für ein Magazin oder eine Zeitung auszugeben.

Warum eigentlich?

Die Erbsünde der Medienhäuser ist es, dass sie zu Beginn des Internetzeitalters ihre Inhalte gratis publizierten. Erst sehr spät zogen sie teilweise die Bezahlschranken hoch. Das Umdenken beim Publikum, dass Journalismus etwas kostet, findet nur langsam statt. Dabei hätten journalistische Inhalte nie gratis sein dürfen. Genauso wie wir für Kafi und Gipfeli bezahlen, müssten wir auch für Berichte auf Newsportalen bezahlen.

Gleichzeitig wird qualitativ guter Journalismus immer wichtiger angesichts der Komplexität der Welt und der Falschmeldungen, die sich in Windeseile verbreiten können.

Das sehe ich auch so. Die Corona-Pandemie ist ein gutes Beispiel. Es gab zwar eine laute Minderheit, die an der Glaubwürdigkeit der Medien und der politischen Institutionen zweifelte. Insgesamt ist der Medienkonsum aber in die Höhe geschnellt und das Vertrauen in die Medien gewachsen. Besonders bei den qualitativ hochwertigen Plattformen. Doch wenn die Ressourcen fehlen, sinkt diese Qualität. Dabei ist kein Land verwundbarer als die Schweiz. Alle drei Monate müssen wir über Sachvorlagen abstimmen. Dafür braucht es eine systematische Berichterstattung, kritischen und sachgerechten Journalismus. Denn schlecht informierte Menschen können keine weisen Entscheidungen treffen. Desinformation und Fake News warten gleich um die Ecke. Das ist gefährlich.

Die SVP will mit der Halbierungsinitiative der SRG den Beitrag kürzen. Neu sollen wir nur noch 200 Franken Serafe-Gebühren zahlen. Erste Umfragen zeigen, dass die Initiative gut ankommt. Verstehen Sie den Unmut der Leute, die nicht mehr so viel zahlen wollen?

Einzelne Gruppierungen und Medien machen gezielt Stimmung gegen die SRG. Dabei ist diese Initiative widersinnig, nachdem das Volk erst vor fünf Jahren «No Billag» mit 70 Prozent Nein versenkt hat. Ausgerechnet jetzt, wo es den privaten Medienhäusern schlecht geht, wollen Libertäre den öffentlichen Rundfunk drastisch schwächen. Dabei ist die SRG nicht schuld daran, dass den Privaten das Geld ausgeht. Die libertäre Argumentation, man wolle nur für die Angebote zahlen, die man konsumiere, höre ich seit vielen Jahren. Mit der gleichen Begründung könnte man fordern, dass Kinderlose kein Geld mehr für die Schulen zahlen müssen. Eine funktionierende Medienlandschaft ist genauso essenziell wie ein gutes Bildungssystem.

Der Bundesrat schlägt eine Reduktion von 335 auf 300 Franken vor. Ein guter Kompromiss?

Ich bin bodenlos enttäuscht, dass der Bundesrat die Initiative nicht ohne Wenn und Aber ablehnt. Der Versuch Albert Röstis, dem Initiativkomitee den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat kaum Wirkung. Die Reduktion macht gerade mal drei Franken pro Monat aus. Ich hatte die Hoffnung, der Bundesrat sei weise genug, den Service public zu stärken.

Was stimmt Sie optimistisch im Kampf für die Medienvielfalt?

Es gibt zum Glück Unentwegte, die neue Medienprojekte lancieren, und das mit einem neuen Ansatz. Ihre Online-Portale sind werbefrei und publikumsfinanziert. Die «Republik» ist das bekannteste Beispiel dafür und kann sich hoffentlich stabilisieren, ja verbessern. Auch die «Hauptstadt» in Bern zähle ich dazu. Es braucht einen langen Atem, und es braucht nicht nur Goodwill, sondern halt auch Geld in Form von Abos und Spenden.

Interview: Miriam Weber, 24. November 2023

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Zur Person
Mark Balsiger ist selbständiger Politikberater und Medientrainer. Er engagiert sich ehrenamtlich für unabhängige Medien. So führte er 2008/2009 das Rettungskomitee zugunsten der Traditionszeitung «Der Bund» und initiierte Anfang 2022 die Allianz Pro Medienvielfalt, die sich gegen die Halbierungsinitiative stemmt.

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