In der Affäre Markwalder geht es um Wahlkampf und Neid
Publiziert am 20. Mai 2015Heute vor zwei Wochen machte die NZZ eine Geschichte publik, die subito zur “Affäre Markwalder” hochgejazzt wurde. In den letzten 14 Tagen referenziert die Schweizer Mediendatenbank nicht weniger als 488 Beiträge zu diesem Thema. Das ergibt einen Durchschnitt von 35 Beiträgen pro Tag, die Story ist ein Medienhype par excellence.
Ich habe dieser Tage einige Medienanfragen erhalten, um diesen Fall einzuordnen. Die meisten musste ich aus zeitlichen Gründen ablehnen. Ein paar Mal nahm ich mir aber die Freiheit, die Journalistinnen und Journalisten zu Beginn in einen von mir gesteuerten Dialog zu verwickeln. Er verlief jeweils etwa so:
„Ja, ich gebe Ihnen Auskunft. Aber können Sie mir zuerst erklären: What’s the story?“
– „Ähh, (Pause), ja…. Nationalrat Christoph Mörgeli hat doch eine Strafanzeige angekündigt.”
“Genau – angekündigt. In der Politik wird unendlich Vieles angekündigt.”
– “Wissen Sie… Alle anderen Medien berichten auch über diesen Fall.“
Voilà, es werden Beiträge fabriziert, weil das die anderen Medien auch tun, nicht weil die Geschichte viel Fleisch am Knochen hat. Es geht um Klicks und Reichweite.
Doch zurück zur Frage: „What’s the story?“ Nationalrätin Christa Markwalder hatte vor zwei Jahren eine Interpellation zum Verhältnis Schweiz – Kasachstan eingereicht. Der Name Interpellation stammt vom lateinischen Wort interpellare – zu übersetzen mit: dazwischenfragen. Markwalder stellte ein paar harmlose Fragen und erhielt vom Bundesrat ein paar harmlose Antworten.
Der Text dieser Interpellation floss aus der Feder der Lobbyistin Marie-Louise Baumann, die damals noch mit Markwalder befreundet war. Beim Schreiben wirkte der kasachische Auftraggeber Baumanns (über ihre PR-Agentur Burson Marsteller) mit, was gegenüber Markwalder verschwiegen wurde. Das ist unlauter, Baumann wurde zur Persona non grata, professionelles Lobbying basiert auf Glaubwürdigkeit und Transparenz. Markwalder selber war naiv und vertrauensselig, keine Frage, sie hätte klären müssen, in wessen Auftrag Baumann wirkt. Ob die Nationalrätin das Kommissionsgeheimnis verletzt hat, wird das Büro des Nationalrats untersuchen. Sie liess ihren Fall gleich selber traktandieren.
Ein anderer Aspekt: Alle National- und Ständeräte sitzen in Kommissionen. Was sie dort beraten, ist gemäss Artikel 47 des Parlamentsgesetzes vertraulich. Die Realität ist seit jeher eine andere: Kommissionsmitglieder sind keine autarken Wesen. Sie tauschen sich aus, holen von Dritten Meinungen ein und dealen mit Informationen. Natürlich existiert das Kommissionsgeheimnis, aber was in den Sitzungen gesagt und entschieden wird, zieht seine Kreise. Die Informationen wandern weiter – zu Fraktionskollegen, Journalistinnen und – horribile dictu! – zu Lobbyisten, die die Interessen von Umweltverbänden, Krankenversicherungen, Hilfswerken oder der Rüstungsindustrie vertreten.
Manchmal werden Dokumente weitergereicht, manchmal eigene Zusammenfassungen, oft wird das Relevanteste mündlich rapportiert, manchmal auch per SMS oder mit knappen E-Mails. Was Markwalder tat, haben die anderen 245 Parlamentarier auch schon getan, bloss ist ihr Fall gut dokumentiert und aufgeflogen. («Das hätte jedem von uns passieren können», sagte CVP-Präsident Christophe Darbellay kurz nachdem der Fall ins Rollen geraten war.) Merkwürdig mutet an, dass die beiden Nationalräte Christian Miesch (svp, BL) und Walter Müller (fdp, SG), die Kasachstan auf Kosten des dortigen Regimes bereisten (Kostenpunkt: 60’240 Franken), kaum kritisiert werden.
In der Politik ist Neid so weit verbreitet wie Eitelkeit
Dass Markwalders Fall so hoch gehängt wird, hat mit ihrer Flughöhe zu tun: Sie gilt als profilierte Politikerin, ist designierte Nationalratspräsidentin und damit ein ideales Opfer für eine Kampagne. Innenpolitisch herrscht seit Wochen Themenflaute, da kam diese Story mitten im Wahljahr gerade recht. Genüsslich können die Strategen der anderen Parteien beobachten, wie sich die FDP windet, just diese FDP, die mit soliden Gewinnen aus den kantonalen Wahlen dieses Jahres hervorging. Sie haben ein Interesse daran, dass die Suppe mit dieser dünnen Geschichte noch lange köchelt.
Ein weiterer Aspekt, der eine grosse Rolle spielt: Markwalder war gerade einmal 28 Jahre alt, als sie in den Nationalrat gewählt wurde. Sie schaffte den Sprung ins Bundesparlament auf Anhieb. Andere brauchen dafür drei oder vier Anläufe – oder sie bleiben auf der Strecke. In der Politik ist Neid so weit verbreitet wie Eitelkeit. Markwalders schneller Erfolg, ihr solides Standing, die grosse Medienpräsenz und das Nationalratspräsidium, das sie im Dezember antreten soll, wecken Neid, viel Neid. Auch in der eigenen Partei.
Die FDP tut gut daran, jetzt standhaft zu bleiben. Es wäre billig, wenn sie Markwalder fallen liesse. Entscheiden sollen am 18. Oktober vielmehr die Wählerinnen und Wähler des Kantons Bern. Sie haben ein feines Sensorium. Wählen sie Markwalder wieder in den Nationalrat, ist deren Kandidatur für das Präsidium der Grossen Kammer legitimiert.
Die Scheinheiligen sollen in sich gehen, die Verlogenen und Rufmörder gehören ins Pfefferland.
Mark Balsiger
Transparenz: Die Agentur des Autors ist seit ihrer Gründung im Jahr 2002 nie in einem Mandatsverhältnis mit Christa Markwalder gestanden. Es gibt derzeit auch keine Mandate von der FDP Bern, der FDP Schweiz oder solche aus den weiten Steppen Kasachstans.
Andere Texte zum Thema:
– Wer steckt dahinter? (Die Zeit, Matthias Daum, 13. Mai)
– Die Rufmord-Kampagne gegen Christa Markwalder (Watson, Maurice Thiriet, 19. Mai)
– Um was es wirklich geht (NZZ, René Zeller, 20. Mai)
– Füürio auf der Spitze des Eisberges (Krisenblog, Roland Binz, 21. Mai)
Foto Christa Markwalder: jungfrauzeitung
ich bin nicht sicher, ob das pfefferland so viel zulauf verkraften kann.
Geht es denn bei Nebs um Neid oder Mitleid?
Natürlich, es gibt viele Arten einen Wahlkampf zu führen!
[…] Die Affäre um die gekaufte Kasachstan-Interpellation von FDP-Nationalrätin Christa Markwalder wirft ein Schlaglicht auf die Verbandelung zwischen Politik, Lobbyisten und Medien in der schweizerischen Politik. In unserem Dossier zeichnen wir die Entwicklung der aktuellen Debatte nach. In der Affäre Markwalder geht es um Wahlkampf und Neid Heute vor zwei Wochen machte die NZZ eine Geschichte publik, die schon kurz darauf nur noch als Affäre Markwalder bezeichnet wird. In den verflossenen 14 Tagen wurden in der Schweizer Mediendatenbank nicht weniger als 488 Beiträge zu diesem Thema referenziert. Das ergibt einen Durchschnitt von 35 Beiträgen pro Tag, die Story ist ein Medienhype par excellence. Mark Balsiger, wahlkampfblog.ch […]
‘@bugsierer
Ich befürchte, dass du nicht Unrecht haben könntest.
@Beda Düggelin
Ihr Kommentar zielt vermutlich am Kern des Themas vorbei: Christa Markwalder hat das Präsidium der Nebs vor Jahresfrist abgegeben.
Ja, Markwalder hat das Präsidium wegen des bevorstehenden NR-Präsidiums abgegeben, sie ist aber immer noch im Vorstand und vertritt noch immer EU-Turbo-Ideen, da steht sie selbst in der FDP alleine da.
Der “Grosse Bremgartenwald” in Bern wird wohl alsbald in “Markwald” unbenannt werden. Noch besteht aber die Unschuldsvermutung.
Wir lassen die Walddebatte links liegen, lieber Herr Düggelin. Sie würde zum Thema nichts beisteuern.